Hagen. Mit dem Messer ins Auge: Professor Martin Hermel vom St.-Josefs-Hospital in Hagen ist Spezialist für Hornhauttransplantationen.

Die Hornhaut des menschlichen Auges ist eigentlich stabil und unveränderlich. Das mag zunächst etwas platt klingen, ist es aber nicht.

Denn die Hornhaut bildet die Schnittstelle unseres Sehorgans zur Außenwelt, sie muss also besonders strapazierfähig sein, damit unser optisches System nicht durch jede geringste Störung aus der Balance gerät. „Die Hornhaut übernimmt eine wichtige Schutzfunktion, andererseits bricht sie das Licht, und zwar deutlich stärker als die eigentliche Linse, die weiter innen im Auge liegt“, erläutert Professor Martin Hermel (53), Chefarzt der Klinik für Augenheilkunde des St.-Josefs-Hospitals in Hagen.

Doch auch die Hülle des Augapfels kann in ihrer Funktion durch Verletzungen oder Krankheiten stark beeinträchtigt werden, so dass in letzter Konsequenz eine Transplantation der Hornhaut notwendig erscheinen kann. Bevor wir aber zu diesem Eingriff kommen, der äußerste Präzision und medizinisches Geschick verlangt, sei ein Exkurs über den Aufbau des Auges gestattet, um uns das Prinzip des Sehens in Erinnerung zu rufen.

Aufgebaut wie eine Kamera

Das Auge ist im Wesentlichen aufgebaut wie eine Kamera, es besteht aus der Hornhaut, die als Schutzscheibe und erste Linse dient, der Iris (der Regenbogenhaut) mit der Pupillenöffnung, die als Blende dient, und darauf folgend der eigentlichen Linse, die das Licht auf die andere Seite des Sehorgans, auf die Netzhaut, fokussiert.

Die Linse dient u.a. dem Scharfsehen, denn sie kann – anders als die unbewegliche Hornhaut – die Schärfe quasi auf Auto-Fokus einstellen. Die Netzhaut wiederum ist eine hochempfindliche, mit Lichtrezeptoren durchsetzte Nervenschicht, die das Licht in elektrische Impulse umwandelt, codiert und über den Sehnerv ins Gehirn schickt.

Die Hornhaut ist sozusagen der Hüter dieses komplizierten, sensiblen, empfindlichen Systems. Und damit sie nicht durch jede Entzündung beeinträchtigt wird, unterliegt sie dem „immunologischen Privileg“, was bedeutet, dass sie keine volle Immunreaktion zeigt. Wohl ist sie von Nerven durchzogen, hat aber keine Gefäße, auch keine Lymphgefäße – eine Tatsache, die für eine Transplantation von großer Bedeutung ist.

Auch Hornhaut besteht aus mehreren Schichten

Die Geschichte der Hornhauttransplantation ist lang. Bereits 1905 wurde sie erstmals von dem österreichischen Augenarzt Eduard Zirm durchgeführt und seitdem immer weiter entwickelt und verfeinert. Trotzdem ist das, was Ophthalmologen wie Martin Hermel heutzutage praktizieren, nach wie vor Hochleistungsmedizin.

Wie der Sehapparat als Ganzes, so besteht die Hornhaut selbst aus mehreren Schichten, im Wesentlichen sind es drei: außen beginnend zunächst das Epithel, das stets nachwächst und etwa kleine Kratzer auf der Hornhaut auf natürliche Art beseitigt. Es folgt die Hauptschicht, Stroma genannt, die aus regelmäßig angeordneten Fasern besteht, was bewirkt, dass das Licht geordnet gebeugt und nicht gestreut wird.

Schließlich folgt auf der Innenseite der Hornhaut die sogenannte Descemet-Membran mit den Endothelzellen, die für klares Sehen verantwortlich zeichnen. „Wenn das Endothel nicht funktioniert, kann Wasser eindringen und das Stroma aufquellen“, erläutert Hermel: „Dadurch wird das Licht gestreut, die Hornhaut trübt ein.“ Das Endothel regeneriere sich im Übrigen auch nicht.

Angeborene Formveränderungen

Nun verfügen Kinder über 3500 Endothelzellen pro Quadratmillimeter, im Laufe der Jahre gehen immer mehr von ihnen verloren, aber: „Normalerweise reichen sie ein Leben lang aus.“ Krankhafte Veränderungen oder Verletzungen können den Verschleiß beschleunigen, ab ca. 500 Zellen pro Quadratmillimeter geht die Funktion der Hornhaut verloren. „Man muss sich das Endothel vorstellen wie eine Lenzpumpe auf einem alten, undichten Schiff“, so Hermel.

Ein anderer Grund, der eine Transplantation der Hornhaut erforderlich machen kann, sind Narben, die infolge einer Infektion zurückbleiben. Aber auch angeborene Formveränderungen und Schwächen wie der Keratokonus, der die Hornhaut kegelförmig vorwölbt und die Fähigkeit zur geordneten Lichtbrechung stört, kommen vor.

Es gibt also verschiedene Gründe für eine Hornhauttransplantation – und verschiedene Transplantationsmethoden. Bei der perforierenden oder penetrierenden Transplantation schneidet der Arzt die Hornhaut kreisförmig aus und setzt ein passendes Transplantat ein, wobei er den äußeren Rand wegen dessen Nähe zum Immunsystem nicht miteinbezieht. „Man muss wahnsinnig genau arbeiten“, sagt Hermel, der mit einem Trepan, einem runden Messer, das sich auf dem Auge drehen lässt und die exakte Tiefe angibt, vorgeht. Der Patient befindet sich währenddessen in Vollnarkose.

Transplantat wird per Hand ins Auge eingenäht

Das Transplantat wird per Hand ins Auge eingenäht, auch das erfordert äußerste Präzision und eine ruhige Hand. Die nicht resorbierbaren Fäden werden nach einem Jahr gezogen, das Auge benötigt weitere sechs Monate zur Erholung, sogar drei Jahre später kann mancher Patient eine Verbesserungstendenz feststellen. Doch wenn der Schnitt des Operateurs noch so gut war, bewirke er eine strukturelle Schwäche, konstatiert Hermel: „Das Transplantat ist nie perfekt kongruent, selbst die besten Verfahren, mechanisch oder mit dem Laser, induzieren eine gewisse Verkrümmung.“

Eine weitere und zugleich die derzeit wichtigste OP-Form ist die Descemet-Membran-Endothel-Keratoplastik, ein minimal-invasives Verfahren, das einem anderen Prinzip folgt: „Man ersetzt das Endothel, nicht das Stroma“, erläutert Hermel: „Eine Endothel-Problematik ist eine relativ häufige Störung in der Hornhaut.“

Hierzu höhlt der operierende Arzt einen feinen Tunnel ins Auge, durch den er die Membran entfernt und anschließend das blau gefärbte Transplantat einführt – ein hauchfeines Gewebe, das sich schließlich entrollt und mittels einer Luftblase am Stroma festsaugt. Man würde das gar nicht glauben, wenn man es nicht selbst im Video gesehen hätte. „Das Coolste an der Sache“, so Hermel: „In den meisten Fällen hat der Patient nach bereits sechs Wochen 100 Prozent seines Sehpotenzials zurückerlangt.“

Das Selbstvertrauen eines Operateurs

Woher Ärzte wie er das Selbstvertrauen für derart sublime, komplexe und knifflige Operationen, die direkt in eines der wichtigsten Organe führen, beziehen, beantwortet er folgendermaßen: „Das Selbstvertrauen ist angelernt. Ja, das Auge ist klein und empfindlich. Aber man lernt das Operieren schrittweise, ähnlich wie das Autofahren. Man lernt, etwaige Missempfindungen zu isolieren und sich auf seine Aufgabe zu konzentrieren.“ Es sei aber nicht ratsam, einen Angehörigen zu operieren: „Weil man dann geneigt ist, es besser machen zu wollen als man kann und im Endeffekt das Resultat eher gefährdet.“

Als ehemaliger Leiter der Hornhautbank in Aachen appelliert der Hagener Chefarzt an die Bereitschaft, noch zu Lebzeiten einer späteren Spende der eigenen Hornhaut zuzustimmen. Die Hornhaut sei kein Organ, sondern ein Gewebe und unterliege den Transplantations- und Gewebegesetzen. „Bis zu drei Tage nach dem Tod darf sie am Verstorbenen entnommen werden.“ Eine Bestattung am offenen Sarg sei weiterhin möglich, da das Auge mit einer Kontaktlinse bedeckt werde.

Doch die Hornhautspende hilft, die Situation von dauerhaft am Auge geschädigten Patienten nachhaltig zu verbessern.