Hagen-Mitte. . Früher wäre es leichter gewesen, sagen die einen. Heute ist es viel stressiger, meinen die anderen. Redakteur Mike Fiebig hat in Hagen nach zehn Jahren Einblick in seine Abitur-Klausuren erhalten und mit dem Vize-Schulleiter Walter Plöger über die Reifeprüfung früher und heute gesprochen.

Junge, Junge, da hat sich der Rotstift aber ausgetobt. Ausgerechnet im Paradefach Englisch. Gleich auf vier Seiten am Thema vorbeigedeutet. Die so sicher geglaubten Punkte: futsch. Ein schlechtes Händchen, als es darauf ankam. Gestern, am Tag der Prüfungszulassung für Hagens Abiturienten, habe ich nach zehn Jahren und kurz vor Ablauf der Aufbewahrungsfrist Einblick in meine Abiturklausuren am Fichte-Gymnasium gewährt bekommen. Was damals anders war, warum das aktuelle Abitur auch für Lehrer einen gewissen Nervenkitzel hat und ein guter Tipp für alle, die ab heute für ihre Prüfung pauken.

Vieles noch wie früher

Fühlt sich irgendwie noch wie früher an, der Gang ans Fichte. Einige strahlen, andere sehen müde aus von den Feierlichkeiten der letzten Tage. Sie sind heute alle etwas jünger als wir damals. Logisch, bei einem Schuljahr weniger. Mittendrin: ich. Ich bin heute anders gekleidet als früher. Ein Seitenscheitel sortiert die früher zauselige Matte. Seitenscheitel hätten wir damals piefig gefunden. Der war was für Streber oder Bürohengste. Ich war nie das eine und bin auch nicht das andere geworden.

Aufgaben unterscheiden sich nicht stark

Schutzbehauptung oder Realität? Ist das Zentralabitur heute wirklich so viel schwerer als die Variante, die ich abgelegt habe? Die heutige Schülerschaft wird das bejahen. Walter Plöger, stv. Schulleiter am Fichte-Gymnasium, sieht das anders. „Früher haben wir die Aufgaben ja selbst gestellt“, sagt er, „und ich habe festgestellt, dass sich die eigenen Vorstellungen zu möglichen Abituraufgaben nicht so groß von dem unterscheiden, was heute zentral gesteuert wird“, sagt Plöger.

Trotzdem: Sämtliche potenzielle Themenfelder müssen heute intensiv beackert werden, weil sie alle im gleichen Maß prüfungsrelevant sind. „Und der Stundenplan ist heute schon dichter als früher“, erklärt Plöger, „deshalb ist das eine Abitur aber nicht schlechter als das andere.“

Im Keller des Fichte-Gymnasiums lagern die alten Klausuren 

Im Keller des Fichte-Gymnasiums lagern die alten Klausuren. Zehn Jahre müssen Gymnasien die Schriftstücke aufbewahren. So lange könnte theoretisch auch Einspruch gegen die Wertungen eingelegt werden. Den verkneife ich mir aber besser. Ich habe ganz ordentlich auf das Abi hingearbeitet, in den Hauptprüfungen aber keinen guten Tag erwischt. Ich war das Bayer Leverkusen der Prüflinge.

Es finden noch mehr Zeitreisen statt in diesen Tagen. Zum einem erzählt Walter Plöger wie er bei seinem Abitur am Theodor-Heuss-Gymnasium 1968 zur Mitteilung der Termine einen schwarzen Anzug trug. Zum Vergleich: Die holt man sich heute im schlabberigen Abi-Pullover ab. Zum anderen sorgt eine Besuchergruppe am „Fichte“ für Gesprächsstoff. Der Abi-Jahrgang 1954. Die Herrschaften sind heute alle 80. Gegen das, was diese Menschen erlebt haben, ist das Abitur ja ein Witz.

Rat vom Lehrer zu etwas Gelassenheit

Jede Stufe hat ihre Könner, die Begabteren, die ohne viel Zutun Leistungen abliefern, die andere nicht mit vier Nachhilfelehrern packen. Und jede Stufe hat die, die sich vielleicht etwas schwerer tun. Die in den kommenden Tagen bis zur ersten Prüfung am 29. April fleißig lernen müssen. Walter Plöger rät, bei allem Lernfleiß, zu etwas Gelassenheit: „Wir Lehrer haben ein großes Interesse daran, dass alle bestehen. Das wünschen wir uns doch auch. Wir zittern aber auch mit und hoffen, dass wir gut und intensiv genug unterrichtet haben und die Schüler alles können.“

Also, liebe Abiturienten, fleißig lernen und locker bleiben. Und ich wünsche mir mal nicht, dass ich die Zeit zurückdrehen könnte, sondern halte es lieber mit Walter Plöger: „Das war damals eben so. Fertig.“ Ich finde, er hat Recht.