Hagen. 1800 Tauben gibt es in Hagen. 600 davon leben im Bahnhofsviertel. Sie erhalten nun ein Medikament. Was das Ziel dahinter ist.

An fünf Tagen in der Woche kommt Mike Schaller aktuell an die Rampe am alten Turm der Arbeitsagentur und streut Futter aus. Auf der wegen Einsturzgefahr gesperrten Rampe landen Hunderte Stadttauben und picken es auf. Was sie nicht wissen, ist, dass diese seit Mitte April stattfindende Fütterung dafür sorgt, dass sie unfruchtbar werden. Denn in das Futter ist das Medikament Ovistop gemischt. Ursprünglich entwickelt zur Parasitenbekämpfung bei Masthühnern.

In die Mail zur Anfrage an das Hagener Veterinäramt hatte die Stadtredaktion den Betreff „Kampf gegen Tauben“ geschrieben. „Ich möchte ausdrücklich betonen, dass dies kein Kampf gegen Tauben ist“, sagt Dr. Andrea Piepenbrink, amtliche Tierärztin der Stadt Hagen. Der Einsatz des seit 2022 zugelassenen Mittels sei eine Aktion „Pro Taube“: „Wir reduzieren die Bestände und begrenzen dadurch auch die Zahl kranker Tiere“, sagt Andrea Piepenbrink.

Am Taubenturm am Graf-von-Galen-Ring kommen täglich Hunderte Tiere zusammen.
Am Taubenturm am Graf-von-Galen-Ring kommen täglich Hunderte Tiere zusammen. © WP | Michael Kleinrensing

Ausgewilderte Haustiere

Tauben, ausgewilderte Haustiere, hätten sich ihre Situation nicht ausgesucht. Die zu großen Populationen in der Innenstadt sind dauerhaft in Futternot. Sie lassen sich in Nischen oder Hausdächern nieder. Ihr Kot ist vielen Immobilienbesitzern ein Graus. In der Alleestraße in Altenhagen hatte ein Schwarm zuletzt ein komplettes Dachgeschoss eingenommen.

Konkret geht es zunächst um den 600 Tauben großen Schwarm am Hauptbahnhof. 1800 Tauben gibt es nach einer konkreten Zählung überdies im gesamten Stadtgebiet. Das Mittel wird rund um den Taubenturm am Bahnhof eingesetzt. „Der Schwarm ist darauf quasi dressiert, den Turm anzufliegen“, sagt Andrea Piepenbrink. Im Turm selbst ist allerdings nur Platz für 24 Taubenpaare. Die ständige Entnahme der dort gelegten Eier hat angesichts der kleinen Paarzahl nicht dazu geführt, dass die Population bedeutend kleiner geworden wäre.

Taubenkot ist im Hagener Bahnhofsviertel ein großes Problem.
Taubenkot ist im Hagener Bahnhofsviertel ein großes Problem. © WP Michael Kleinrensing | Michael Kleinrensing

Keine eigenständige Fütterung

Damit die Tiere nicht vor der Fütterung mit dem präparierten Futter gesättigt sind, bittet die Stadt Hagen alle Bürger darum, die Tiere nicht eigenständig zu füttern.

Ein Taubenturm beziehungsweise Taubenschlag bindet die Tiere an den Ort, sodass sie sich hauptsächlich in der Nähe des Schlages aufhalten. Mitarbeitende des Tierschutzvereins Hagen und Umgebung und der Tiernothilfe Hagen füttern die Tauben kontrolliert und tauschen täglich die gelegten Eier gegen Gipseier aus, um eine weitere Vermehrung der Tiere zu verhindern. Der Großteil des Schwarmes brütet jedoch in der näheren Umgebung, beispielsweise in privaten, offenstehenden Dachböden, Nischen, Balkonen und leerstehenden Gebäuden.

Deutsche Bahn arbeitet mit

Begleitet von einer betreuenden Tierärztin des Unternehmens „Tierschutzkonforme Kontrolle von Stadttauben“ (TKK Stadttauben) erhalten die Tauben am Turm seit Mitte April das Medikament „Ovistop“ über das Futter, mit dem sie fünf Tage in der Woche gefüttert werden. Das Projekt findet in Zusammenarbeit mit der Deutschen Bahn statt, die auch einen Raum zur Lagerung des Futters, das den Wirkstoff der Taubenpille enthält, zur Verfügung stellt.

In vielen Dächern, Nischen und Vorsprüngen der Innenstadt nisten Tauben.
In vielen Dächern, Nischen und Vorsprüngen der Innenstadt nisten Tauben. © WP Michael Kleinrensing | KLEINRENSING, Michael

Der Wirkstoff wurde ursprünglich als Medikament gegen einzellige Darmparasiten entwickelt. „Als Nebenwirkung tritt eine instabile Membran zwischen Eidotter und Eiweiß auf, wodurch die Entwicklung eines Embryos verhindert wird. Die Taube kann sich somit nicht mehr fortpflanzen“, erklärt die Stadt Hagen. Das Medikament ist bereits seit 2002 in Italien sowie zahlreichen weiteren EU-Ländern im Einsatz und darf seit Anfang 2022 auch in Deutschland eingesetzt werden.

Als Nebenwirkung tritt eine instabile Membran zwischen Eidotter und Eiweiß auf, wodurch die Entwicklung eines Embryos verhindert wird. Die Taube kann sich somit nicht mehr fortpflanzen
Stadt Hagen - zur Erklärung

Negative Nebenwirkungen nicht bekannt

Negative Nebenwirkungen bei Tauben, die mit „Ovistop“ behandelt wurden, seien nicht bekannt, so die Stadt. Ebenso seien keine negativen gesundheitlichen Auswirkungen auf andere (Wild-)Tiere und Beeinträchtigungen ihrer Fortpflanzungsfähigkeit aufgetreten. Im ersten Jahr der kontrollierten Behandlung der Tauben mit „Ovistop“ könne in der Regel eine Reduzierung der Population von 15 bis zu 20 Prozent erreicht werden, im dritten bis vierten Jahr sei eine Reduzierung der Ausgangspopulation von rund 70 bis 80 Prozent möglich. So entstehe innerhalb kurzer Zeit eine kleinere, gesündere Population.

Verwilderte Haustauben (Stadttauben) stammen ursprünglich von der Felsentaube, der Wildform, ab, deren natürlicher Lebensraum an felsigen Abhängen und Steilkanten zu finden ist. Durch die Domestizierung der Felsentaube vor mehreren hundert Jahren sowie die gezielte züchterische Auswahl entstand zunächst die Haustaube, die sich dem menschlichen Umfeld mit seinen steinernen Hausfronten optimal angepasst hat.