Hagen. In der NS-Zeit wurden Schwule gequält und getötet. Was das mit Diskriminierung heute zu tun hat - darum geht es in einer Ausstellung in Hagen.
Es gab den Tag, da spazierte Andreas Rau mit seinem Freund über den Bahnsteig am Hauptbahnhof in Dortmund. Von hinten näherte sich ein Fußball-Fan und pöbelte ihn an. „Bist du schwul, oder was?“, brüllte er. Und noch bevor Rau sich versah, spuckte der Mann ihm in das Schälchen mit Currywurst, das er in der Hand hielt.
Nur ein Beispiel, vielleicht ein extremes. Rau, der Leiter der Aidshilfe in Hagen, kann aber viele erzählen. Auch das von den beiden homosexuellen Flüchtlinge, die einem Fernsehsender ein Interview gegeben hatten. „Anschließend ist ein Sack mit Wäsche vor unserer Tür gelandet. Wir dachten erst, das sei eine nett gemeinte Spende. Aber als wir den Beutel geöffnet haben, befand sich darin vollgeschissene Kinderunterwäsche mit einem Zettel ,Auf so etwas steht ihr doch‘“, berichtet Rau.
Ausstellung im Rathaus Hagen
Vielleicht ist auch das der Grund dafür, dass er und kein anderer sich zu einem Interview mit dieser Zeitung bereits erklärt hat. Es geht um eine in dieser Form außergewöhnliche, eine wohl einmalige Ausstellung, die die Verfolgung von Schwulen im Dritten Reich und die Diskriminierung, der sie auch heute noch ausgesetzt sind, in einen Kontext setzt: „Come out, Hagen - LSBTQ* in Hagen, NS-Verfolgung von Homosexuellen“ lautet der Titel.
Konzipiert haben sie der Historiker Pablo Arias und seine Tochter Anna Arias-Viebahn, die Geschichte studiert, mit Unterstützung des Hagener Geschichtsvereins. Rau - und das betont er - ist nur einer von mehreren Homosexuellen, die für dieses Projekt, das ab dem 7. März, 16.30 Uhr, im Rathaus an der Volme öffentlich gezeigt wird, interviewt und porträtiert wurden.
Angst vor Repression
Rau spricht, während andere schweigen. Aus Angst vor Repression. So wie die beiden Flüchtlinge, die so negative Erfahrungen machen mussten, als sie sich zuletzt öffentlich zu ihrer Homosexualität bekannten. „Wir hätten gerne auch Menschen mit Migrationshintergrund interviewt, um die ganze Breite der Hagener Gesellschaft abzubilden“, sagt Pablo Arias, „aber niemand war bereit, mit uns zu sprechen.“ Oder wie ein Einzelhändler aus Hagen, der sich nicht traute, mitzumachen. „Er hatte die Sorge, dass einige seiner Kunden sein Geschäft künftig meiden würden.“
Schätzungen gehen davon aus, dass fünf bis zehn Prozent der Männer homosexuell sind. Genau Zahlen gibt es nicht, weil da ja noch immer die Dunkelziffer derer ist, die - aus unterschiedlichsten Gründen - ihre sexuelle Neigung eben nicht öffentlich machen. „Man kann aber beispielsweise davon ausgehen, dass in jeder Hagener Klasse mindestens ein schwuler Schüler sitzt“, sagt Arias, der selbst am Rahel-Varnhagen-Kolleg als Lehrer arbeitet. „Deshalb ist es uns wichtig, dass die Ausstellung nicht nur im Rathaus, sondern im Anschluss auch in Schulen gezeigt und darüber diskutiert wird.“
Homosexualität in der Schule ausgespart
Auch da nämlich scheint man zuweilen weit entfernt von einem normalen Umgang. „Ich habe selbst das Ficht-Gymnasium besucht“, sagt Anna Arias-Viebahn, „Sexualität war Thema im Unterricht, aber über Homosexuelle oder Transgender haben wir nie gesprochen.“
Der Bogen, den diese Ausstellung schlägt, wird besonders deutlich am 13. Mai. „Da werden wir vor dem Christian-Rohlfs-Gymnasium in Haspe den ersten Stolperstein verlegen, der an die Verfolgung eines Homosexuellen erinnert“, sagt Pablos Arias. „Schwule zählen zu den vergessenen Opfern des Dritten Reichs.“
200 Homosexuelle im Dritten Reich verurteilt
Schwule, wie der Hagener Alexander Schlüter. Ein Familienvater, der 1939 wegen „homosexueller Betätigung“ verhaftet und zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Danach kam der Hasper in Übergangshaft, wurde zunächst in das Konzentrationslager Natzweiler und später in das KZ Sachsenhausen gebracht. Dort starb der 38-Jährige im November 1941 - angeblich an Herz- und Kreislaufproblemen und Darmtuberkulose. Weil auch Schlüters Frau in der Zwischenzeit verstorben war, wurden seine beiden Töchter zu Vollwaisen.
Schlüter ist nur einer von 200 Männern in Hagen, die aufgrund des 1935 verschärften Paragrafen 175 des Strafgesetzbuches am Landgericht verurteilt wurden. Mindestens 15 Homosexuelle wurden mit Unterstützung des städtischen Gesundheitsamtes zwangssterilisiert oder kastriert.
Paragraf 175 erst 1994 abgeschafft
Der sogenannte 175er hatte noch lange Bestand. 1969 wurde er reformiert, abgeschafft aber erst 1994. „Vor diesem Hintergrund ist mir klar geworden, dass auch ich ein Teil der Geschichte bin. Ich bin ein Zeitzeuge“, sagt Andreas Rau. „Dieser Paragraf hätte beinahe meine berufliche Karriere zerstört. Als damals 18-Jähriger hatte ich selbst ein Verfahren am Hals.“
Denn der Paragraf betraf zuletzt noch Erwachsene ab 18 Jahren, die eine Beziehung mit einem Nicht-Volljährigen eingingen. „Dahinter steckt ein Stigma, dem sich quere Menschen noch bis heute ausgesetzt sehen“, sagt Rau, „es geht um die Verknüpfung von Homosexualität mit den Themen Pädophilie und Missbrauch.“
Diskriminierung Teil des Alltags
Vorurteile, Diskriminierung - für Rau und andere Schwule ist das auch im Jahr 2024 Teil ihres Alltags. „Was wir zum Teil in unseren Postfächern finden, das glaubt man kaum“, sagt er. „Als wir eine quere Gruppe für Migranten eingerichtet haben, hat uns jemand angeschrieben und gefragt, ob man denn den Vergewaltiger jetzt auch noch das Vergewaltigen beibringen müsse.“
Was den Schluss nahelegen könnte, dass sich in den letzten Jahren nur wenig geändert hat. Da aber widerspricht Rau. Und es widerspricht Arias: „Ein Blick auf Flyer und Plakat reicht. Wenn man sieht, dass mit der Initiative ,Kirche in anderem Licht‘ sich selbst die katholische Kirche für unsere Ausstellung starkmacht, dann ist das ein gutes Zeichen.“