Hagen. . In 2012 werden die Hagener nach Angaben des Blauen Kreuzes rund 13 Millionen Euro an Glücksspielautomaten verzocken. Produktionshelfer Murrat (28/Name geändert) ist spielsüchtig. Immer wieder führt ihn sein Weg in die Spielhalle. Auch, seitdem er sich einer Sozialtherapeutin Ulrike Schweitzer anvertraut hat.
„Oase“ steht in großen Buchstaben auf dem Schild. Eine Oase ist etwas Gutes. Eine Oase gibt Hoffnung. Eine Oase ist in der Wüste der Lichtstreif am Horizont. Diese Oase aber ist anders. Weil sie mit dem Zusatz Casino versehen ist.
Das Casino Oase und die 44 weiteren Spielhallen, die es in Hagen gibt, stehen auch für finanziellen Ruin, für Verzweiflung und für zerbrochene Familien. Der Lichtstreif für Glücksspielsüchtige liegt gegenüber der Oase. Dort befindet sich die Beratungsstelle des Blauen Kreuzes.
40.000 Euro verspielt
Knapp 13 Millionen Euro werden die Hagener 2012 verzocken. Murrat (28/Name geändert), Produktionshelfer in einer Fabrik, ist einer von ihnen. Um die 40.000 Euro, so sagt der junge Türke, habe er in den letzten vier Jahren verspielt. So genau weiß er das nicht. Rund 10.000 Euro Schulden hat er angehäuft. Würde er nicht mietfrei bei seinen Eltern wohnen, wäre es vermutlich mehr als das Doppelte.
Immer wieder führt ihn sein Weg in die Spielhalle. Auch, seitdem er sich der Sozialtherapeutin Ulrike Schweitzer anvertraut hat. „Das ist wie der Zwang etwas zu essen oder zu trinken“, sagt Murrat, der es geschafft hat, fünf Tage lang kein Geld in einen Automaten zu werfen, „ich kann das einfach nicht kontrollieren, auch wenn ich es mir anders vornehme.“
Mit Arbeitskollegen zum ersten Mal in der Spielhalle
Mit Arbeitskollegen war er zum ersten Mal in einer Spielhalle. Anfangs gelegentlich. Dann regelmäßig. „Einmal habe ich 5600 Euro gewonnen, fünf Wochen später war davon kein Cent mehr übrig“, erzählt Murrat, „wenn ich mal 500 Euro verspielt habe, war mir das nicht bewusst. Erst wenn die Gewinnebeträge vierstellig wurden, habe ich darüber nachgedacht, sie aus dem Automaten zu holen.“
Das Glücksspiel wurde zum Teufelskreis. „Wir sind vor der Arbeit gegangen und nach der Arbeit“, sagt Murrat. „Wir sind vom Spätdienst aus immer wieder zu einem Autohof in der Nähe von Paderborn gefahren, haben Nächte durchgespielt und sind dann wieder zum Spätdienst, ohne ein Auge zugemacht zu haben. Das ist die Realität.“
Nachts geht es in Hagen hinter verschlossenen Türen weiter
In den Städten ist offiziell um 1 Uhr nachts Schluss. Doch das stört auch viele Hagener Spielhallenbetreiber herzlich wenig. „Vorne wird offiziell dicht gemacht, hinter verschlossenen Türen aber geht es weiter“, erzählt Murrat. „In all den Jahren habe ich nicht eine einzige Kontrolle erlebt. Ich habe das Gefühl, dass es hier niemanden interessiert, dass Menschen kaputt gehen.“ Fast 3,5 Millionen Euro Glücksspielsteuer fließen pro Jahr ins leere Stadtsäckel.
Süchtig war Murrat schnell. „Aber es hat lange gedauert, bis ich mir das eingestanden habe“, erzählt er. „Monatelang habe ich meine Freundin belogen. Eigentlich haben wir uns täglich getroffen. Als ich begonnen habe zu spielen, ging das ja nicht mehr.“
Körperlicher und psychischer Zusammenbruch
Im April dieses Jahres bricht Murrat zusammen. Körperlich und psychisch. „Ich hatte einfach keine Kraft mehr“, sagt Murrat. „Das Schlafdefizit war riesig. Ich bekam Panikattacken.“ Nach der Nachtschicht wurde er in ein Krankenhaus eingeliefert. Im Internet suchte Murrat Hilfe und fand das Blaue Kreuz.
„Junge Migranten sitzen besonders häufig in den Spielhallen“, so Ulrike Schweitzer, die für Murrat einen Antrag auf eine stationäre Therapie in einer Spezialklinik gestellt hat, „allerdings kommen sie kaum in unsere Beratungsstelle. Sie tun sich schwer, Hilfe in Anspruch zu nehmen.“
Murrat hat Träume. Er will sein Leben in den Griff bekommen. Und er hat die Vision von einem eigenen Haus, in dem er eines Tages leben möchte. Die stationäre Therapie – sie soll seine persönliche Oase werden.