Hagen. .

Es gibt viele gute Gründe, sich an der Kundgebung des DGB zum Tag der Arbeit am 1. Mai zu beteiligen - leckere Grillwurst, der sozialistische Büchertisch, das gezapfte Frühschoppen-Pils im Kreise der Werktätigen... Oder aber die Erkenntnis der Notwendigkleit, sich jetzt aber mal massiv mit Kolleginnen und Kollegen für faire Löhne, gute Arbeit und soziale Sicherheit einzusetzen.

Anne Sandner (DGB), Sven Bönnemann (IG Bau), Anne Gevers-Naundorf (GEW) und Thomas Köhler (ver.di) sagen auch nicht „Nein“ zu Pils und Bratwurst, nicht mal zum Büchertisch, aber zum Irrglauben an den Aufschwung, zu modernen Sklaventum, zu Ängsteschürerei, zu den negativen Begleiterscheinungen des Bildungspaketes und zum Arbeitsplatzabbau überhaupt.

Die meisten der
neu geschaffenen
Jobs sind auf
400-Euro-Basis

Die Organisationssekretärin Sandner entlarvt das Gerede von der langsam sich abzeichnenden Mehrbeschäftigung als sinnentleert: „Klar gibt es allmählich mehr Jobs, aber alle im prekären Bereich.“ 65 500 Hagenerinnen und Hagener sind in Lohn und Brot, jetzt sollen in 2010 noch mal 1000 dazu gekommen sein.

„Das ist eh schon nicht viel, die weitaus meisten dieser neuen Stellen sind aber allenfalls 400-Euro-Jobs,“ so Anne Sandner. Wenn aber nicht ordentlich verdient wird in einer Stadt wie Hagen, bleibt deren Kasse aber auch leer.

Die Wirtschaftskrise der vergangenen Jahre sei voll zu Lasten der Arbeitnehmer gegangen, vor allem die rapide gewachsene Zahl der Leiharbeitnehmer bade jedes Auf und Ab leidvoll aus. Die Krisenbewältigung hat in vielen Firmen die Arbeitszeitkonten der Belegschaften leergefressen, selten das Privatvermögen der Eigentümer.

Jetzt würden von interessierter Seite noch Ängste geschürt, wenn zum 1. Mai das Freizügigkeitsgesetz auch Arbeitnehmer aus Polen, der Slowakei, Tschechien oder dem Baltikum nach Deutschland lockt. Sven Bönnemann erinnert an das Gastarbeiter-Phänomen: „Damals haben auch alle Angst um ihren Job gehabt, als Italiener, Spanier, Portugiesen und dann die Türken kamen.“

Jetzt sei die Politik gefordert, mit Mindestlöhnen, wie sie sich beispielsweise auf dem Bau bewährt haben, Arbeitsplätze vor Billigkonkurrenz aus dem Ausland zu schützen: „Mindestlohn schafft und sichert Arbeit, vernichten tun sie andere“.

Informationen
zum Bildungspaket
sind äußerst spärlich –
vor allem für Ausländer

Wenn die Entsender von Arbeitskräften aus dem Ausland deutsches Lohnniveau zahlen müssten, würde dieses „moderne Sklaventum“ schnell unprofitabel. Es müsse allerdings besser kontrolliert werden. „Jeder jetzt einzustellende Schwarzarbeit-Kontrolleur finanziert seinen Arbeitsplatz quasi selber“, so Bönnemann.

Kurios finden es Anne Sandner und Anne Gevers-Naundorf, dass man sozial schwachen Familien und Hartz-IV-Empfängern keinen vernünftigen Umgang mit Geld attestiert - wiedermal pauschal. „Denn derselbe Personenkreis wird jetzt aufgefordert, zu Billig-Löhnen die Lücken zu füllen, die der Wegfall der Zivis zum Beispiel reißt,“ so Anne Sandner.

Dass die meisten anspruchsberechtigten Familien mit den spärlichen Informationen zum Bildungspaket völlig überfordert waren, kritisiert Anne Gevers-Naundorf. Vor allem Familien ausländischer Herkunft und sogenannte bildungsferne Familien bräuchten diese Hilfe.

Sie mit Gutscheinen zu diskriminieren, sei menschenverachtend - ebenso das Stigma, das man Schulkindern verleihe, die nur per gesponserter Nachhilfe das Klassenziel erreichen oder nur mittels Gutscheinen an der Klassenfahrt teilnehmen können. „Wobei die Lehrer dies am Anfang des Schuljahres schon attestieren müssen, dass der Hilfebedarf besteht,“ staunt Gevers-Naundorf.

Thomas Köhler hält
Sozialbereich
beim Sparen
für unantastbar

Thomas Köhler greift Anne Sandners Teufelskreis von den niedrigen Löhnen und den leeren Haushalten der Städte auf: „Wir können im Zusammenhang mit der Haushaltskonsolidierung über vieles streiten, aber doch nicht über den Sozialbereich!“

Schon jetzt mache sich ein eklatanter Personalmangel ausgerechnet im Fachbereich Jugend und Soziales der Stadt bemerkbar. Nur das Nötigste an Hilfen könne gewährt werden, es herrsche Überlastung und Unzufriedenheit im Kollegenkreis vor. Burn-Out-Vorträge der Gewerkschaft erführen Riesenzulauf, der Stand der Langzeiterkrankungen sei unvertretbar hoch.

An Prävention, vorbeugende Arbeit in Jugendzentren oder Beratungsstellen, sei schon lange nicht mehr zu denken.

Anne Gevers-Naundorf kann das ewige Gebet von der kommunalen Haushaltskonsolidierung und den Zwängen, die daraus angeblich resultierten, nicht mehr hören: „Für mich ist da viel vorauseilender Gehorsam der Stadtspitze dabei.“