Hagen. Das Thema Baumfällungen ist in Hagen heikel. Wo immer es derartige Eingriffe gibt, muss Ausgleich geschaffen werden. So funktioniert‘s.

Ende Februar hat die Saison für Motorsägen geendet. Vom 1. März bis zum 30. September dürfen Hecken, Bäume und Büsche in freier Landschaft nach dem Bundesnaturschutzgesetz nicht mehr ohne weiteres beseitigt werden.

Für Gärten gibt es Ausnahmen, Gartenbesitzer in Hagen dürfen bei Hecken vorsichtige Pflegeschnitte durchführen. Von dieser Regelung profitieren Vögel und Insekten, aber auch Baumbewohner wie Marder und Eichhörnchen.

Hagener Bürger sind aufmerksam und sensibel, wenn es um den Schutz von Bäumen und Natureingriffe geht. Heftige Protestaktione flammten nach dem Beitrag der Lokalredaktion über die geplante Fällung der 110-jährigen Roteiche am Hengsteysee auf. Diese sollte im Zuge der Neuplanung des Radweges gefällt werden und ist durch die Proteste zunächst vor der Motorsäge gerettet worden. Auch bei neuen Wohngebieten, z. B. Im Langen Lohe auf Emst - unsere Zeitung hat berichtet – mussten trotz kritischer Hinweise von Bürgern Bäume weichen.

Ausgleich für Verlust

Immer wenn durch den Bau von neuen Gebäuden, neuen Straßen oder Leitungen, Windkraftanlagen im Wald oder Sonstigem ein Stück unbebaute Natur, eine Wiese, Waldfläche oder ein Acker verschwindet, muss dieser Verlust an anderer Stelle ersetzt oder ausgeglichen werden. Die Idee dahinter ist, dass sich Natur und Landschaft in Summe nicht verschlechtern sollen. Die gesetzliche Grundlage der Eingriffsregelung ist im Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) und im Baugesetzbuch (BauGB) geregelt.

Zu sehen ist eine Ausgleichsfläche vor geschützter Naturhecke in Fley. Stauden und Gräser werden bald wieder das Areal begrünen.
Zu sehen ist eine Ausgleichsfläche vor geschützter Naturhecke in Fley. Stauden und Gräser werden bald wieder das Areal begrünen. © WP | Winfried Hoppmann

Aber es gibt auch weitere Regelungen, je nachdem, ob das Bauvorhaben in der freien Landschaft, im Wald oder ein Baugebiet ist. Bei Baumaßnahmen nach Baurecht müssen z.B. Flächen für sogenannte naturschutzrechtliche Ausgleichsmaßnahmen vorgesehen werden.

Die Eingriffe werden dabei im Auftrag des Investors begutachtet und bewertet. Ein Bewertungsverfahren des Landes NRW ermöglicht dabei eine Bilanzierung der Eingriffe und entsprechende ausgleichende Maßnahmen mit Hilfe von Ökopunkten. Der Gesamtbiotopwert mit einer artenreichen Mähwiese ist dabei z.B. deutlich höher als bei einer intensiv beackerten Landwirtschaftsfläche.

Natur soll sich entwickeln

„Im Ergebnis ist es so, wenn ein Bebauungsplan im baulichen Außenbereich aufgestellt wird, steht immer am Ende, dass irgendwo anders ein Ausgleich geschaffen wird. Idealerweise in unmittelbarer Nähe“, erklärt Kai Gockel, Abteilungsleiter der Unteren Naturschutzbehörde und stellvertretender Leiter des Umweltamtes Hagen. Auf Ausgleichs- und Ersatzflächen müssten deshalb Maßnahmen durchgeführt werden, wo sich Natur richtig entwickeln und „austoben“ könne. Im Amtsdeutsch heißt das, die Ausgleichsfläche muss ökologisch deutlich aufwertet werden.

Wir prüfen, ob die vorgelegte Eingriffsbewertung und die daraufhin geplanten Ausgleichsmaßnahmen fachlich und rechtlich korrekt sind.
Kai Gockel - Stellvertretender Leiter des Umweltamtes Hagen

In die Bewertung von vorgeschlagenen Ausgleichsmaßnahmen ist die Untere Naturschutzbehörde in Hagen direkt eingebunden. „Wir prüfen, ob die vorgelegte Eingriffsbewertung und die daraufhin geplanten Ausgleichsmaßnahmen fachlich und rechtlich korrekt sind“, erklärt Gockel.

Gründächer als Ausgleich

Allgemein kann als Ausgleich Folgendes infrage kommen: die Pflanzung von Feldhecken, Obstbäumen, heimischen Laubbäumen, das Anlegen einer extensiven Blumenwiese, die Entsiegelung von Flächen. Aber auch zusätzliche Festlegungen im Bebauungsplan sind möglich, z.B. Gründächer für Gebäude, die zu weniger Ausgleichsmaßnahmen führen können.

Die Renaturierung ist eine tolle Sache. Wir haben aber mittlerweile keine Flächen mehr in Hagen, wo wir Wald anpflanzen können.
Antje Selter - Vorsitzende des Naturschutzbeirats

Dem Naturschutzbeirat in Hagen, einem Gremium, in dem unter anderem Vertreter der Umweltverbände sitzen, werden die wichtigsten Entscheidungsgegenstände der Naturschutzbehörde vorgetragen und zur Beratung gestellt. „Die Renaturierung ist eine tolle Sache. Wir haben aber mittlerweile keine Flächen mehr in Hagen, wo wir Wald anpflanzen können“, erklärt Antje Selter, engagierte Vorsitzende des Hagener Naturschutzbeirates. „Wir leben in einem Klimawandel, und dann für die geplante Fällung der alten Roteiche am Hengsteysee drei junge Ersatzbäume zu pflanzen, reicht nicht aus. Wir müssen gucken, dass wir so viel wie möglich CO2-Aufnehmer haben“.

Schwere Flächensuche

Tatsächlich wird es immer schwieriger, in der waldreichen Stadt Hagen geeignete Ersatz- oder Aufforstungsflächen zu finden. Für Aufforstungsmaßnahmen ist jedoch nicht die Stadt Hagen, sondern das Regionalforstamt Gelsenkirchen verantwortlich. Der Hagener Naturschutzbeirat kann bei Ausgleichsmaßnahmen Alternativvorschläge machen, hat aber nur eine beratende Funktion. Letztendlich entscheidet bei der Bauleitplanung der Rat der Stadt Hagen über Art und Umfang der Ausgleichsmaßnahmen. „Die Vorschläge des Naturschutzbeirates bringen wir in diesen politischen Abwägungsprozess ein“, betont Kai Gockel.

Ich bin schon froh, dass Ersatz- und Ausgleichsmaßnahmen hier in Deutschland durchgeführt werden.
Antje Selter - Vorsitzende Naturschutzbeirat

Warum werden Ausgleichsflächen extensiv gepflegt bzw. einmal im Winterhalbjahr gemäht? Damit soll die Artenvielfalt gefördert werden, da die Flächen ohne extensive Pflege im Laufe der Jahre verbuschen würden. Besonders Insekten, Vögel und seltene Tierarten fühlen sich auf einer Wiese mit Hochstauden und verschiedenen Blühpflanzen wohl. Ein Plus für die Artenvielfalt. „Wir wollen verschiedene Flächen haben, freie Flächen, Strauchflächen. Ich bin schon froh, dass Ersatz- und Ausgleichsmaßnahmen hier in Deutschland durchgeführt werden“, freut sich Antje Selter, „wir haben hier im Land hohe Anforderungen. Aber der Ausgleich ersetzt nicht immer den Nachteil, den eine bauliche Maßnahme bringen kann.“

Bußgelder bei Verstoß

Damit die Natur sich entfalten kann, dürfen Ausgleichsflächen nicht privat als Gartenland genutzt werden. Das Mähen, die Beseitigung von Sträuchern oder das Entsorgen von Schnittgut sind unzulässig. Bei Verstößen – es drohen Bußgelder bis 50.000 Euro - greift die Untere Naturschutzbehörde ein und ist für die Bürger auch der erste Ansprechpartner.

Eine besondere Aufwertung gilt dabei für Ausgleichsflächen, die größer als 500 Quadratmeter sind, sie sind automatisch geschützte Landschaftsbestandteile. In Hagen beträgt die Gesamtfläche der nach Landschaftsplan geschützten Landschaftsbestandteile ohne Streuobstwiesen und Ausgleichs- und Ersatzflächen bereits ca. 147 Hektar. Die Gesamtfläche der Naturschutzgebiete in Hagen beträgt ohne Streuobstwiesen ca. 575 Hektar.