Hagen. “Kleider machen Leute“, behauptete Gottfried Keller in seiner gleichnamigen Novelle aus dem Jahr 1874. An der Mode kann man den Menschen erkennen, meint auch der Hagener Soziologie-Professor Heinz Abels. Sie könne sogar zeigen, wie jemand denke, welche Partei er wähle oder ob er Ausländer hasse.
„Mode ist eine Sprache, die sehr viel über ihren Träger verrät und sogar darüber, wie sich eine Gesellschaft entwickelt.“ Das behauptet Heinz Abels (68), emeritierter Professor für Soziologie an der Fernuniversität Hagen.
An der Art, wie Menschen sich kleideten, wie sie sich unterhielten und welche Lokale sie besuchten, würden bestimmte Phänomene des gesellschaftlichen Wandels deutlich, so Abels: „Das sind keine zufälligen Erscheinungen.“ Aber Mode besitze auch eine sozialpsychologische Komponente: „Manchmal zeigt sie sogar, wie jemand denkt, welche Partei er wählt, ob er Ausländer ablehnt oder eben nicht.“ Mode sei ein Indikator für Erscheinungen des täglichen Lebens.
"Kleider machen Leute"
Deshalb entspreche die zum geflügelten Wort gewordene Novelle „Kleider machen Leute“ von Gottfried Keller aus dem Jahre 1874, in der ein Schneider aufgrund seines edlen Mantels für einen polnischen Grafen gehalten wird, auch heute noch der Wahrheit. Zwar könne man einen Menschen nicht mehr allein aufgrund der Kleidung einer bestimmten Klasse zuordnen, denn eine gewisse zwanglose Lässigkeit durchziehe heutzutage die Mode aller Schichten. Doch wer genauer hinsehe, erkenne die feinen Unterschiede; vor allem die oberen Zehntausend versuchten geradezu verzweifelt, sich von anderen gesellschaftlichen Gruppen abzusetzen: „Wenn alle Champagner trinken, trinken sie eben Jahrgangs-Champagner.“
Soziale Nähe
Unmodische Menschen gebe es im Grunde gar nicht, so Abels. Die Frisur, die Absatzhöhe der Schuhe, die Jeansmarke solle stets die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe und damit ein Bedürfnis nach sozialer Nähe zum Ausdruck bringen: „Man will demonstrieren, dass man dazugehört und sich von anderen Gruppen abgrenzt.“ Gerade Punker oder ähnliche Außenseiter, die eine vermeintliche Antimode zur bürgerlichen Welt zu vertreten beanspruchten, seien in Wirklichkeit „hochmodische“ Menschen. Selbst der Parka-träger mit der Schlabberhose bringe einen bestimmten Lebensstil zum Ausdruck: „Er will ein konventioneller Mensch sein, der Schickimicki ablehnt.“
Fashion Week in Kiew
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Andererseits wolle jeder Mensch durch seine Kleidung ausdrücken, dass er unverwechselbar sei. Dieses Verlangen nach Individualität zeige sich in kleinen Accessoires, etwa indem man zwei Knöpfe mehr am Hemd habe als die Klassenkameraden oder ein Handy einer anderen Marke. Mode definiere also sowohl Gruppenzugehörigkeit als auch Exklusivität.
Junge als Trendsetter
Trendsetter in Sachen Mode seien junge Menschen. Da wir in einer Gesellschaft lebten, die alles Jugendliche ausgesprochen attraktiv finde, versuchten Erwachsene, jeden „jungen“ Modestil zu kopieren, so Abels. Dies habe wiederum zur Folge, dass die Jugendlichen - im Bemühen, sich von den „Alten“ abzusetzen - stets auf der Suche nach neuen Lebensformen und einer entsprechenden Mode seien: „Sich selbst zu kleiden, ist das früheste Recht, das sich Kinder erkämpfen.“ Man dürfe nicht dem Irrtum verfallen, dass geschäftstüchtige Modemacher die Richtung vorgäben: „Sie greifen nur den Zeitgeist auf, der von der Jugend stets neu definiert wird.“
Dass Frauen mehr Modebewusstsein als Männer besitzen, kann Professor Abels nur bestätigen: „Sie haben ein höheres Bedürfnis an Präsentation, am Schönen und daran, Attraktivität zu erzeugen.“ Doch dieses Rollenbewusstsein wandele sich mehr und mehr: „Männer gehen inzwischen gern ins Modegeschäft, ohne sich von ihrer Frau beraten zu lassen. Und ich muss sagen: Sie machen das gut.“
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