Hagen-Mitte. Die Straße „Am Hauptbahnhof“ ist Sinnbild für die Veränderung eines ganzen Quartiers, in dem man heute überwiegend türkisch spricht. Die Zeiten haben sich eben geändert und mit ihnen auch die Kultur.

„Porno Möller“ ist schon lange weg. Drei Erotik-Läden hat das Bahnhofsviertel einfach nicht ausgehalten. Schlimmer als das fehlende Sortiment an Filmchen und Spielzeug ist aber, dass Herr Möller selbst nicht mehr hier ist. Wie so vieles in der Straße „Am Hauptbahnhof“. Sie ist Sinnbild für die Veränderung eines ganzen Quartiers, in dem man heute überwiegend türkisch spricht. Fritz Finke ist ein kleines Stück Geschichte dieses Viertels. Ein nostalgischer Spaziergang durch die ehemalige Adolf-Hitler-Straße.

Die Zeiten haben sich geändert und mit ihnen auch die Kultur, wie man sich hier gelegentlich eins auf die Zwölf gibt. Das Bahnhofsquartier gilt heute als gefährlich. Vor allem nachts und vor allem an den Wochenenden. „Natürlich gab es hier mal etwas auf die Nuss. Bei so vielen Kneipen war das doch klar. Aber wenn mal einer umgekippt ist, dann war Schluss“, sagt Fritz Finke. Heute geht’s oft erst los, wenn einer am Boden liegt. Die Gewalt ist gewaltiger geworden.

Frühes echtes Szene-Viertel

Der 78-Jährige ist ein Kind dieser Straße. Das Hotel Bürgerkrug, entstanden aus einer Gastwirtschaft, die seine Mutter 1932 an der Einmündung zur Werdestraße gründete, ist im Besitz der Finkes. Bis 1998 führte Fritz Finke das Hotel und übergab es dann an seinen Sohn Elmar. „Er hat es neu anstreichen lassen“, sagt Finke, der nach längerer Zeit mal wieder vom Waldesrand runter in die Stadt gekommen ist, „wurde mal Zeit.“

Der heute gern gemiedene Straßenzug war nach dem Krieg ein echtes Szene-Viertel. Der Tunnel unter der Bahnhofsanlage saugte die durstigen Arbeiter aus den Eisenwerken „Funcke und Huck“ und „Erkenzweig“ am Fuß der Phillipshöhe nach Feierabend direkt in die unzählbaren Kneipen der damaligen Ebert-Straße. „Die Malocher haben in Dreier-Reihen bei uns vor dem Tresen gestanden. Wir haben im Monat 55 Hektoliter ausgeschenkt. Was meinen Sie, was hier los war?“

Freitags gab es die Lohntüten

Wenn es freitags Lohntüten gab, brummte es richtig am Bahnhof. „Als die Lohnauszahlung später monatlich stattfand, lief es nicht mehr so gut. Da haben die Frauen mit auf die Abrechnung geguckt“, sagt Fritz Finke. Grinsen muss er.

Was ist passiert mit diesem Quartier, in dem man früher gerne ausging und sich von Kneipe zu Kneipe, von Café zu Café treiben lassen konnte?

„Die Italiener kamen zuerst“, sagt Fritz Finke. Aus dem alten Café Sauerland am Eingang der Straße wurde ein italienisches Café. Viele Gastarbeiter entdeckten das Viertel für sich. Später verschwanden die deutschen Geschäfte nach und nach aus dem Straßenbild. Türkische Reisebüros, türkische Teestuben, türkische Frisöre zogen in die Ladenlokale.

Früher deutsch, heute türkisch

„Es wurde bunt durchgemischt“, sagt Finke, der die interessante neue Nachbarschaft zwar als fremd, aber nie als störend empfunden hat. „Gefährlich? Nein gefährlich wurde es hier trotzdem nicht. Die Kinder haben miteinander gespielt, man hat sich verstanden.“

In der Kneipe Piccollo gegenüber des Bürgerkrugs ist während unseres Spaziergangs durch die Straße schon richtig was los. Dabei ist es erst 14 Uhr. Sind das auch Nostalgiker, die da drin sitzen? Gestrige?

Wenige Meter vom Hotel Bürgerkrug kann man rechts in einen alten Hinterhof einbiegen. Reingeguckt hat dort jeder schon mal, der vorbei spaziert ist. Hier prallen Vergangenheit und Gegenwart aufeinander. Früher deutsch. Heute türkisch.

Fritz Finke hört hier quasi noch das Hufgeklapper. Der alte Spediteur Wilhelm Hemsoth, dessen Schriftzug noch in verblasstem Blau über dem Kopfsteinpflaster thront, hat sein Fuhrunternehmen in den Anfangsjahren hier noch mit Pferden betrieben. Heute ähnelt die Hofeinfahrt einem Basar. Ein türkischer Export-Laden und ein Supermarkt sind vertreten.

Einfach nur bunt

Bunt. Einfach nur bunt. Mit Schriftzügen auf den Ladenfenstern, die einem die Zunge brechen würden – wenn sie denn einen Knochen hätte.

Wir haben uns entschlossen, kein Bierchen mehr trinken zu gehen. Traurig genug wäre der Anlass aber. Wir blicken nämlich auf das alte Gloria-Kino. „Karl May“, flüstert Fritz Finke, „1963“. Das Gloria habe Schwung in die Straße gebracht, die früher länger war und in die Wehringhauser Straße mündete.

Er nimmt eine Prise Schnupftabak. „Kommen Sie, fahren wir nach Hause.“ Vorbei an „Porno Möller“. Zurück in die Gegenwart.