Hagen.

Gut in der Schule, fleißig im Job, schnell im Kopf – und trotzdem reicht das Geld nicht bis zum Monatsende. Mit den hochgelobten Tugenden kommt man heute nicht mehr selbstverständlich über die Runden. Hartz IV ist inzwischen für alle da – vom Aushilfsarbeiter bis zum Akademiker.

Nach dem Abitur lief es ganz gut bei Markus Düllmann (Name geändert), einem 38-jährigen Hagener. Die Ausbildung in der Buchhaltung fluppte, danach arbeitete er in dem Bereich. Bis es nicht mehr Büro sein sollte. Düllmann machte sich selbstständig – als PR-Berater. Drei Jahre hielt er sich über Wasser, dann kam ein Bruch im Privatleben. Er meldete Privatinsolvenz an.

Seit 2006 ist er arbeitssuchend. Er sucht engagiert. „Ich habe nie rumgehangen oder in den Tag gelebt“, sagt er. Ständig macht er sich einen Kopf um seine Situation, hat ein schlechtes Gewissen. Callcenter, Taxi, Kneipe – er hat sich durchgeschlagen und nebenbei Bewerbungen geschrieben für ,sicherere’ Jobs, gegen die Arbeitslosigkeit und das flaue Gefühl im Magen. „Andere jammern mir die Ohren voll und meinen, dass ich es doch gut habe.“

Es kostet Mühe, die soziale Fassade zu wahren

Düllmann empfindet es anders. „Es kann ja jeder seinen Job kündigen, wenn er meint, es sei so toll, arbeitslos zu sein.“ Einmal hat er die Notbremse gezogen. Als er in einem Betrieb vier Wochen Probe arbeiten sollte – ohne eine Form der Bezahlung. Mitten im Bewerbungsgespräch stand er auf und ging.

Es ist nicht nur das knappe Geld für Miete und Essen. „Man muss immer so tun, als wäre man nicht Hartz IV.“ Es kostet Mühe, die soziale Fassade zu wahren. Fußballstadion? „Womit denn?“ Essen gehen? „Kein Geld.“ Das frustriert. In Bewerbungsschreiben vermied er das Wörtchen Arbeitslosigkeit. „Der Arbeitgeber denkt doch, man ist nicht zu einem strukturierten Tag fähig.“ Ein Leben in Hab-Acht-Stellung. Obwohl er selbstbewusst auftritt, nagen die Zweifel an ihm.

Ein kleiner Rettungsanker war die Weiterbildung, die er im vergangenen Jahr auf eigene Initiative vom Jobcenter genehmigt bekam. Ein halbes Jahr „unter Gleichgesinnten“ – die Generation Praktikum, 35-Jährige, die noch nie eine feste Stelle hatten. Zwar gibt es die Lebenspartnerin und die Freunde, die ihm zuhören. „Aber sechs Jahre lang. . .?“

Nach der Weiterbildung kommt das Praktikum

Im Anschluss an die Weiterbildung macht er ein Praktikum. Die Angst zu versagen, wird so stark, dass er abbricht. Nach einer Weile kommt der Mut zurück. Übers Jobcenter gibt es ein Angebot. Ein Minijob. Es klingt okay. Er schreibt eine Bewerbung.

Es passt. Er tritt den Job in seinem alten Metier, der Buchhaltung an. Der Haken ist: Er fängt zur Monatsmitte an. Gehalt gibt’s erst – wie überall – am 31. Das Jobcenter zahlt am Ende eines Monats für den Folgemonat. Er bekommt einen Anhörungsbogen. Reinstes Behördendeutsch. 80 Euro hat er zu viel vom Jobcenter bekommen, „zu Unrecht“, wie ihm bescheinigt wird. Er schüttelt den Kopf. „Die haben mir den Job doch vermittelt.“ Der Tipp vom Amt lautet: finanziell überbrücken. Wovon?

"Ein schlechtes Angebot"

Insgesamt hat er dafür, dass er arbeiten geht, nun monatlich 160 Euro mehr. Die neue Chefin stellte in Aussicht, ihm ein „gutes Angebot“ zu machen: 700 Euro brutto für 17 Stunden. Das macht rund 560 Euro netto. In die Rentenversicherung zahlt der Arbeitgeber einen Pauschalbetrag ein. Vielleicht könne er noch einen zweiten Job machen? „Prima, wenn einem das jemand sagt, der selbst Kostüm trägt und einen Firmenwagen fährt.“ Düllmann hadert mit sich und dem ,guten Angebot’.

Bei der Arbeitslosenberatung, die er aufsuchte, kam eine Mitarbeiterin zu dem Schluss: „ein schlechtes Angebot“. Man riet ihm, das Gespräch mit dem Arbeitgeber zu suchen. Wenn der eine Vollzeitstelle vergibt, bekäme er immerhin einen Lohnkostenzuschuss vom Jobcenter gewährt.

Wenn er das Angebot nicht annimmt, läuft der Minijob weiter. Oder Markus Düllmann muss die Konsequenzen ziehen und kündigen. Beim Jobcenter bleibt er Kunde – so oder so. Denn selbst das ,gute Angebot’ reichte nicht zum Leben. Bei Kündigung muss Düllmann einen Antrag auf Aufstockung der Hartz-IV-Leistungen stellen – und wird dann wieder eine Nummer. „Wenn man einen Job hat, ist das anders. Dann gehört man dazu.“