Eckesey.
Das Wichtigste ist: trennen zu können. Der Nahttrenner ist ein kleines, aber unerlässliches Werkzeug: scharf wie eine Schere und spitz wie eine Nadel. Rutscht der einmal vom Faden ab, hat der feine Stoff ein Loch. „Deshalb muss man das können“, sagt Berta Pavlicenko (59) – und deshalb bringt sie das den Frauen gleich zu Anfang bei. Berta Pavlicenko ist die Konstante im Nähstübchen des Werkhofes am Standort Eckesey. Über die Arge ist sie selbst in Projekte dort gerutscht. Da sie gelernte Schneiderin ist, lag es nahe, sie für das „Nähstübchen“ zu gewinnen.
Die Frauen im Nähstübchen lernen nicht nur Zickzackstich und gerade Nähte, sondern darüber auch noch Deutsch. Sie kommen aus Russland, Kasachstan, Marokko, Griechenland und der Türkei. Viele haben keinen Berufsabschluss, eine von ihnen ist Tierärztin. In Deutschland darf sie nicht praktizieren.
Ohne ausreichende Sprachkenntnisse klappt das ohnehin nicht – plus die schwierige Jobperspektive. . .macht eine Qualifizierungsmaßnahme über die Arge: das Nähstübchen. „Zum Nähen haben die meisten Frauen einen Bezug, es ist ihnen nicht fremd“, sagt Sozialpädagogin Marion Stahl über die Projektidee.
Konzentriert sitzt Milla über ein Stück kariertes Baumwolltuch gebeugt – und trennt. Nicht, weil sie eine falsche Naht gesetzt hat, sondern weil aus dem ehemaligen Kissen eine Tasche werden soll. Taschen sind groß in Mode und können im Haus von „Möbel und Mehr“ im ehemaligen Villosa-Karree gleich in Gebrauch genommen werden.
„Wir recyceln Stoffe“, erzählt Pavlicenko und zeigt auf ein Regal, in dem sich ausgediente Grubenhemden stapeln. Selbst aus einer alten Weste wird noch ein Einkaufsbeutel mit Knopfleiste. Überall in Pavlicenkos Zimmer liegen Reste: Jeans, Kariertes und Gepunktetes, Rüschen und Schleifen. Stolz hält Fatma Sertkaya ein Jeansröckchen mit weißem Spitzenbesatz hoch. Das war mal eine Erwachsenenhose, jetzt ist es ein niedlicher Rock für Mädchen. Sie machen nur Einzelstücke – Taschen, Kissen, Kleider, Hemden, Deko – in geringer Auflage. Alles wird zum Selbstkostenpreis im hauseigenen Secondhandladen verkauft. Auch Fatma Sertkayas Kreation: ein Rock.
„Ich beschäftige mich gern mit Stoff und in der Türkei habe ich eine Art Ausbildung gemacht“, erzählt die 38-Jährige in passablem Deutsch. Wozu sie einen Sprachkurs braucht? „Ich wollte Grammatik lernen“, sagt sie. „Da habe ich noch viele Probleme.“ Am liebsten möchte sie als Schneiderin arbeiten und „zeigen, was man aus altem Stoff herausholen kann“.
Die meisten Frauen dagegen haben sowohl im Nähen als auch in der Sprache nur Grundkenntnisse. „Hier merken sie schnell, dass sie damit nicht allein dastehen“, nennt Stahl einen positiven Aspekt für die Frauen. Sechs Monate sind sie im Nähstübchen. Vor drei Jahren entwickelte der Werkhof die Qualifizierung mit der Arge als rolierendes System, bei dem jederzeit ein Einstieg möglich ist.