Hagen. Er erlebt die Halbzeit seines Lebens, dann macht‘s „plopp“ in Tim Uhlemanns Fuß. Dazu liegt der Coach flach. Ein denkwürdiger Basketballabend.
Karnevalsspiel am Ischeland. Und einer hat den Kostümwettbewerb deutlich gewonnen: Tim Uhlemann. Im Berufsleben Centerspieler bei Basketball-Zweitligist Phoenix Hagen. Kostümiert aber als hungriger Bär auf Dreierjagd. Seine Schreie hinauf zu den Treuen auf dem Heuboden stehen symbolisch für ein unglaublich schwieriges Spiel gegen die eigentlich aufstiegsambitionierten Eisbären Bremerhaven, die am Samstagabend in Hagen bewiesen, warum die bereits zwölf Niederlagen auf ihrem Konto allesamt knapp waren. Dass der Bär aus der Halbzeit nicht wieder zurückkehrte, gehört zum tragischen Drehbuch einer Schlacht auf der letzten Rille, die Phoenix Hagen mit 86:77 (42:42) für sich entscheiden konnte. Nach drei Partien in sechs Tagen.
Hagen gegen Bremerhaven. Das hat Erstligageruch. Beide Clubs haben sich schon am Ischeland duelliert, als sie noch in der Beletage des deutschen Basketballs vertreten waren. Wie ein kleines Relikt solcher Zeiten wirkt da auch die Umarmung zwischen Eisbären-Coach Steven Key und Hagens Trainerlegende Peter Krüsmann vor dem Spiel. Key war in seinen Glanzzeiten immer Schlüsselspieler mehrerer Bundesligagegner am Ischeland. Nun coacht er Bremerhaven. Voller Respekt umarmte er Krüsmann vor der Partie.
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3068 Zuschauer - fast volle Hütte, warme Luft und ein Tim Uhlemann, der sich im falschen Film gewähnt haben musste. Fünf Würfe, fünf Treffer, davon vier Dreier. „Ich hätte auch von der Mittellinie werfen können und der wäre drin gewesen“, sagt Uhlemann später nach dem Spiel gegenüber der WP. Der ohnehin nicht gerade introvertierte Center explodierte förmlich. Seine Schläge auf die Brust, seine lautes Rufen hoch zum Heuboden - das erinnerte an Matthias Grothe, wenn der mit seinen Dreiern einst den Beton der steilen Haupttribüne bröckeln ließ.
Dass Tim Uhlemann wenig später zu einem tragischen Helden wird, dazu gleich mehr. Halbzeit eins ist ein Kabinett der Gegensätze. Phoenix legt eine der besten Dreierquoten dieser Saison auf. 56 Prozent in Viertel eins, 50 Prozent zur Halbzeit. 24 Punkte von 42 durch Dreier. Dabei muss man die Verteidigung Bremerhavens als absolut bissig bezeichnen.
Und das Team von der Nordsee kann sich noch dazu auf das verlassen, was jeder Amateurbasketballer als „die einfachen Dinge“ bezeichnen würde. Einfache Cuts entlang der Grundlinie, vernünftig vorbereitete Halbdistanzwürfe, traditionelles Low-Post-Spiel über den immer noch sehr kräftigen, aber auch sehr hölzern agierenden Robert Oehle, der schon für mehrere Zweitliga-Teams die Knochen hingehalten hat und mittlerweile 35 ist.
Buzzer-Beater-Dreier von Bremerhavens Nicholas Hornsby zur Pause und da steht es 42:42. Bremerhaven ist voll im Spiel, reboundet besser, spielt simpler und cleverer und hat mit dem vor Weihnachten verpflichteten Aaron Cook aus der Elite-Liga des Kosovo einen klugen Taktgeber. Er weiß, wann schnell, wann langsam, wann verschleppend zu spielen ist. Und: Er spielt zunächst für den guten Pass. Spoiler: Das wird sich noch ändern. Und: Über ihm und seinem Team liegt ein schwarzer Schleier. Mickrige vier Dreier werden über das gesamte Spiel ihr Ziel finden. 23-mal versucht Bremerhaven das. Unterirdisch ist das für Zweitliga-Niveau.
Zur Halbzeit - und das ist die zweite Geschichte dieses Spiels - ist das weiße Leinenhemd von Johannes Hülsmann so durch, dass es wie ein Neopren-Anzug an ihm haftet. Der Coach aus der zweiten Reihe ist an diesem Abend Chef. Chris Harris liegt krank im Bett und muss im Liga-TV verfolgen, was die Feuervögel fabrizieren - geführt von seinem Assistenten: Neopren-Hülsmann.
In den Katakomben wird er der WP nach dem Spiel das hier verraten: „Bei der Ansprache ans Team war ich schon irgendwie nervös. Da geht einem schon viel durch den Kopf. An der Seitenlinie war es dann aber okay. Zuletzt habe ich aktiv am Feld in der NBBL gecoacht.“
Bevor der Stern des Coaches in Halbzeit zwei so aufgeht, dass er später zur „Humba“ auf den Heuboden gerufen wird, muss er mit ansehen, wie Dreier-Bär Uhlemann aufgeben muss. Zunächst verrät Phoenix-Physio Jonas Müller-Preuß, dass es im Fuß des Centers „Plopp“ gemacht habe. Im hinteren Bereich.
Uhlemann nicht weiterspielen zu lassen, sei eine Vorsichtsmaßnahme gewesen. Der wuchtige Center hätte aber auch niemals weiterspielen können. Auf der Ehrenrunde später humpelt er stark und verzerrt bei jedem Schritt das Gesicht. „Ich habe in der Pause alles weggeschmissen. Das war einfach zu viel. Da habe ich so einen Abend und kann in der zweiten Halbzeit nicht weiterspielen. Da ist alles zusammengestürzt.“
Unterdessen wird auf dem Feld nach wackeligen ersten vier Minuten in der zweiten Hälfte alles stabiler. Denn der verschwitzte Johannes Hülsmann coacht den erfahrenen Steven Key auf der anderen Seite eiskalt auf die Verliererstraße. Er schickt den wohl besten Regionallliga-Aushelfer der letzten Jahre, Jamel McAllister, mit Kristoffer Krause, Bjarne Kraushaar, Brock MacKenzie und Naz Bohannon aufs Feld. „Small ball“ nennen das die Amerikaner. Kleiner wären sie nur noch gewesen, wenn Hülsmann sich selbst eingewechselt hätte. Die kleine Aufstellung spielt aggressive Verteidigung, reboundet trotz fehlender Länge besser und zwingt alle schweren Jungs bei Bremerhaven auf die Bank.
Dazu fängt der später eingewechselte Kapitän Nawrocki Feuer, haut drei Dreier am Stück rein und der bis dahin blasse Siler Schneider entdeckt seinen Zug zum Korb wieder. „Und dann war da der lange Atem“, sagt Coach Johannes Hülsmann. „Das ist, was wir trainieren. Chris Harris legt viel Wert auf Laufarbeit und konditionelle Inhalte. Das unterscheidet uns dann von anderen Teams, wenn es darauf ankommt.“
Ja, in der Tat. Phoenix fährt im sechsten Gang, Bremerhaven im Reserve-Tank. McAllister leitet die Abfahrt auf die Siegerstraße ein. Steal, Block, wieder Steal. 81:70 drei Minuten vor Schluss. Und Bremerhavens Dreh- und Angelpunkt Aaron Cook verliert komplett den Spielfaden. Überhastet wie ein Jugendspieler überdreht er das Tempo, sucht überschnelle Abschlüsse, will sogar per Hakenwurf im Rückwärtsfallen einen Korbleger erzwingen. Phoenix ist durch. 47 Sekunden vor Schluss reckt Kristoffer Krause die Faust gen Heuboden. „Ich bin so platt“, wird der Flügelspieler später sagen. Defensiv hatte er alles aus sich herausgeholt, was die Knochen noch hergaben.
Am Montag sollen Untersuchungen darüber Aufschluss geben, wie es um den Fuß von Tim Uhlemann bestellt ist. Bis dahin ist Pflege für das geschundene Team angesagt, das auf Platz zwei der zweiten Liga steht. Und während Bremerhaven sich wohl von seinen Aufstiegsambitionen verabschieden darf, muss man sich in Hagen ernsthaft fragen, ob derartige Auftritte nicht das Elixier sind, mit dem Aufstiegszüge angetrieben werden.
So scorte Phoenix Hagen: Nawrocki (11), Schneider (16), Kraushaar (8), McCall (13), MacKenzie (4), McAllister (2), Uhlemann (14), Bohannon (8), Krause (4), Boner (6).