Hagen. . Statistiker müssen die Zahlen beherrschen, aber sie für die Menschen übersetzen. Alle zwölf Monate wird die „Zahl des Jahres“ gekürt. Martin Schlegel, Statistiker aus Hagen, zählt zu dem Gremium, das den Wust an Zahlen filtert.

Der Verband Deutscher Städtestatistiker kürt in jedem Jahr eine Zahl des Jahres. 2012 ist es die 81,6. Soviel Kilogramm Lebensmittel wirft jeder Bundesbürger im Laufe eines Jahres durchschnittlich weg, hat die Universität Stuttgart ermittelt. Martin Schlegel, Statistiker aus Hagen und Redaktionsleiter der Zeitschrift „Stadtforschung und Statistik“, gehört zu dem Gremium, das die Zahl des Jahres kürt. Schlegel hat früher für die Stadt Hagen Statistiken erstellt, nun ist er im Ruhestand. Doch die Zahlen lassen ihn nicht los.

Haben Sie als Kind schon gerne gerechnet?

Martin Schlegel: Ja. Ich war immer einseitig begabt. Latein fand ich furchtbar, weil auch der Lehrer mir nicht erklären konnte, wo ich Latein sprechen könnte. Außerdem habe ich von früher Kindheit an Schach gespielt.

Hat Statistik überhaupt etwas mit Mathematik zu tun?

Schlegel: Es gibt Universitätsstatistiker, die haben viele Formeln und rechnen. Die Kommunalstatistiker rechnen zwar auch, aber es geht bei ihnen darum, mehr zu wissen als der Kunde. Man muss aufhören zu rechnen, wenn der Kunde es nicht mehr versteht. Eine Faktoren­analyse ist eine schöne Methode, doch hilft es nichts, wenn kein Kommunalpolitiker sie versteht.

Sie sind also mehr ein Übersetzer für Zahlen?

Schlegel: Ja. Als Statistiker müssen wir die Zahlen beherrschen, aber sie für die Menschen übersetzen, die auf der Grundlage der Zahlen Entscheidungen treffen müssen.

Die Zahl des Jahres ist nicht nur eine Zahl. Interessieren Sie die Geschichten hinter den Zahlen?

Schlegel: Ja, es gibt eine moralische Dimension, die in diesem Jahr bei der ­Entscheidung relevant war. Meine Zahl des Jahres war eine andere: 500.000.000.000 - fünfhundert ­Milliarden (diese Zahl kam auf Platz 2). Damit kann der Euro­päische Rettungsschirm (ESM) klammen Euro-Ländern unter die Arme greifen. Das ist eine Zahl, die selbst zahlengewohnte Statistiker staunen lässt. Fünfhundert Milliarden, dafür müsste ein Großver­diener wie Michael Schumacher, der in seinen Glanzzeiten 50 Millionen im Jahr mit nach Hause nahm, 10.000 solcher Super-Jahre haben. Diese Zahl ist aber nur eine Menge, ein weiteres Highlight in der Dimension, die 81,6 Kilogramm weggeworfener Lebens­mittel dagegen kann sich jeder vor Augen führen. Jeder Mensch wirft in der Woche anderthalb Kilo ­Lebensmittel weg, das ist das, was im Handel und in den Haushalten in den Abfall wandert. Ich bin seit 30 Jahren in der Entwicklungshilfe aktiv, da lässt einen eine solche Zahl nicht unberührt.

Welchen Nutzen hat die Statistik für unsere Gesellschaft?

Schlegel: Zahlen können als Vehikel dienen, Dinge transparent zu machen. Und es ist wichtig, vor einer Diskussion und einer möglichen Ent­scheidung, alle Fakten zu kennen. Erst dann darf ich das Bauchgefühl zulassen und eine Diskussion auch emotional führen. Statistiken sind also notwendige Voraussetzungen für eine Entscheidung.

Geht es denn immer um Fakten?

Schlegel: Nein, auch bei Statistikern ist in manchen Fällen der „dicke ­Daumen“ dabei. Das heißt, die ­Gegebenheiten beeinflussen sich gegenseitig und wenn sich ein ­Faktor ändert, kann das Ergebnis ein ganz anderes sein. Zum ­Beispiel im Kreis der Steuer­schätzer, in dem renommierte Statistiker ­sitzen, wird auch diskutiert, wie ­etwas interpretiert wird. Letztlich hat das Ergebnis dieser Diskussion dann Auswirkungen zum ­Beispiel auf den Aktienmarkt. Und was die Politik mit den Zahlen in der Aus­legung macht, ist ein wei­teres.

Haben Sie eine Lieblingszahl?

Schlegel: Ja, die 19. Aber das ist eine ganz ­private Vorliebe. Als Statistiker ist mir nichts so im Gedächtnis geblieben, dass es etwas Besonderes ­wäre. Es kommen immer neue Zahlen.