Hagen. . Das Bündnis „Sozial gerechte Stadt Hagen“ setzt sich bereits im vierten Jahr für die Schwächsten in der Gesellschaft ein. Es werden Themen behandelt wie Kinderarmut oder Armut trotz Arbeit. Zur Weihnachtszeit traf sich unsere Zeitung mit den Köpfen des Bündnisses. Superintendent Bernd Becker, Dechant Dieter Osthus und DGB-Chef Jochen Marquardt bezogen zu verschiedenen Themen Stellung.

Die Bundesrepublik ist vergleichsweise ordentlich durch die Krise gekommen. Rein wirtschaftlich. Dafür haben sich im vergangenen Jahr neue Unsicherheiten herausgebildet. „Das vergangene Jahr war von den schwierigen welt- und europapolitischen Entwicklungen geprägt und hat auch seine Spuren im eigenen Land und in der eigenen Stadt hinterlassen. Die sogenannte Euro-Krise ist ein zentrales Element dieser Verunsicherungen. Schlägt sie auf die sich positiv entwickelnde Erholung der deutschen Wirtschaft durch, wird sie benutzt, um die sozialen Rahmenbedingungen für die Menschen infrage zu stellen?“ Diese Frage stellt das Bündnis in den diesjährigen Mahnworten.

Für erhebliche Teile der Bevölkerung stellt sich diese Frage weitaus konkreter: Denn diese Menschen müssen sich sehr genau fragen, wie sie mit ihren Mitteln über den Monat kommen wollen. „Die Angebote zur Hilfe werden immer mehr wahrgenommen“, sagt Bernd Becker und denkt dabei unter anderem an die Suppenküche, die verschiedenen Warenkörbe oder an die Angebote in Luthers Waschsalon. „Auch bei uns in Hagen sammeln Leute am Ende des Monats Flaschen, um über die Runden zu kommen. Das darf nicht sein“, so Becker.

Erklärtes Ziel des Bündnisses ist es, diesen gesellschaftlichen Missstand politisch zu beseitigen. „Solche Einrichtungen müssen in einem reichen Land wie Deutschland überflüssig werden.“ Dafür möchte sich Dechant Osthus einsetzen, weiß aber auch, dass viele Menschen auf diese Unterstützung angewiesen sind. „Wir sammeln hier in der St.-Josefs-Gemeinde beispielsweise Lebensmittel, die wir dann zur Verfügung stellen.“ Die Hilfe einzustellen wäre schließlich unbarmherzig.

Ungewöhnliche Zusammensetzung

„Unser Bündnis ist in dieser Zusammensetzung durchaus ungewöhnlich, auch wenn uns die soziale Frage gemeinsam beschäftigt“, weiß Bernd Becker. „Dennoch hat dieses Bündnis eine gewisse Strahlkraft.“ Diese soll dazu beitragen, gewisse Denkprozesse in Hagen anzustoßen. „Wir sind das soziale Gewissen der Stadt, das Dinge aufzeigen kann, ohne gleich fertige Lösungen in der Tasche haben zu müssen“, betont Dieter Osthus. „So sind wir dem Oberbürgermeister Jörg Dehm zum Beispiel ein guter Gesprächspartner. Der Oberbürgermeister bindet uns mit unserer Kompetenz durchaus ein.“

Einsatz fürs Sozialticket

„Wir haben uns im vergangenen Jahr stark gemacht für die Einführung eines Sozialtickets“, blickt Bernd Becker zurück. Allerdings war dieses Engagement nicht von Erfolg gekrönt. „Mit Enttäuschung haben wir den Beschluss des Hagener Rates zur Kenntnis genommen in unserer Stadt kein Sozialticket einzuführen“, heißt es in den Mahnworten. „Jörg Dehm ist durchaus sensibel für soziale Themen“, weiß Dieter Osthus. „Ein Oberbürgermeister ist jedoch auch gewissen Zwängen ausgeliefert.“ Auf diesem Nein möchte es das Bündnis nicht beruhen lassen. Jochen Marquardt möchte nun erst einmal die Pilotphase in anderen Städten abwarten und das Thema dann neu angehen. „Wir planen auf alle Fälle einige Veranstaltungen zu dieser Thematik.“

Schere zwischen Reich und Arm

„Es schmerzt uns aus christlicher und gewerkschaftlicher Sicht, dass sich die Schere zwischen Reich und Arm immer weiter öffnet und immer mehr Menschen unter immer schwierigeren Bedingungen ihr Leben organisieren müssen“, beklagt das Bündnis. So ärgert es Jochen Marquardt besonders, dass sich bei der Kinderarmut wenig tut. „Die Situation ist eher schlimmer geworden.“ Bernd Becker begrüßt diesbezüglich das Bildungs- und Teilhabepaket. „Das war ein richtiger Schritt, aber es muss deutlich nachgebessert werden und Bürokratie abgebaut werden.“

Soziale Gerechtigkeit

Soziale Gerechtigkeit ist eine gesamtgesellschaftliche Angelegenheit. Daher trat das Bündnis auch in Kontakt mit den anderen Glaubensgemeinschaften. „Der Tag der Religionen war ein guter Ausgangspunkt für den Dialog“, sagt Dieter Osthus. „Gerade unsere jüdischen Schwestern und Brüder öffnen sich da sehr.“

Osthus hat aber auch die Moscheevereine im Blick. „Ich frage mich, wie kann Glaube einen Beitrag zur Verständigung leisten? Ich möchte von den Moscheevereinen erfahren, was sie eigentlich glauben und wo Gemeinsamkeiten sind.“ Das Bündnis ist guter Dinge, dass ein besseres Miteinander gelingen kann. „In der deutschen Fußballnationalmannschaft gelingt das auch. Vor allem, weil es ein gemeinsames Ziel gibt“, so Becker.

Auch 2012 nach Lösungen suchen

Auch 2012 möchte das Bündnis wieder seine Stimme erheben und gemeinsam mit allen Interessierten nach guten Lösungen suchen. „Ein Grundproblem ist, dass die Aufgaben der Kommunen nicht ausreichend finanziert sind“, sagt Becker. Doch davon lassen sich die Kirchen nicht unterkriegen und stehen den Menschen weiter zur Seite. Die evangelische Kirche wird im kommenden Jahr zum Beispiel einen Bücherschrank an der Johannis-Kirche am Markt aufstellen, wo Jedermann sich Bücher kostenfrei ausleihen kann. Und Jochen Marquardt hat einen großen Wunsch für 2012: „Ich möchte, dass in Hagen Ideen tragen würden, weil sie gut sind und nicht weil die Not groß ist.“