Hagen. . Am Anfang war der Film: „Dancer in the Dark“ heißt er, die Hauptrolle spiele die Isländerin Björk. Als Oper kommt die Handlung nun ans Hagener Theater – komponiert vom dänischen Komponisten Poul Ruders und unter dem Titel „Selma Ježková“.
Es soll Menschen geben, die halten die Filme des dänischen Regisseurs Lars von Trier (56) nicht aus. Weil sie es nicht ertragen können, mit welcher Konsequenz er seine Protagonisten emotional entblößt und in ausweglosen Situationen stranden lässt. „Dancer in the dark“ mit der isländischen Sängerin Björk war so eine cineastische Provokation.
Und jetzt dies: Als Operneinakter kommt die Geschichte um eine Mutter, die alles tut, um ihren Sohn vor dem Erblinden zu retten, ans Hagener Theater. Der dänische Komponist Poul Ruders (64) hat den vielfach preisgekrönten Film seines Landsmannes als „Selma Ježková“ auf 70 Minuten derart musikalisch verdichtet, dass der Druck ins Unermessliche wächst. „Es ist der perfekte Opernstoff“, so der Komponist, der zu den Proben in Hagen weilte. „Emotional stark und direkt.“
Mutter erschießt Vermieter
Vom ersten Ton des Vorspiels an lässt Ruders keine Zweifel aufkommen, dass die Geschichte der tschechischen Einwanderin Selma Ježková, die mit ihrem Sohn im Amerika der 60er Jahre gestrandet ist, in einer Katastrophe enden wird. Mutter und Sohn leiden an einer Erbkrankheit, die den Verlust des Augenlichts zur Folge hat. Selma arbeitet in einer Fabrik, um ihrem Sohn die rettende Operation zu ermöglichen. Als ihr Vermieter ihr das ersparte Geld stehlen will, erschießt sie ihn . . .
Das Hagener Theater zeigt die packende Oper, die im neu gebauten königlichen Opernhaus von Kopenhagen 2010 uraufgeführt wurde, als erstes Haus in Deutschland. Es inszeniert Gregor Horres, der in Selma Ježková eine Frau sieht, die kein eigenes Leben führt, sondern alles für ihren Sohn tut: „Eine archaische Geschichte. Man sitzt da und muss mit ansehen, was passieren muss.“ Denn von Beginn an sei klar, da ist er sich mit Komponist Ruders einig, worauf die Erzählung hinauslaufe: „Das ist nicht sentimental, aber es tut weh.“
Um die Beziehungen zwischen den Akteuren zu unterstreichen, hat Jan Bammes ein Nicht-Bühnenbild entworfen. Dieser Verzicht auf die Kulisse verstärkt den elementaren Habitus des Stückes und rückt das Drama der Figuren noch mehr in den Mittelpunkt. Es gehe ihm nicht darum, Schauplätze zu markieren, sondern Konstellationen und Verhältnisse im Raum, so Bammes.
Ehrfurcht vor Wunder-Regisseur
Allüberall ist die Achtung, ja die Ehrfurcht vor dem dänischen Wunder-Regisseur zu spüren, in dessen riesige Fußstapfen sich die Hagener Kunstschaffenden mit der Adaption des Motivs der tragischen Frauengestalt, die sich für andere hingibt, wagen. Lars von Trier hat Selma nicht umsonst mit Jesus Christus in Verbindung gebracht und provozierend gefragt: „Sind es denn wirklich nur Männer, die sich opfern?“
Dass die geringe Länge ein Wagnis sein und beim Publikum nicht ankommen könnte, glaubt Horres nicht: „Dann bleibt auch mal Zeit, um nachher über das Stück zu sprechen.“ Vielleicht ist das auch nötig, um über das eben Gesehene hinwegzukommen.