Hagen. Einmal im Jahr geht die Band Extrabreit auf große Tournee. Auf einem Bauernhof in Hagen proben die Rockmusiker. Ein Besuch vor Ort.
Die Styroporplatten unter der Decke sind wohl so alt wie die Band selbst. 45 Jahre. Sie waren mal weiß. Ende der 70er, Anfang der der 80er Jahre vielleicht. Der Zigarettenqualm hat sie gefärbt. „Früher“, sagt Rolf Möller, „haben wir hier geraucht wie die Schlote.“ Jetzt liegen vier Kippen in einem roten Aschenbecher in der Ecke. Möller selbst hat vor 20 Jahren die letzte Zigarettenpackung gekauft.
Die Decken in jenem Raum, in dem Musikgeschichte geschrieben wurde, in dem Hits entstanden sind, die eine Generation geprägt haben und die sie noch heute bei ihrem Heimspiel in der Stadthalle Hagen spielen, sind braun. Orientteppiche liegen auf dem Boden. Poster hängen an der Wand. Ein großer Spiegel dazu, der den Proberaum der Band, deren erstes Album bereits den Titel „Ihre größten Erfolge“ trug, gleich doppelt so groß wirken lässt.
Extrabreit als Teil der Familie
Ihre größten Erfolge sind in diesem Raum entstanden. „Das Paar, das hier den Hof betrieben hat, hat sein Schlafzimmer gleich nebenan gehabt“, sagt Möller, der Schlagzeuger, „es ist mir ein völliges Rätsel, wie die mit dem Kopf am Proberaum pennen konnten.“ Probleme aber hat es nie gegeben. Im Gegenteil: „Wir haben uns als Teil der Familie gefühlt.“
Hits werden hier auf dem Bauernhof komponiert, nehmen im Wechselspiel zwischen den Musikern konkrete Formen an. Über all die Jahre. Extrabreit aus Hagen bleibt in Hagen, bleibt in einem Proberaum auf einem Bauernhof - bis heute. „Es wird laut“, sagt Bubi Hönig, als der Fotograf den Raum betritt, um im Heiligsten einer Rockband Aufnahmen zu machen, die es so eher selten gibt.
Tournee startet in Trier
Er, Stefan Kleinkrieg, Lars Larsson und Rolf Möller halten Wort. Kai Havaii, Frontmann und Sänger, lebt in Hamburg, fehlt, kommt aber dieser Tage für den letzten Feinschliff vor dem Tournee-Auftakt in Trier (17. November) hinzu.
Es sind bewegte Zeiten für die Band: Die Disoboys haben gerade eine Coverversion von Polizisten auf den Markt gebracht, die die Musik von Anfang der 80er in die Generation der Jetzt-Zeit transportiert. Extrabreit selbst haben nach zwölf Jahren Ende 2020 vor der Corona-Zwangspause noch mal ein Album („Auf Ex“) herausgebracht. Auf der Tournee präsentieren sie einen Mix. „Es gibt Klassiker, die müssen wir einfach spielen“, sagt Möller. Im Probenraum auf dem Bauernhof und auf der Bühne vor tausenden Fans in der ganzen Republik.
Sechs Konzerte breits ausverkauft
Der Vorverkauf läuft. Und er läuft außerordentlich gut. Sechs Konzerte sind bereits ausverkauft. Darunter Essen, Bochum und Hamburg. „Die Leute haben wieder Bock auf Live-Musik“, sagt Möller. Und sie haben Bock auf Rock von Extrabreit, einer Band, für deren Tickets eben keine astronomischen Preise aufgerufen werden. „Ich habe selbst mal einen dreistelligen Betrag gezahlt, dann ganz hinten oben auf der Tribüne in einem Stadion gesessen. Das hat nicht mit Live-Musik zu tun.“
Extrabreit spielen in kleineren, in überschaubaren Clubs, in denen die Musiker eine Beziehung zu den Fans aufbauen können. Und beim Heimspiel in der Stadthalle, weil es in ihrer Heimatstadt an Spielstätten fehlt, die so um die 1000 Zuschauer fassen. „In den 80ern durften wir nicht im Wasserlosen Tal spielen“, sagt Möller, „die hatten Sorge um ihren guten Teppich. Wir sollten dafür extra eine Versicherung abschließen. Da haben wir uns geweigert.“
Der kritische Blick auf die Heimatstadt
Der Blick fällt auch heute immer wieder auf Hagen. Auf die Stadt, in der sie leben. „Manchmal tut es schon weht, wenn man sieht, wie sich Hagen entwickelt“, sagt Möller, der hier selber wirkt. In Bands und als Veranstalter. „Die leeren Einkaufsgalerien in der Innenstadt oder das, was nun wieder mit der Karl-Adam-Halle passiert, in der Kinder künftig keinen Sport mehr treiben können...“
Der Ofen läuft im Proberaum nur auf kleiner Flamme. „Und jetzt?“, fragt Hönig. „Der Führer“, antwortet Kleinkrieg. Nächster Song. Möller drischt auf sein Schlagzeug ein, gibt das Tempo vor. Es wird laut unter der braunen Styropordecke. So wie immer, wenn die Band in den letzten 45 Jahren auf dem Bauernhof geprobt hat.