Hagen. Wenn der Rat den anstehenden Doppelhaushalt 2024/25 beschließt, tappt Hagen in die nächste Abwärts-Schuldenspirale.
Nach fast 19 Jahren an der Spitze der Hagener Kämmerei hätte sich Finanzdezernent Christoph Gerbersmann für seinen letzten vorgelegten Doppelhaushalt der Jahre 2024/25 sicherlich deutlich weniger politischen Gegenwind gewünscht.
Doch wenn der Hagener Rat an diesem Donnerstag über das finanziell taktgebende Zahlenwerk abstimmt, trägt dieses zwar noch die Handschrift des 58-Jährigen, doch entspricht nicht mehr seinem finanzpolitischen Credo: „Wir müssen in vertretbarem Rahmen alles versuchen, künftigen Generationen zusätzliche Schulden zu ersparen“, hält er es für einen gravierenden Fehler, nach elf Jahren Stabilität erneut auf eine Erhöhung der Grund- (von 750 auf 890 Punkte) und Gewerbesteuern (von 520 auf 530 Punkte) auf neue Rekordhöhen zu verzichten.
Stattdessen stehen im Jahr 2024 jetzt Ausgaben von gut 927 Millionen Euro viel zu knappe Einnahmen von lediglich 888 Millionen Euro (-39 Mio. Euro) entgegen. Im Folgejahr kommt es sogar noch dicker: Die Ausgaben klettern absehbar sogar auf 952 Millionen, während die Erträge lediglich 908 Millionen Euro erreichen (-44 Mio. Euro).
„Die Mehrheit des Rates setzt damit voll auf die Karte, dass der weiße Ritter kommt und uns rettet“, hält Gerbersmann dieses Vorgehen für allzu kurzsichtig. Denn auch ihm fehlt inzwischen der Glaube, dass Bund und Land sich in überschaubarer Zeit zu einer Altschuldenlösung für die notleidenden Kommunen zusammenraufen.
Zulasten der nächsten Generationen
Genauso stößt bei ihm die Entscheidung der Politik auf Unverständnis, seine im ursprünglichen Etatentwurf eingeforderte Erhöhung der Elternbeiträge für die Unterbringung ihrer Kinder in den Kindertagesstätten und im Offenen Ganztag an den Schulen abzulehnen: „Warum sollen die Kinder ihre Kita-Beiträge später selbst bezahlen, nur weil ihre Eltern heute nicht bereit sind, Gebührensteigerung von jährlich zwei Prozent mitzutragen?“
Diese zwei Prozent würden in seinen Augen keineswegs den Untergang des Abendlandes bedeuten, spiegelten aber eine Mentalitätsfrage wider: „Wir müssen jetzt schon was tun, um die Situation nicht völlig aus dem Ruder laufen zu lassen.“ Zugleich sieht Gerbersmann ein Glaubwürdigkeitsproblem in den künftigen Verhandlungen mit dem Land und dem Bund: „Das, was wir liefern, ist zu wenig – wir haben nicht alles Machbare getan.“
Wie dramatisch sich die Finanzlage in Hagen wieder entwickeln könnte, unterfüttert der Kämmerer mit einigen Perspektivzahlen: So wird sich durch den Verzicht auf die angedachten Steuererhöhungen das Defizit bis zum mathematisch absehbaren Haushaltsausgleich im Jahr 2031 zusätzlich um weitere 76,4 Millionen Euro erhöhen. Mit einem bilanziellen Minus von 250 Millionen Euro steht Hagen bis zum Jahr 2028 so schlecht da wie niemals zuvor. „Diesen Betrag können wir nur abbauen, wenn wir echte Jahresüberschüsse erzielen“, sagt Gerbersmann, „und die liegen selbst in einen Super-Jahr lediglich bei fünf bis acht Millionen Euro. Es ist also unvorstellbar, dass wir das jemals schaffen.“
Schulden wieder über Milliarden-Marke
„Auch die Milliardengrenze bei den Kassenkrediten (Anm.d.Red.: städtischer Dispo) werden wir wieder deutlich knacken“, blickt der Finanzdezernent weiter in die düstere Finanzzukunft der Stadt. Hinzu komme das deutlich höhere Zinsniveau als in den Vorjahren. Diese Lasten dürften sich bis 2026 bereits verdoppelt haben und im Jahr 2028 schon bei 30 Millionen Euro zugunsten der Banken liegen.
Angesichts einer fortwährenden Abwärtsspirale, die weiter in eine frustrierende Perspektivlosigkeit führt, möchte Gerbersmann nichts unversucht lassen, zur entscheidenden Ratssitzung der Politik noch einmal eindringlich und mahnend den Spiegel vorzuhalten.
Dass Hagen angesichts des prekären Lage überhaupt wieder neue Schulden auftürmen darf, ist letztlich einer Gesetzesänderung zu verdanken. Diese besagt, dass der Etat einer überschuldeten Kommune wie Hagen – trotz aktueller neuer Defizite – durchaus genehmigungsfähig ist, wenn die mittelfristige Finanzplanung aufzeigt, dass spätestens nach zehn Jahren der Haushaltsausgleich wieder gelingt. Für diese Vorausberechnungen sind die Orientierungsdaten des Landes Nordrhein-Westfalen maßgeblich, anhand derer alle Gemeinden gehalten sind, ihre perspektivischen Hochrechnungen auszurichten.
Doch die Belastbarkeit dieser finanzpolitischen Leitplanken wird von zahlreichen Kämmerern im Land stark angezweifelt. „Die Orientierungsdaten sind mit reichlich Zweckoptimismus der Landesregierung versehen“, formuliert Gerbersmann bewusst diplomatisch. Er habe eine „berechtigte Skepsis“, dass es nicht gelingen werde, das Zehn-Jahres-Ziel zu erreichen: „Wenn die Orientierungsdaten so nicht kommen, werden wir den Ausgleich in keinen Fall schaffen. Dafür ist unser Haushaltssicherungskonzept aufgrund der Entscheidungen der Politik nicht substanziell genug.“
Mit der Verabschiedung des Haushalts in der Ratssitzung an diesem Donnerstag, 11. April, (15 Uhr, Ratssaal), geht das Zahlenwerk zur Kommunalaufsicht nach Arnsberg. Dort sollte, so wird in Hagen erwartet, die endgültige Genehmigung des Etats in den Sommermonaten erfolgen.