Hagen. Eher gemischte Gefühle machen sich breit im ungeliebten Hinterhof des Hauptbahnhofs. Wer sich durch die dustere Eisenbahnunterführung Werdestraße in Richtung Philippshöhe traut, erblickt auf der kaum minder schäbigen Plessenstraße wieder das Licht der Welt. Jetzt wird dort alles abgerissen.

Die meisten Hagener meiden diese Ecke der Stadt, weil man dort gemeinhin fürchtet, ungebeten jenen Gestalten zu begegnen, von denen man garantiert keinen Gebrauchtwagen erwerben würde.

Dieser trostlose Winkel des Vergessens am charmefreien Zusammenfluss von Ennepe und Volme, der höchstens noch von Kuhlerkämpern während der Rush-Hour als Schleichweg missbraucht wird, soll mit der Realisierung der Bahnhofshinterfahrung sich in ein attraktives Gewerbe- und Bürohaus-Quartier mit direkter Anbindung zum Hauptbahnhof verwandeln. Eine Zukunftsvision, für die es heute noch reichlich Vorstellungskraft und einen gehörigen Schuss städtebaulicher Fantasie bedarf. Seit wenigen Tagen wird dort der systematische Abriss der heruntergekommenen Industriehallen vorbereitet.

Schutt wird wieder verbaut

Ein gewaltiges Abbruch-Projekt, das der Verband für Flächenrecycling und Altlastensanierung (AAV, siehe Info-Kasten) bis April 2015 umsetzen und damit den notwendigen Platz für den zweiten und dritten Bauabschnitt der Bahnhofshinterfahrung schaffen wird. Die Dimensionen lassen nur durch imposante Zahlen erfassen: Das fragliche Areal zwischen dem stillgelegten Eisenbahngleis der einstigen Strecke Hagen-Wuppertal, dem Mark-E-Umspannwerk an der Sedanstraße sowie dem Werksgelände der Deutschen Edelstahlwerke umfasst immerhin fünf Hektar – also mehr als acht Fußballfelder.

Die darauf stehenden Gebäude, vorzugsweise Produktionshallen, haben eine Grundfläche von 20.000 Quadratmetern, 200.000 Kubikmeter umbauter Raum müssen ausgeräumt, entkernt und planiert werden. AAV-Projektkoordinatorin Rita Bettermann sowie Stefan Wunsch, Geschäftsführer des „geo-id“-Ingenieurbüros für Umwelt-, Bau- und Geotechnik, rechnen mit 2750 Tonnen Abbruchabfällen, die fachgerecht entsorgt werden müssen.

10.000 Kubikmeter sauberer Boden

Etwa 18.000 Kubikmeter mineralische Stoffe sollen zu Recycling-Material aufbereitet werden. Ingenieur Wolfgang Mesenholl vom MWM-Planungsteam geht davon aus, dass die Bagger Bodenbewegungen im Volumen von 95.000 Kubikmetern erledigen müssen. Dabei wird das Material vorzugsweise dafür genutzt, das Geländeversprünge zu verfüllen sowie Teile des künftigen Straßendamms bereits anzuschütten.

AAV-Einsatz reduziert den Flächenverbrauch

Der AAV – Verband für Flächenrecycling und Altlastensanierung – unterstützt seit 20 Jahren in NRW Städte und Gemeinden.

Er saniert auf Antrag der Kommunen Altlastenflächen oder Grundstücke mit schadstoffhaltigen Bodenveränderungen, wenn beispielsweise kein Verantwortlicher mehr gefunden werden kann oder wenn dieser finanziell dazu nicht in der Lage ist.

Der AAV bringt dabei bis zu 80 Prozent der finanziellen Mittel auf und übernimmt in der Regel auch die Projektträgerschaft.

Durch dieses Flächenrecycling werden infrastrukturell attraktiv gelegene Flächen wieder nutzbar gemacht und in den Wirtschaftskreislauf zurückgeführt. Damit wird dem zusätzlichen Flächenverbrauch entgegengewirkt.

Hinter dem AAV stehen im Rahmen einer freiwilligen Kooperationsvereinbarung das Land NRW, die Kommunen sowie Teile der NRW-Wirtschaft.

Das gilt natürlich nicht für kritische Altlasten, die zum Teil bis auf Grundwasser-Niveau hinabreichen. „Beispielsweise Teeröle werden wir selbstverständlich auf Deponien entsorgen“, versichert Rita Bettmann. Schwermetall-Hinterlassenschaften verschwinden hingegen im Straßenkörper der Bahnhofshinterfahrung und werden dort auf alle Ewigkeit versiegelt – ähnlich wie an dem entstandenen Landschaftsbauwerk entlang der Weidestraße. Die kritischen Hotspots sind bereits lokalisiert. 5000 Kubikmeter Aushub müssen aus ökologischen Gründen abgefahren werden, etwa 10.000 Kubikmeter sauberer Boden werden herbeigeschafft. Insgesamt also etwa 1000 Lkw-Fuhren, die im steten Verkehrsfluss auf dem Innenstadtring über etwa drei Jahre kaum bemerkt werden dürften.

Brücke nur für Fußgänger

Erschlossen wird die gewaltige Abbruchmaßnahme über die Sedanstraße. Denn das in die Jahre gekommene Brückenbauwerk Plessenstraße trägt die schweren Fahrzeuge nicht mehr. Vom Wendehammer am TWB Presswerk (Prevent-Gruppe) aus entsteht eine großzügige Baustellenzufahrt, die bis zum einstigen Areal des Schrottverwerters Putzke führt. Dazu muss die ohnehin bloß noch für Fußgänger nutzbare Brücke zur Sedanstraße zwischenzeitlich ganz gesperrt werden, anschließend wird es eine Treppenverbindung geben.

Bei den abzubrechenden Immobilien handelt es sich um Betriebsgebäude der ehemaligen Gussstahlfabrik Erkenzweig & Schwemman (1870-1970), der Schraubenfabrik Bauer & Schauerte sowie um den ehemaligen Postbahnhof. Während die erstgenannten Komplexe lediglich leergeräumt und – von tiefergreifenden Kampfmitteluntersuchungen mal abgesehen – lediglich bis auf Bodenniveau planiert werden, gilt es das einstige Postareal bis auf die Fundamente zu beseitigen.

Der gewaltige Komplex, der einst das logistische Scharnier zwischen Bahn- und Lkw-Transport sowie Brief- und Paketzustellung bildete, wurde in den vergangenen Jahren von Kfz-Verwertern und Havarie-Waren-Händlern genutzt. Das sorgte zwar dafür, dass die inzwischen in städtischem Besitz befindlichen Gebäudeteile nicht völlig verwahrlosten, nun aber auch Unmengen an Schrott und Unrat beseitigt werden müssen. Etwa 100 Tonnen unsortierte Abfälle warten allein hier auf ihre fachgerechte Entsorgung.