Hagen. Kinder müssen lernen zu kämpfen. Wenn es Ernst wird, hilft ihnen keine Theorie. Ein außergewöhnliches Projekt an einer Grundschule in Hagen.

Na, so etwas! In der Turnhalle der Grundschule am Spielbrink in Hagen dürfen die Kinder miteinander kämpfen. Und zwar richtig und ernsthaft. „Ich lasse sie aufeinander los“, sagt Akis Soultanidis (39), der Trainer. Er wisse, dass Kampfsport in deutschen Schulen eigentlich nicht gern gesehen werde: „Aber bei mir wird gerauft, und zwar bis die Kinder an ihre körperlichen Grenzen kommen.“

Man muss natürlich gleich hinzufügen: Die Verletzungsgefahr ist äußerst gering, denn die Schüler kämpfen fast ausschließlich auf dem Boden. Und Schritte, Schläge und Würfe sind grundsätzlich verboten. Trotzdem geht die AG Jiu-Jitsu, die an der Hasper Lehranstalt angeboten wird, weit über die sonst üblichen Selbstverteidigungskurse an Schulen hinaus. „Wissen Sie, ich will keine Theorie“, sagt Soultanidis, der auch Trainer für Atemtechnik ist: „Wenn es ernst wird und ein Kind sich wirklich verteidigen muss, dann muss es wissen, wie das geht. Dann muss es das Kämpfen gelernt haben.“

Fragen an die Schüler unerwünscht

Die Schüler, Jungen wie Mädchen, dürfen nach Herzenslust miteinander ringen und sich austoben. Das gilt ebenso in der Mal-AG, auch wenn es hier nicht ums Kämpfen geht, sondern um Selbstentfaltung. „Um Kreativität, um Phantasie“, sagt Heike Herbertz-Kunert, die den Kurs leitet.

Heike Herbertz-Kunert lässt die Kinder ohne Vorgaben malen.
Heike Herbertz-Kunert lässt die Kinder ohne Vorgaben malen. © WP | Michael Kleinrensing

Die Mal-AG ist ebenso ungewöhnlich wie die Jiu-Jitsu-AG. Zwischen hohen Stellwänden abgeschieden von ihrer Umgebung, malen die Schüler das, was ihnen gerade in den Sinn kommt. Tatsächlich wirkt das Setting des Raumes wie eine Aufforderung, einfach mal loszulegen. Die Kinder malen ohne Vorgabe, sie überlassen sich ganz einem inneren Antrieb. „So gewinnen sie Vertrauen in ihre Schaffenskraft und Intuition“, sagt die Leiterin: „Das sind wichtige Skills für den einzelnen Menschen und die Gesellschaft.“ Noch nicht einmal gesprochen wird über die Bilder, Fragen an die Kinder, was sie denn mit ihren Werken darstellen wollen, sind unerwünscht.

Benni Jost, der stadtteilbekannte Sozialarbeiter

Hinter dem außergewöhnlichen AG-Programm steht Benni Jost, Schulsozialarbeiter der Grundschule Geweke, zu der die Spielbrink-Schule in Haspe gehört. Der 42-Jährige ist bestens vernetzt im Stadtteil, zudem arbeitet er bei „Kunst vor Ort“ und der „Phoenix Hagen Jugend“. In Haspe könne er all diese Funktionen miteinander vereinen, sagt Jost: „Und so eine innovative Angebotskultur für Kinder unserer Schule, aber auch den gesamten Stadtteil aufbauen und etablieren.“

Schulsozialarbeiter Benjamin Jost mit Konrektor Thorsten Kleineidam.
Schulsozialarbeiter Benjamin Jost mit Konrektor Thorsten Kleineidam. © WP | Michael Kleinrensing

Mittlerweile gibt es an der Grundschule eine große Bandbreite an AGs, neben Brazilian Jiu-Jitsu und Malen auch Basketball, Yoga, Skaten, Singen und die Atemschule. Weitere soziale Angebote runden das Angebot für Kinder und Familien am Standort ab, ergänzt wird es durch ein offenes Kinder- und Jugendprogramm an den Wochenenden: „Speziell die Open Sunday der Phoenix Hagen Jugend“, berichtet Jost. Dabei handele es sich um ein Spiel- und Bewegungsangebot mit Bewegungsstationen, Ballspielen, Skaten, Baseball, Tanz und Akrobatik bis hin zu Gesellschaftsspielen: „So erreichen wir wöchentlich bis zu 60 Kinder und ermöglichen ihnen, sinngebende Strukturen im außerschulischen Bereich für sich entdecken.“

Die institutionalisierte Kindheit

Mit der Vielzahl an Angeboten und Partnern will der Schulsozialarbeiter die soziale Teilhabe steigern und so eine positive Entwicklung in Haspe herbeiführen: „Die Netzwerkarbeit verbessert die Freizeitsituationen vieler Familien, wovon auch die lokalen Vereine profitieren“, sagt Jost: „Das ist eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten.“

Das unterstreicht Thorsten Kleineidam, Konrektor der Grundschule Geweke und verantwortlich am Standort Spielbrink. Die Aufgaben einer Schule seien heutzutage enorm vielschichtig, es gehe längst nicht mehr um reine Wissensvermittlung: „Vielmehr arbeiten wir mit multiprofessionellen Teams, das ist unsere Antwort auf den Wandel in der Gesellschaft.“ Die Kindheit sei inzwischen institutionalisiert, die meisten Kinder blieben viel länger in der Grundschule als früher: „Deshalb brauchen wir ein vielfältiges Angebot.“

Nicht zuletzt die außergewöhnlichen Arbeitsgemeinschaften an der Schule sorgen dafür, dass den Kindern bestimmt nicht langweilig wird. Man müsse sich immer auf die Suche machen und weiter denken, sagt Benni Jost.