Hagen. Vor welchen Herausforderungen eine Schule mit Sozialindex 9 steht, zeigen wir am Beispiel der Janusz-Korczak-Schule in Hagen-Wehringhausen.
Eine Tätigkeit an der Janusz-Korczak-Schule kommt nicht für jeden Grundschullehrer in Frage. Vor den Aufgaben, die sich hier auftürmen, könnte ein Pädagoge schier verzweifeln. Britta Dierkes sagt, sie möchte an keiner anderen Schule arbeiten: „Weil es hier ganz viele tolle Kinder gibt, die Schätze an Können mitbringen, die ich aus ihnen hervorholen möchte. Weil die Kinder viele tolle Fähigkeiten besitzen, die sie sonst nicht zeigen könnten. Weil ich hier mit Kollegen zusammenarbeite, die genauso gestrickt sind wie ich.“ Und ja, fügt sie hinzu, wer anders „gestrickt“ sei, der könne und wolle hier nicht arbeiten.
Britta Dierkes ist die Leiterin der Janusz-Korczak-Schule in Hagen und leistet - Sozialindex 9 hin oder her - mit ihrem Team außergewöhnlich gute Arbeit. Das wurde dem Kollegium erst kürzlich in der Qualitätsanalyse der Bezirksregierung Arnsberg bescheinigt. Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen sei der Unterricht hervorragend auf die Kinder abgestimmt, heißt es in der Bewertung durch die schulfachliche Aufsicht aus Arnsberg. „Frontalunterricht funktioniert heutzutage an keiner Schule mehr, aber hier erst recht nicht“, betont die für die Grundschulen in Hagen zuständige Schulrätin Iris Hellebrandt: „Dafür gibt es hier mit der individuellen Förderung große Erfolge.“
22 Erstklässler sprachen kein Wort Deutsch
Vor welchen Herausforderungen das Kollegium an der Janusz-Korczak-Schule steht, lässt sich schon daraus folgern, dass die 308 Kinder, die hier unterrichtet werden, 28 unterschiedliche Muttersprachen sprechen. Im vergangenen Sommer wurden 22 Jungen und Mädchen eingeschult, die zuvor keinen Kindergarten besucht hatten und kein Wort Deutsch verstanden.
Wieviel deutsche Kinder in einer Klasse säßen - vielleicht drei oder vier - sei ihr im Grunde auch völlig gleichgültig, sagt Rektorin Dierkes: „Erstens sprechen auch deutsche Kinder nicht immer grammatikalisch korrekt. Und zweitens geht es uns um das einzelne Kind als Persönlichkeit und nicht um dessen Herkunft. Kinder sind Kinder, der Mensch ist wichtig und die Familie.“
An der Janusz-Korczak-Schule sind die Dinge immer im Fluss und nie statisch. Inzwischen würden über 100 Kinder mehr unterrichtet als vor sechs Jahren, sagt Dierkes, und das ehedem vorherrschende Türkisch werde mehr und mehr vom Arabischen abgelöst. Die Lehrer und Lehrerinnen müssen Kindern gerecht werden wie dem syrischen Mädchen, das bei der Einschulung bereits (deutsche Texte) lesen konnte und jenen Jungen und Mädchen, die nicht Deutsch sprechen. Dabei helfen diverse Förderprogramme, die Bund und Land für Schulen in sozialen Brennpunkten aufgelegt haben.
Förderung der Mehrsprachigkeit
Doch an der Janusz-Korczak-Schule wird nicht um jeden Preis Deutsch gesprochen. Im Gegenteil: Auch die Herkunftssprachen der Kinder werden gestärkt. „Bei uns gibt es eine Sprache der Woche“, sagt die Schulleiterin. Die Förderung der Mehrsprachigkeit folgt dem Konzept, dem Kind und dessen Eltern ein Gefühl der Wertschätzung zu vermitteln. Im Sachunterricht, in dem der Wortschatz eine bedeutende Rolle einnimmt, ist die Vielfalt der Sprachen besonders gut nachzuvollziehen. Auf kleinen Plakaten, den „Wortspeichern“, werden Fachbegriffe wie Batterie, Fassung, Kabel oder Glühbirne aufgeführt und dann im Untericht in die jeweilige Herkunftssprache der Kinder einer Klasse übersetzt: „Und je besser ich die eigene Sprache spreche, desto leichter lerne ich Deutsch zu sprechen“, betont Dierkes.
Auch die Eltern werden in das Konzept miteingebunden, seit zwei Jahren trägt die Janusz-Korczak-Schule den Titel eines „Familien-Grundschulzentrums“. Im wöchentlich stattfindenden Elterncafé tauschen sich Eltern untereinander und mit den Lehrkräften aus, das fördert die Dialogkultur in der Schule und im sozialen Umfeld. Natürlich gebe es auch schwierige Kinder und schwierige Eltern, sagt Rektorin Dierkes: „Wer hat schon immer gute Laune! Aber wenn wir nach einem Gespräch auseinandergehen, dann in der Regel mit einem guten Nenner.“
Wer an der Janusz-Korczak-Schule unterrichtet, der ist Pädagoge, Sozialarbeiter, Erzieher, Elternersatz. Von allem etwas. Das muss man wollen, sagt Dierkes, so müsse man „gestrickt“ sein. Dann sei die Arbeit in diesem komplizierten Umfeld so erfüllend wie kaum eine andere.