Hagen. Aussteigen, bewerben, weiterfahren. 60 arbeitslose Eltern nahmen vergangenen Mittwoch an einem Pilotprojekt des Jobcenter Hagen teil. Dabei wurden die Frauen und Männer auf eine Bewerbungsrundreise per Bus durch die Stadt geschickt, um im Speed-Dating-Format Bewerbungsgespräche zu führen.

Wer will es Peter (alle Namen geändert) verdenken? Unruhig bewegt er sich auf dem Sitz hin und her. Gedankenspiele beginnen in seinem Kopf: Den Job kriegst du wieder nicht. Nein, heute klappt’s! Oder doch nicht? Der Bus hält an. Die Tür geht auf. Showtime für Peter. Jetzt gleich kann sich sein Leben grundlegend verändern. Unterwegs durch das Hagener Stadtgebiet. In einem Bus voller Hoffnungen.

Im Speed-Dating-Format

Sie alle hatten mich kritisch gemustert. Vom Scheitel bis zur Sohle. Dann haben sie genickt. „Aber keine Fotos und keine Namen“, bat einer der Teilnehmer, „dann können Sie gerne mitfahren.“ Das Hagener Jobcenter schickte gestern 60 arbeitslose Eltern auf vier unterschiedlichen Bustouren zu 16 Arbeitgebern aus den Bereichen Metall, Pflege/Küche/Kantine, Lager/Transport und Verkauf. Unterwegs stimmten Jobcenter-Mitarbeiter die jeweils 15 Personen pro Bus auf den nächsten Arbeitgeber und dessen Historie ein. Vor Ort hieß es dann: aussteigen, ein rund zehnminütiges Bewerbungsgespräch führen und weiterfahren. Arbeitsvermittlung im Schnelldurchlauf.

Mutter hofft nach acht Jahren auf neuen Job

Maria geht es ähnlich wie Peter. Sie hat Hauswirtschafterin gelernt und sitzt ebenfalls sehr nervös auf einem Bussitz. Sie ist Mutter dreier Kinder und findet seit acht Jahren keinen neuen Job. Ihr Mann ist in Lohn und Brot. Aber um finanziell mehr Luft zu kriegen, bräuchte es ein zweites Gehalt. Und viel wichtiger als das: Eine neue Stelle schafft eine neue Tagesstruktur und macht Maria zum Vorbild. Für ihre Kinder, die vorgelebt bekommen würden, dass ihre Mutter arbeiten geht. „Das will ich“, sagt Maria, „und ich wünsche mir einfach nur eine Chance.“

Gastronomin Katja Dickhut empfängt eine Bewerberin.
Gastronomin Katja Dickhut empfängt eine Bewerberin. © Mike Fiebig

Auf Bustour Nummer zwei (Pflege/Küche/Kantine) fahren Menschen mit, die so unterschiedlich sind, wie das Leben es nur sein kann. Ganz vorne sitzt Silvia. Sie hat sich stilvoll zurechtgemacht. Selbst wenn sie in ihrer grauesten Garderobe gekommen wäre, würde Silvia noch einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Weil sie so vor Optimismus strotzt, dass es für den ganzen Bus reichen würde. „Ich gehe da gleich rein“, sagt sie, „und dann bin ich einfach nur ich. Ich weiß, was ich kann und dass ich mich in viele Sachen hineinarbeiten kann.“ Silvia wünscht sich etwas, das man mit keiner Ausbildung, keinem Werdegang oder keinem Studium kaufen kann: einen herzlichen Arbeitsplatz und Kollegen, auf die man sich jeden Morgen freut, wenn man zum Dienst erscheint.

Zum Gespräch mit weichen Knien 

Peter, Maria, Silvia. Der Bus hält an hinter dem Westfalenbad. Die Türen gehen auf. Die drei und der Rest des Busses gehen die wenigen Meter zum Hintereingang des Badetempels – mit weichen Knien und großen Hoffnungen. In den Köpfen: ihre Chancen und ihre Kinder. „Ich will ihnen etwas bieten können“, sagt Maria.

Im Westfalenbad nimmt Katja Dickhut, die als eine von 16 Arbeitgebern teilnimmt und hier die Gastronomie betreibt, die Gruppe in Empfang. Jetzt gleich erleben die Bewerber etwas, das einigen seit Monaten, anderen seit Jahren verwehrt bleibt. Eine Chance. Eine Chance, fernab von Lebensläufen, Bewertungen, dem Alter, den Erfahrungen. Ein Gespräch von Mensch zu Mensch. Nur der erste Eindruck.

Diskussion über Angemessenheit

Während Katja Dickhut in ihrem Büro Bewerbungsgespräche führt, geht im Café des Westfalenbades unter Bewerbern eine Diskussion los. Ist es unangemessen, in so einer zerfahrenen Situation finanzielle Ansprüche zu haben? Was sollte ein arbeitsloser Familienvater mindestens mit nach Hause bringen in seiner neuen Stelle? 800 Euro? 1200? 1500 Euro? Ansprüche und Wirklichkeiten prallen aufeinander.

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Nach einer Stunde ist alles vorbei. „Ich werde zwei, drei dieser Bewerber wieder zu mir einladen“, sagt Katja Dickhut. Sie kann sich gut in die arbeitslosen Eltern hineinversetzen. „Ich bin selbst Mutter und weiß, wie wichtig es ist, den Kindern vorzuleben, welche Bedeutung eine Arbeitsstelle hat.“

Für jeden eine faire Chance

Peter hat nach dem Gespräch ein Gucken-wir-mal-Gefühl. Für Maria hat die Chemie gestimmt. Und Silvia sähe ihren Wunsch hier verwirklicht: eine Chefin, unter der man gerne arbeiten gehen würde. Zurück in den Bus. Die nächsten Stationen: ein Personaldienst, zwei Pflegeheime und McDonald’s. Peter ist ruhiger geworden. Gelassenheit kehrt ein.

Bis 17 Uhr tourten die Busse durch Hagen. Wie viele Hoffnungen erfüllt wurden, werden die nächsten Tage zeigen. Wer wird wieder eingeladen? Bei wem war der erste Eindruck so gut, dass der zweite zur neuen Stelle führen könnte? Alle hatten zumindest das, was sie verdienen: eine faire Chance.