Hagen.

Wenn Klaus Sohl von seiner Kindheit erzählt, dann kommen die Worte schleppend und gepresst über seine Lippen. Zu grausam, zu erdrückend sind die Erinnerungen an die Heime, in denen der Dortmunder aufwuchs.

Was er als Kind und Jugendlicher erlebte, das hat er daher aufgeschrieben. Seitenweise Demütigungen, Misshandlungen, Missbrauch. Denn Anerkennung, Zuneigung oder gar Liebe waren im einst katholischen Schutzengelheim in Eilpe nicht Bestandteil der Heimkindererziehung. Dort wurde Klaus Sohl im Alter von vier Jahren in die Obhut der Schwestern übergeben. „Ich kam aus dem Krefelder Säuglingsheim und war ängstlich und Bettnässer.

Mut gefunden, zurück nach Hagen zu kommen

Das war fatal“, erzählt Sohl. Seine Aufzeichnungen machen das deutlich: „Fürs Bettnässen wurde mir das Bettlaken zuerst um den Kopf gewickelt, damit ich mir den starken Uringeruch einpräge. Alle anderen Kinder wurden zur Abschreckung gerufen und mussten zusehen, wie ich dann von den Schwestern mit einem Rohrstock auf den nackten Körper meine Strafe erhielt.“ Trotzdem hat Klaus Sohl mit den Presseveröffentlichungen über die Missbrauchspraktiken in Heimen und Erziehungsanstalten den Mut gefunden, zurück nach Hagen zu kommen.

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„Ich habe mir das ehemalige Heim, das heute ein Wohnhaus ist, angeschaut. Der Fahrstuhl, mit dem wir in den Keller zum Teufel gebracht und dort eingeschlossen wurden, ist heute zugemauert.“

Vier Jahre lang sei er im Hagener Schutzengelheim geschlagen, missbraucht und gedemütigt worden. Als die Schwestern nicht mehr mit ihm fertig wurden, kam er mit zehn Jahren ins Pestalozzistift nach Hannover.

Angstzustände blieben bis heute

„Der Junge braucht eine strenge männliche Hand“, so geht es aus den alten Papieren hervor. Doch so streng wie in Hagen geht es in Hannover nicht zu. Klaus Sohls Heimkarriere endet schließlich 1973 in einem Dortmunder Lehrlingsheim – sein Lebensweg ist vorgeprägt. „Die Angstzustände haben sich wie ein roter Faden bis zum heutigen Tage durch mein Leben gezogen. Erst als ich Ende 2010 vom Runden Tisch erfuhr, wollte ich endlich über meine Kindheit reden.“

Doch überall dort, wo Sohl Hilfe erwartet, hat er das Gefühl, vertröstet oder nicht beachtet zu werden. „Schon im vergangenen Jahr habe ich einen Antrag auf Entschädigungsleistungen an das Erzbistum Paderborn gestellt. Erst jetzt erhielt ich die Zusage, dass der Antrag nach Bonn weitergeleitet wurde.“ Dort ist der Sitz des „Büros für Fragen sexuellen Missbrauchs im kirchlichen Bereich“.

Klaus Sohl fühlt sich unverstanden

Doch auch dieser erste Schritt wird mit gleichem Schreiben relativiert: „Eine Entscheidung, ob Leistungen gewährt werden, fällt die dafür zuständige Kommission in Bonn. Wegen der Fülle der dort vorliegenden Anträge ist es leider nicht möglich, einen Zeitpunkt für den Bescheid zu benennen“, teilt der bischöfliche Beauftragte Manfred Frigger dem ehemaligen Heimkind Klaus Sohl mit.

Und auch beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe, der Anträge auf Sachleistungen wie Psychotherapien und entgangene Rentenzahlungen bearbeitet, fühlt sich Klaus Sohl unverstanden. „Ich war in Münster und habe alles erzählt. Es war wie bei einem Verhör. Dabei hat man mir zu verstehen gegeben, dass ich Zeugen brauche. Als hätten wir damals als Kinder im Heim Adressen ausgetauscht. Ich wusste damals ja nicht einmal, dass ein Junge Namens Peter, der mit mir im Eilper Heim untergebracht war, mein Bruder ist.“

Bislang 440 Anträge

Das sieht LWL-Referatsleiter Matthias Lehmkuhl ganz anders. „Wir kümmern uns hier sehr intensiv um jeden Fall. Letztendlich geht es nicht um Beweise, sondern die Glaubhaftmachung reicht aus.“ Seit Jahresbeginn seien 440 Anträge in Münster eingegangen, die auf Entschädigungsleistungen aus dem 12-Millionen-Euro-Fonds abzielen. Dass bei der Fülle der Anträge eine Bearbeitung nicht von heute auf morgen möglich sei, müssten die Betroffen doch einsehen.

Leidensgenossen gesucht

Der Versuch, in Internetforen ehemalige Heimbewohner oder gar Verantwortliche zu finden, blieb für Klaus Sohl bislang erfolglos. „Ich kann mir gut vorstellen, dass die meisten Leidensgenossen einfach nicht mehr an die Torturen erinnert werden wollen, dass sie die schlimme Zeit verdrängen wollen.“ Klaus Sohl will das nicht. Er will offen über das Martyrium sprechen und er will sein Recht auf Entschädigung nutzen – wenn nötig, dann bis vor dem europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Daher lässt er sich jetzt auch vom Trierer Rechtsanwalt Robert Nieporte vertreten, der sich auf die Entschädigung von Missbrauchsopfern spezialisiert hat. „Viele Institutionen blocken erst einmal ab, wenn Akteneinsicht beantragt wird. Oft heißt es, dass die Unterlagen nicht mehr vorhanden sind“, so der Anwalt.

„Durch meine Heimunterbringung und die ständige Gewalt war es mir ein Leben lang nicht möglich, eine vernünftige Schul- und Berufsausbildung zu erlangen“, sagt Klaus Sohl. „Oft habe ich meine Arbeit wegen meiner Angstzustände verloren oder bin gar nicht erst genommen worden, weil mir der Mund beim Vorstellungsgespräch wie zugeschnürt war. So konnte ich kaum in die Rentenkasse einzahlen und lebe daher am Existenzminimum."