Hagen. Der Missbrauchsskandal um katholische Geistliche sorgt für Diskussionen und Verärgerung in den heimischen Gemeinden. Darüber sprachen wir mit Dieter Osthus, Pfarrer in St. Josef Altenhagen und Dechant für das Dekanat Hagen-Witten.

Frage: Am Osterwochenende haben Sie den Missbrauch zum Thema ihrere Predigten gemacht. Warum?

Dieter Osthus: Es ist auch die Karfreitagszeit. Da müssen wir als Kirche eine solche Debatte aushalten, bevor wir an Ostern Halleluja singen und feiern dürfen. Wir müssen uns mit den negativen Dingen beschäftigen und klar Stellung beziehen.

Frage: Warum aber tut sich die Kirche damit generell so schwer?

Osthus: Sagen wir es mal so: Die Kirche ist mit manchem zu spät dran. Kritiker betonen, dass jetzt, da das Bild der Kirche leidet, die Verantwortlichen Reue zeigen, Unrecht beim Namen nennen und Täter der Staatsanwaltschaft melden: Sie haben nicht unrecht. Eines wird jedoch aus den Stellungnahmen deutlich: Die Kirche stellt sich auf die Seite der Opfer. Kirchenvertreter bringen ihre Wut und ihre Abscheu angesichts der Vorfälle zum Ausdruck. Man kann dadurch Geschehenes nicht rückgängig machen. Doch mit der neuerlichen Positionsbeschreibung, auf der Seite der Opfer zu stehen, geht die Kirche einen Schritt in die richtige Richtung.

"Zu oft auf der Seite der Mächtigen"

Frage: Anders als in der Vergangenheit?

Osthus: Ja. In ihrer langen Geschichte stand die Kirche viel zu oft und viel zu lange auf der Seite der Mächtigen. Die katholische Kirche kann ihre Glaubwürdigkeit nur zurückerlangen, wenn sie an der - wie ich es nenne - Option für die Opfer festhält. Diese Positionsveränderung hat Kirche seinerzeit auch in Lateinamerika vollzogen, wo ich ja lange gewirkt habe. Für die Zukunft der Kirche in Europa und in Deutschland hängt viel davon ab, für welche Option sie sich nun entscheidet, auf welcher Seite sie steht. Insofern kann die augenblickliche Situation zukunftsweisend sein und zu einer Veränderung im Sinne Jesus und des Evangeliums führen.

Frage: Wie meinen Sie das?

Osthus: Wir sind eine Kirche der Menschen und damit der Sünder, die im Laufe ihrer Geschichte viele Fehler gemacht hat. Aber die Position Jesu war es nie, auf der Seite der Mächtigen zu stehen. Er hatte eine Empathie für die Schwachen. Das hat die Kirche lange aus den Augen verloren. Wenn sich das nun endlich ändert, liegt darin eine Chance.

"Neu ist die Häme"

Frage: Steckt hinter der Diskussion um Missbrauch durch Kirchenvertreter auch eine Kampagne?

Osthus: Um eines klarzustellen: Was geschehen ist, ist sehr schlimm. Der Missbrauch von Kindern und Jugendlichen ist unverantwortlich. Es ist aber nicht völlig neu, dass sexuelle Gewalt von Kirchenleuten in den Medien angeprangert wird. Neu ist neben der Häme der Versuch, eine Häufung der Fälle zu suggerieren, um dadurch die Kirche insgesamt, ihre Struktur, ihre Lehre und ihren Auftrag in Frage zu stellen.

Frage: Ist die Kirche zumindest in Deutschland damit in ihrer Existenz bedroht?

Osthus: Insgesamt wird die Sexualmoral der Kirche, die eine Säule der christlichen Gesellschaftsordnung ist, in Frage gestellt. Verstöße gegen diese Maßstäbe bedeuten jedoch nicht, dass diese zu beseitigen sind. Ich bin davon überzeugt, dass sie auch weiterhin Säulen für die Gesellschaft sein müssen. Woher sonst soll Orientierung kommen, wenn nicht aus dem christlichen Menschenbild?

"Missbrauch mit dem Missbrauch"

Frage: Sind aber nicht auch kirchliche Strukturen verantwortlich für die Missbrauchsvorfälle?

Osthus: Kritiker aber auch Vertreter der Kirche ergreifen die Gelegenheit zu betonen, Strukturen, Sexualmoral und Zölibat seien schuld an der gegenwärtigen Situation. Aus meiner Sicht ist das Missbrauch mit dem Missbrauch und eine gefährliche Desinformation, die am Ende Täter schützt. Vielleicht bietet die Aufdeckung der Vorfälle in Kirchenreihen die gesellschaftliche Chance, den Missbrauch nicht als Sensation zu nutzen, sondern darin einen Anschub zu Veränderung zu sehen.

Frage: Haben die Missbrauchsfälle Auswirkung auf die Kirchenaustritte in Hagen?

Osthus: Von einer Welle kann man derzeit noch nicht sprechen. Aber jeder Austritt ist schmerzlich. Sollte es wahr sein, dass Menschen wegen der Schuld der Kirche ihr den Rücken kehren, so tut mir das unendlich leid. Ich würde gerne mit diesen Menschen ins Gespräch kommen. Nicht, um sie zu bekehren, sondern um mit ihnen darüber zu sprechen, dass Kirche auch die Institution ist, die unermüdlich und authentisch Zeugnis gibt von der Wahrheit des Evangeliums.