Hagen. . NRW-Innenminister Ralf Jäger hat den Einsatz der Paten und Polizisten beim zweiten landesweiten Blitz-Marathon gelobt. Im Herbst soll ein weiterer folgen. In Hagen brach am Dienstag jedenfalls die große Langsamkeit aus. Fahrzeuge krochen durch die Stadt.

Die Verkehrsexperten landauf, landab stellen sich die Frage, wie groß der Lerneffekt nach dem zweiten Blitz-Marathon in NRW ist. Eine Frage, die nicht einfach zu beantworten ist. In Hagen brach am Dienstag jedenfalls die große Langsamkeit aus. Fahrzeuge krochen durch die Stadt. Der Frühdienst der Polizei meldete: „62 Kontrollpunkte, 2298 Pkw ins Visier genommen, davon 107 Verkehrsverstöße. In 4 Fällen Ordnungswidrigkeiten begangen.“ Bei den Beteiligten, Polizei und Bürger, herrschte Einstimmigkeit: Um Wiederholung wird gebeten!

Es sind wenige, die an diesem Tag in Hagen zu viel Gas geben. Darunter ein Senior, der als Tegtmeier-Doppelgänger durchgehen könnte. Sichtbar peinlich ist es ihm, dass er nahe einer Grundschule 1 km/h zu schnell unterwegs war. Es bleibt bei einer Ermahnung. Dann legt er den falschen Gang ein und ruckelt mit seinem Citroën kreischend über die Karl-Ernst-Osthaus-Straße von dannen. Mütter, die ihre Kinder abholen, winken den Beamten lächelnd am Kontrollpunkt zu, den Daumen nach oben erhoben.

Mit gefühlten 25 km/h versuchen Autofahrer in Hagen, von A nach B zu kommen. Eine Genugtuung für Michael Mohn. Der ist Blitz-Pate. Den Begriff „Wutbürger“ hört der 37 Jahre alte Feuerwehrmann gar nicht gern. Seit elf Jahren lebt er in der Elmenhorststraße in Hagen-Emst. Eine Bürgerinitiative, die vor zweieinhalb Jahren dafür gesorgt hat, dass aus der Rennstrecke eine Anliegerstraße wird, hat ihn gebeten, „endlich ein Zeichen“ zu setzen. Der Kinder wegen.

Eine willkommene Abkürzung

„Schilder sind geduldig“, sagt Mohn beim Blick auf die Straße, die durch parkende Fahrzeuge verengt wird. Sie sei eine willkommene Abkürzung für „Auswärtige“ zwischen den Stadtteilen Emst und Delstern. „Und viel zu oft rollen sie zu schnell den Hang hinab.“

Der Vater zweier Kinder ist froh, dass Reimund Gieß und Susanne Kellner ihre Arbeit tun und die Laserpistole demonstrativ im Anschlag halten. Über Verkehrsexperten wie Michael Schreckenberg von der Uni Duisburg-Essen, der den Blitz-Marathon zur besten Sendezeit im „WDR“ als „Show-Effekt“ und „Eintags-Phänomen“ bezeichnet, kann Mohn nur den Kopf schütteln. Das sei unverantwortlich. „Wir brauchen mehr solcher Aktionen.“ Worte wie „Prävention“ „Sensibilisierung“ und „Nachhaltigkeit“ fallen.

Der Überbringer von Todesnachrichten

Eine Stunde vergeht. Kein einziger Raser weit und breit.

Polizist Bodo Gleiß, Leiter der Hagener Verkehrsinspektion, ist seit 34 Jahren im Einsatz. Für ihn ist die gezielte Invasion der Laserpistolen „ohne Zweifel“ ein Erfolg. „Das Geschwindigkeitsniveau hat sich seit der Bekanntgabe des Blitz-Termins spürbar gesenkt. Und das wird noch einige Tage so anhalten“, sagt der Beamte, den Fahrer, die von „Abzocke“ sprechen, wütend machen. Gleiß darf wütend werden. Sehr sogar. Er ist seit Jahren Überbringer von Todesnachrichten nach tragischen Verkehrsunfällen. „Da brechen Welten zusammen, wenn man Eltern sagen muss, dass ihr Sohn oder ihre Tochter nicht mehr nach Hause kommen werden.“ Schwer zu verdrängen seien die fassungslos dreinblickenden Gesichter. „An manchen Tagen überkommt mich der Gedanke: Hoffentlich macht niemand die Haustür auf.“

Der Blitz-Marathon allein, weiß Gleiß aus Erfahrung, reiche nicht aus, um der nachlassenden Verkehrsmoral und der einhergehenden steigenden Zahl der Verkehrstoten entgegenzutreten. „Dazu gehören weitere Puzzleteilchen“, sagt er und meint damit vor allem das NRW-Projekt „Crash-Kurs“, das er in Hagen mitgestaltet. „Wenn Fahranfängern in den Aulen der Schulen schockierende Bilder gezeigt werden, wenn sie erfahren, was es heißt, eine Todesnachricht zu überbringen, wenn sie erzählt bekommen, wie ein unachtsamer Augenblick des Spaßes willen das Leben einer Familie zerstört, nur dann geht Jugendlichen in Fleisch und Blut über, welche Tragödien Rasen auslösen kann.“

Kaum hat Bodo Gleiß die Worte ausgesprochen, bremst ein junger BMW-Cabrio-Fahrer abrupt. Er hat Glück, die Laserpistole ist auf jemand anderes gerichtet.

Gleiß war bei vielen Blitz-Aktionen dabei. Aberhunderten. „Diejenigen, die sagen, ‘hab’ Mist gebaut’, sind mir die liebsten.“ Manchen aber sehe man schon im Gesicht an, dass ihnen alles egal ist. „Das sind die Gefährlichen.“ Und denen würde er am liebsten für immer den Führerschein entziehen.

Fragt man den Verkehrsexperten Bodo Gleiß (und das ist er zweifelsohne) nach dem Sinn des Blitz-Marathons, gibt er eine Antwort, die keine zweite Frage zulässt: „Wenn wir dadurch nur ein einziges Menschenleben retten können, dann haben wir unser Ziel erreicht.“