Hagen-Mitte. Zimmermänner brachte die Kirchturmspitze 1948 an. Warum wurde sie zerstört? Und wie würde man sie heute bauen? Ein Statiker erklärt es.
Die Bilder der Kirchturmspitze, die ein Wirbelsturm am vergangenen Donnerstag von der St. Elisabethkirche in Hagen riss und samt Kupferkreuz auf die Scharnhorststraße stürzen ließ, gingen durch ganz Deutschland. Wenige Tage nach dem Sturm kreisen große Fragezeichen über der wunderschönen Klosterkirche. Wie geht es weiter? Und wie konnte es geschehen, dass die gesamte Balkenkonstruktion der Kirchenspitze vom Dach gerissen wurde?
Man wollte ohnehin sanieren, allerdings ein Ornament in der Spitze des Turmes unterhalb des nun zerstörten Bereichs, berichtet Dechant Dieter Aufenanger, gleichzeitig Vorsitzender des Kirchenvorstandes. Die weggerissene Spitze auf dem Kirchturm, der in Steinbauweise errichtet wurde, bestand aus altem Balkenwerk mit dem bekannten Kreuz darauf. Gebaut in der Art, wie es Zimmermänner vor 76 Jahren taten.
1948 wurde das Dach der Kirche erneuert, weil es durch Luftangriffe beschädigt worden war. „Die Spitze war über eine Luke im flachen Dach des Turmes erreichbar. Ich nehme an, dass unter den Übergang zwischen Stein und Holzkonstruktion der Wind so stark gepackt hat, dass er die gesamte Spitze abgerissen hat“, so Aufenanger. Die Spitze lag quasi auf dem quadratischen Turm auf und war mit ihm verankert.
Unten in der Scharnhorststraße krachte die Kirchturmspitze unter anderem auf das Auto von Erik Krämer, der 15 Minuten vorher erst daraus ausgestiegen war. Dechant Aufenanger erklärt, dass das Erzbistum aktuell alle Dächer und Spitzen der Kirchen prüfe.
Im vergangenen November war wie aus dem Nichts das Dach des ebenfalls Elisabethkirche genannten Gotteshauses in Kassel eingestürzt und in das Kirchenschiff gekracht. Nach Berichten der Hessischen Allgemeinen und der Hessenschau wohl, weil der Leim an einem der Querträger des Kirchendachs sich aufgelöst haben könnte. Auch eindringende Feuchtigkeit habe eine Rolle gespielt.
Der Hagener Ingenieur Dr. Stefan Bild, der mit seinem Bruder Dr. Jürgen Bild und Ingenieur Oliver Gunkel das Ingenieurbüro Bild in Hagen führt, ist in den konkreten Fall der Elisabethkirche nicht involviert. Stefan Bild ist staatlich anerkannter Sachverständiger für die Prüfung der Standsicherheit (Fachrichtungen Massivbau und Holzbau). „Ich kann nur generell über die statischen Anforderungen solcher Kirchturmspitzen etwas sagen, die in einem europäischen Normwerk geregelt sind. Darin geht es unter anderem auch um die Verteilung von Windlasten. Wobei man in diesem Fall natürlich sagen muss, dass es ein außergewöhnliches Windereignis gewesen ist und so eine Kirchturmspitze eine Sonder-Geometrie ist. Man kann also nur versuchen, möglichst genaue Einschätzungen zu geben und versuchen, Windgeschwindigkeiten in Drücke umzurechnen und den Sicherheitsfaktor entsprechend zu erhöhen. Vermutlich würde man den Neubau heutzutage in einem Windkanal testen.“
Klar sei aber auch, dass man einen solchen Fall wie den tornadoartigen Wind vom Donnerstag nicht in eine Norm fassen könne. Beim Neubau einer solchen Kirchturmspitze seien alle Materialien denkbar. Darunter auch Holz und Stahl als tragendes Werk. „Man muss sich bei der Berechnung heute die Umgebungsbebauung anschauen. Wie viel Widerstand gibt es? Wie sind die Verankerungsmöglichkeiten? In diesem Fall der fast 100 Jahre alten Kirche spricht man oft von zimmermannsmäßigen Konstruktionen“, sagt Stefan Bild. Zimmermänner hätten in der damaligen Zeit verlässliche Arbeit geleistet und ihre Konstruktionen hätten Jahrzehnte, in diesem Fall ein Jahrhundert überdauert.
Kirche wird 100 Jahre alt
Im kommenden Jahr liegt die Grundsteinlegung der Eilsabethkirche 100 Jahre zurück. „Im folgenden Jahr war Richtfest, 1927 erfolgte die Fertigstellung des im neobarocken Stil errichteten dreischiffigen Sakralbaus nach einem Entwurf des Architekten und Kirchenbaumeister Georg Spelling (1858-1933). Zur Einweihung der Kirche am 18. April 1927 zelebrierten Franziskaner dort die erste heilige Messe“, berichtet das Stadtarchiv Hagen anlässlich der Sturmschäden auf seiner Facebookseite.
Und weiter: „Die Kirche wurden bei den britischen Luftangriffen auf Hagen am 1. Oktober 1943 und am 15. März 1945 schwer beschädigt: Das Kirchenschiff und der Glockenturm brannten aus. Am Wiederaufbau zwischen 1946-1948 und 1953 war der Architekt Dominik Böhm (1880-1955) beteiligt. Die gußeiserne Hauptglocke wurde 1954 vom Bochumer Verein gefertigt.
1965-1967 erfolgte die Renovierung des Chorraumes, 1980/81 des Kirchenbaues, das Kloster war 1972/73 unter Pater Willibald neu errichtet worden.“