Hagen. Viele Projekte kann die Stadt Hagen nicht umsetzen. Grund dafür seien die hohen Altschulden, erklärt Hagens Kämmerer. Wofür fehlt das Geld?
- Fast eine Milliarde Euro Altschulden belasten die Stadt Hagen.
- Im Jahr 2028 sind voraussichtlich 31 Millionen Euro allein an Zinsen fällig.
- Das Geld fehlt unter anderem für die Weiterentwicklung des ÖPNV.
Seit Jahrzehnten fordern stark verschuldete Städte wie beispielsweise Hagen eine Lösung für die Altschulden, die sie mit unbezahlbaren Kassenkrediten und hohen Zinsen belasten. Unsere Redaktion hat zwei Kämmerer aus dem Ruhrgebiet dazu befragt. Sie beschreiben detailliert, auf welche Vorteile die Bürgerinnen und Bürger in ihrer Stadt deshalb verzichten müssen. Hier berichtet der Kämmerer von Hagen, Christoph Gerbersmann (CDU), von notwendigen und wünschenswerten Projekten, für die es an Geld mangelt.
Lesen Sie mehr zum Thema Altschulden
- Meine Stadt ist pleite! Warum keiner die Altschulden bezahlt
- Diese 40 Millionen tun Oberhausen jedes Jahr besonders weh
- Gigantischer Betrag: So teuer sind Altschulden für Bochum
- „Arme Schlucker zahlen“: Kritik an Plan für NRW-Altschulden
- Gelsenkirchen plant fest mit Altschulden-Lösung der Ampel
Wie schwer liegt die Last der Altschulden auf der Stadt Hagen?
Seit dem Jahr 2016 haben wir ausgeglichene Haushalte hervorgebracht, die wir zum Schuldenabbau nutzen konnten. In der Spitze hatten wir 1,25 Milliarden Euro an Kassenkrediten. Wir konnten 300 Millionen abbauen und sind mittlerweile stabil unter 900 Millionen Euro, das heißt: Wir versuchen, uns selbst zu helfen. Wir haben einen Haushaltssanierungsplan aufgelegt, durch den wir 80 Millionen Euro pro Jahr an Konsolidierung möglich gemacht haben. Das war der Beitrag der Stadt.
Warum machen Sie nicht genau so weiter?
Die Zeit ist jetzt vorbei: Das zeigt die Zinslast aus dem Jahr 2022, wo wir elf Millionen Euro an Zinsen zu zahlen hatten. Im Jahr 2024 sind es schon 22 Millionen Euro, also eine Verdopplung. Das bedeutet auch, wir werden es dieses Jahr nicht mehr schaffen, einen ausgeglichenen Haushalt aufzustellen. Die Prognose für 2028 deutet auf 31 Millionen Euro hin.
Was kann sich die Stadt Hagen aufgrund der Altschulden nicht leisten?
Das Geld für die Zinsen könnten wir beispielsweise als Zuschuss für den öffentlichen Personennahverkehr, Bildung oder die Bäder nutzen. Uns erwarten erhebliche Aufgaben, zum Beispiel in Bezug auf die Kitas und Offenen Ganztagsschulen. Das ist wieder eine Bundesvorgabe, auch hier klappt das Konnexitätsprinzip (Bündelung von Aufgaben- und Finanzverantwortung) gar nicht. Fehlen Angebote in der kindlichen Vorbildung, haben diese auch Auswirkungen auf die Integration.
Welches konkrete Vorhaben könnte die Stadt Hagen ohne Altschulden ausweiten?
Unsere Bildungsmediatoren begleiten eingewanderte Kinder durch Schulen und erklären ihren Eltern, wie unser Bildungssystem funktioniert. Wir haben gute Konzepte, aber davon müssten wir wesentlich mehr haben angesichts unserer Bevölkerungsstruktur. Gut doppelt so viel. Für die Bildungsmediatoren und das muttersprachliche Quartiersmanagement geben wir bisher rund 500.000 Euro aus. Man kann nun leider nicht konkret sagen, wieviele Millionen wir dort jeweils mehr brauchen, weil die Maßnahmen modular ausbaubar sind.
Für die Integrationsarbeit können wir sicherlich zwei Millionen Euro mehr zeitnah gebrauchen. Dazu kommen für den Ausbau und Betrieb von Kita und OGS noch weitere Millionenbeträge. Zudem würden wir gerne mehr Schüler mit Tablets und WLAN ausstatten, für die Wartung brauchen wir Servicepersonal. Das sind alles Punkte, die uns finanziell überfordern.
Sie sprachen vom ÖPNV: Was bleibt in dem Bereich auf der Strecke?
Wir können den ÖPNV derzeit nicht weiterentwickeln. Es gibt ein großes Mobilitätskonzept, das wir nur begrenzt umsetzen können. Wir würden gerne auf Schnellbuslinien setzen, um mehr Menschen in kürzerer Taktung zu befördern. Hinzu kommt eine lange Liste für den Radverkehr: neue Radwege, Trassen, Kreuzungspunkte. Das alles scheitert an den hohen Altschulden. Wenn wir von den 22 Millionen an Zinsen nur einen kleinen Teil für den ÖPNV nehmen würden, könnten wir viel erreichen. Bisher liegt der Zuschussbedarf im ÖPNV bei 18 Millionen Euro. Bei der letzten Ausbaustufe des ÖPNV haben wir rund drei Millionen Euro mehr aufgewendet.
Wie wirken sich die Altschulden auf die Funktionsfähigkeit der Stadt Hagen aus?
Die Altschulden hängen mit allem zusammen. Geld für Investitionen, aber auch Personal fehlt. Städte mit einer guten finanziellen Situation können besser an Förderprogrammen teilnehmen. Wir beschäftigen gerade so viel, das wir alle Basisaufgaben erfüllen können. Diese sind nicht gefährdet, stattdessen geht es zulasten einer Neuverschuldung. Und die Schere geht immer weiter auseinander. Ich verdeutliche das gerne so: Wir sind so arm, und deswegen beim Personal so schlecht ausgestattet, dass wir nicht mal den Löffel raushalten könnten, wenn es Brei regnen würde.
Was erwarten Sie vom Bund und der Landesregierung NRW?
Es sind auf jeden Fall Bund und Land gefordert. Das Land NRW wird allein nicht in der Lage sein, uns so zu entlasten, dass es am Ende eine große Nettoentlastung gibt. Das ist auch die Haltung unseres Bündnisses für die Würde unserer Städte. Viele der Ursachen für die Altschulden in Kommunen finden sich in der Bundesgesetzgebung. Wir hatten im letzten Sommer einen völlig unzureichenden Vorschlag des Landes NRW: Dieses Modell hat uns vor Augen geführt, dass die Städte plus minus null entlastet worden wären. Für die Stadt Hagen hätte es lediglich zwei bis drei Millionen Euro Entlastung gebracht.
Das Ärgerliche ist das Pingpong zwischen Bund und Land über viele Jahre. Bei der Altschuldenlösung zeigt jeder auf den anderen. Das muss endlich mal aufhören. Die Zinsen steigen. Je länger man wartet, desto teurer wird es. Wir kommen da in eine Neuverschuldungsspirale, die wir nicht durch Einnahmen decken können.
Wann erhoffen Sie sich eine Altschuldenlösung?
Man soll die Hoffnung ja bekanntlich nie aufgeben. Uns wurde ein Vorschlag zum 1. Januar 2025 zugesagt. Wir erwarten, dass das Land NRW Mitte des Jahres einen Entwurf vorlegt, sodass dieser rechtzeitig im Bund besprochen werden kann und sich das Durcheinander auflöst.