Hagen. Kommt die Entwicklung des ÖPNV in Hagen zum Erliegen? Die Verwaltung will die Mittel für ein Gutachten sparen. Die Hintergründe.
Es hat etwas von Romantik. Davon, dass diese Stadt einen Fehler, der vor mehr als 40 Jahren begangen wurde, wiedergutmachen möchte. Der Neubau einer Straßenbahn in Hagen war bis zuletzt eine ernsthafte Option. Eine von zumindest zwei Möglichkeiten, die perspektivisch dazu führen sollen, dass mehr Menschen in der Stadt den öffentlichen Personennahverkehr und weniger Menschen das Auto nutzen. Die Alternative: große Busse, die auf eigenen Spuren auf den Hauptachsen rollen. Jetzt aber droht, so die Grünen, dass von den beiden Möglichkeiten nicht eine umgesetzt werde.
330.000 Euro waren einst für ein weiteres Gutachten eingeplant, dass sich mit dem Thema Nahverkehr der Zukunft beschäftigen sollte. Die tauchen nun im Haushalt von Kämmerer Christoph Gerbersmann (CDU) nicht mehr auf. Angesichts immer größerer Löcher in der Kasse: weggespart. Das letzte Wort hat die Politik.
Bauwerke anders dimensionieren
Da regt sich vor einer Sitzung, in der der Umwelt- und Mobilitätsausschuss einzelne Posten des Haushalts diskutieren will, allerdings Widerstand. Zumindest auf Seiten der Grünen: „Mein Eindruck ist, dass in der Stadt der Wille fehlt, sich ernsthaft mit diesem Thema zu beschäftigen“, sagt Rüdiger Ludwig, Vorsitzender des Ausschusses, „die Expertise ist ein weiterer wichtiger Schritt. Zum einen erhoffen wir uns davon klare Hinweise, wie sich welches Konzept in der Stadt umsetzen ließe. Zum anderen werden wir es später brauchen, um an Fördergelder zu kommen. Jetzt droht Stillstand.“
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Es gehe dabei auch um das Thema Stadtplanung, führt Ludwig weiter aus: „Wir müssen doch wissen, wie wir Bauwerke wie beispielsweise die Brücke an der Badstraße dimensionieren - ob darüber einmal ein höherwertiges Bussystem oder gar eine Straßenbahn geleitet wird.“
Im Übrigen gebe es neben Hagen zahlreiche vergleichbare Städte, die auf die Einführung einer Straßenbahn setzen oder zumindest sehr positiv darüber diskutieren würden: Kiel, Regensburg, Ludwigsburg, Erlangen oder Aachen seien Beispiele. Für Ludwig steht fest: Wenn die Stadt das Verfahren nun stoppe, sei das gleichbedeutend mit dem Aus für ein höherwertiges System.
CDU: Können uns Geld sparen
Das sieht Jörg Klepper, Fraktionsvorsitzender der CDU, anders: „Ein höherwertiges System ergibt Sinn. Das ist völlig unbestritten. Aber eine Untersuchung zur Straßenbahn brauchen wir nicht. Die Wiedereinführung kostet eine Milliarde Euro. Selbst bei einer Förderung von 90 Prozent - wie sollten wir das bezahlen? Wir reden bei der Haushaltskonsolidierung gerade über 5000 Euro, die fehlen, um die Schwangerschaftsberatung zu finanzieren. Da können wir uns das Geld für das Gutachten sparen.“
Ähnlich argumentiert auch Werner König (SPD): „So wichtig weitere Informationen zu höherwertigen Systemen sind - angesichts der Dramatik der Haushaltssituation sehen wir die zwingende Notwendigkeit nicht. Obwohl wir als Fraktion dafür stehen, dass wir den Modal Split verbessern und mehr Menschen in Hagen den ÖPNV nutzen müssen. Aber wenn wir das Gutachten wollen, müssen wir einen Vorschlag liefern, wo in dem Umfang gespart werden soll. Da sehen wir keine Möglichkeit.“
55.000 Euro für Gutachten
Dabei war das Thema in den letzten Jahren auch von der Stadtspitze vorangetrieben worden. Beauftragt mit einer ersten Analyse war das Büro „Plan Mobil“ aus Kassel. Kosten dafür: 55.000 Euro. Die Verkehrsexperten hatten zunächst im Juni 2021 verschiedene ÖPNV-Systeme vorgestellt und sich rund eineinhalb Jahre später für eine Straßenbahn ausgesprochen. Damit ließen sich am ehesten die Verkehrsziele in Hagen erreichen. Problem: Die Kosten für die Wiedereinführung wurden auf eine Milliarde Euro geschätzt.
Erste und wesentlich günstigere Alternative laut „Plan Mobil“: ein BHLS-System. Das steht für „Bus High Level of Service“. Gemeint sind damit Busse ohne Verbrenner-Motor, die größer sind als die, die die Hagener Straßenbahn AG schon jetzt in der Stadt einsetzt. Takt und Tempo werden in diesem System deutlich erhöht. Wo immer möglich, gilt auch hier: Die neuen Busse rollen auf eigenen Spuren (ähnlich wie das jetzt bereits auf der Körnerstraße und am Graf-von-Galen-Ring der Fall ist), können sich aber an neuralgischen Stellen auch Flächen mit anderen Verkehrsmitteln teilen. An Kreuzungen wird die Vorrangschaltung für die großen Gefährte ausgeweitet.
Kein Aus für Bussystem
Dieses Thema will die Stadt weiter verfolgen. „Wenn das Gutachten nun nicht vergeben wird, ist das nicht gleichbedeutend mit dem Aus für ein höherwertiges Bussystem“, sagt Clara Treude, Sprecherin der Stadt. „An den Themen wie einer optimierten Ampelschaltung für den ÖPNV wird weiter gearbeitet.“
„Parallel dazu suchen wir nach neuen Bus-Korridoren“, so Treude weiter. „Diese Vorarbeit kommt letztlich auch einem neuen System zugute. Für diese Vorarbeit ist auch weiterhin Geld vorhanden.“
OB Schulz gegen Straßenbahn
Angesicht der sich dramatisch verschlechternden Haushaltslage sind nun aber andere Töne zu vernehmen: „Sollen wir Konzepte machen oder zur Schippe greifen?“, hatte Oberbürgermeister Erik O. Schulz (parteilos) unlängst etwas provokativ im Interview mit unserer Zeitung gefragt. Dahinter steckt die Botschaft: Man wolle sich auf die Dinge konzentrieren, die man auch absehbar umsetzen könne.
„Ich habe erheblich Zweifel, dass es sinnvoll ist, diese Version weiterzuverfolgen“, hatte Schulz mit Blick auf die Straßenbahn erklärt. In anderen Städten vergleichbarer Größe und Topografie gäbe es niemanden, der über den Bau einer Straßenbahn nachdenken würde. Und weiter: „Ich persönlich würde das Thema Straßenbahn sogar am liebsten ein- für allemal beenden und mich auf einen verbesserten ÖPNV konzentrieren wollen.“