Hagen. Wer auf ein Beatmungsgerät angewiesen ist, hat einen schweren Weg vor sich. In der Klinik in Hagen-Ambrock bekommen Patienten eine Starthilfe.

Während der Corona-Pandemie waren Beatmungsgeräte ein oft diskutiertes Thema. Im Zuge einer Infektion auf der Intensivstation zu landen, an Schläuche angeschlossen zu sein, künstlich beatmet zu werden und ums Leben zu ringen: Dieses Bild war für viele ein persönliches Horrorszenario, das den meisten Menschen in Hagen aber erspart bleibt.

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    Für eine kleine Gruppe von Menschen wird dieser Zustand aber Realität, auch unabhängig von der Corona-Pandemie. Vor allem der Übergang in die Zeit nach der künstlichen Beatmung ist dabei alles andere als einfach. Das weiß Prof. Dr. med. Wolfgang Galetke nur zu gut. Er ist Chefarzt der Pneumologie in der VAMED-Klinik in Ambrock, in seiner Funktion auch zuständig für eine besondere Station, in der Menschen von künstlicher Beatmung entwöhnt werden.

    Eine ganze Station für die Entwöhnung

    Das sogenannte „Weaning“ (deutsch: Entwöhnung) wird in der Hagener Klinik schon seit Anfang der 2000er Jahre angewendet. Im Verlauf der vergangenen beiden Jahrzehnte hat sich aber sowohl personell als auch ausstattungstechnisch viel getan. Anfangs gab es dort „nur“ ein paar Beatmungsgeräte und wenige Behandlungszimmer, die in denen Patienten entwöhnt wurden.

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    Inzwischen gibt es eine eigene Station fürs Weaning: Ein ganzes Team aus Ärzten, Pflegern, Therapeuten und anderen Fachkräften kümmert sich inzwischen um Menschen, die - wenn sie in Ambrock ankommen - meist schon eine längere Leidensgeschichte hinter sich haben.

    Atemmuskulatur kann man sich vorstellen wie Beinmuskeln

    Vor Ort haben sie dann vor allem noch viel Arbeit vor sich. Denn je nachdem wie lange jemand künstlich beatmet wurde, kann es durchaus schwierig werden, wieder eigenständig zu atmen. „Man kann sich die Atemmuskulatur vorstellen wie Beinmuskeln. Bewegst du dich eine sehr lange Zeit nicht, schwindet die Muskulatur und du musst im schlimmsten Fall wieder laufen lernen“, erläutert Galetke.

    Krankenschwester Michelle Kretke an einem Beatmungsgerät: Das Entwöhnen von der künstlichen Beatmung wird als „Weaning“ bezeichnet. Die Atemunterstützung durch das Beatmungsgerät wird allmählich verringert, der Patient lernt, wieder aus eigener Kraft zu atmen.
    Krankenschwester Michelle Kretke an einem Beatmungsgerät: Das Entwöhnen von der künstlichen Beatmung wird als „Weaning“ bezeichnet. Die Atemunterstützung durch das Beatmungsgerät wird allmählich verringert, der Patient lernt, wieder aus eigener Kraft zu atmen. © WP | Michael Kleinrensing

    Und genau an diesem Punkt setzt das sogenannte Weaning an. Patienten, die vom Beatmungsgerät entwöhnt werden sollen, werden bei diesem Prozess begleitet. Konkret wird die künstliche Beatmung sukzessive reduziert, der Patient kompensiert dann Schritt für Schritt die technische Hilfe, die dann ganz wegfallen soll.

    Nicht jeder kann entwöhnt werden

    Zumindest ist das der Idealfall. Denn nicht jeder Patient schafft diesen Schritt. Laut Galetke sind es, so schätzt er vorsichtig, rund 10 Prozent aller Patienten, bei denen das Weaning auf Anhieb nicht wie gewünscht funktioniert. Bei manchen klappt es im zweiten Anlauf. Solche Patienten kommen dann in externe Einrichtungen, in denen sie medizinisch betreut werden, ehe sie dann meist für einen zweiten Versuch nach Ambrock zurückkehren.

    Zum Beispiel nach einem Verkehrsunfall müssen einige Patienten künstlich beatmet werden. Dann steht folgender Eingriff an: Mittels der Tracheotomie wird ein Zugang zur Luftröhre geschaffen. Auch die Beatmung ohne vorherigen operativen Eingriff (nicht-invasive Beatmung), etwa mit einer Atemmaske, ist möglich.
    Zum Beispiel nach einem Verkehrsunfall müssen einige Patienten künstlich beatmet werden. Dann steht folgender Eingriff an: Mittels der Tracheotomie wird ein Zugang zur Luftröhre geschaffen. Auch die Beatmung ohne vorherigen operativen Eingriff (nicht-invasive Beatmung), etwa mit einer Atemmaske, ist möglich. © WP | Michael Kleinrensing

    Wer das Beatmungsgerät nicht los wird, für den stehen die Chancen eher schlecht. Da solche Patienten oft (aber nicht immer) in einem komatösen Zustand sind, stehen dann schwierige Gespräche mit Verwandten an. „Viele Patienten haben für solche Momente vorgesorgt und die Angehörigen wissen dann, was die Person sich für so einen Fall gewünscht hätte“, sagt der Chefarzt.

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    Wer es nicht schafft, schläft meist friedlich ein

    Bei wem es keine Aussichten auf eine Verbesserung des Gesundheitszustandes gibt, bei dem wird die Beatmung – sofern es dem Willen des Patienten entspricht - kontrolliert beendet. „Die Patienten schlafen dann friedlich ein“, sagt Galetke.

    Vivien Zittlau macht auf der Weaning-Station in der Ambrocker Klinik eine Ausbildung zur Pflegefachfrau. Sie ist Teil des Stationsteams, das über die vergangenen beiden Jahrzehnte immer größer geworden ist.
    Vivien Zittlau macht auf der Weaning-Station in der Ambrocker Klinik eine Ausbildung zur Pflegefachfrau. Sie ist Teil des Stationsteams, das über die vergangenen beiden Jahrzehnte immer größer geworden ist. © WP | Michael Kleinrensing

    Solche Entscheidungen können aber auch zum Reizthema werden: „Manchmal gehen die Vorstellungen auseinander. Es gibt Fälle, in denen wir dem Patienten kaum Chancen einräumen, die Angehörigen es aber probieren möchten. Genauso gibt es das aber auch andersherum: Wenn Verwandte aufgeben wollen, wir aber sagen können, dass unserer Einschätzung nach aber noch nichts verloren ist.“

    Wenige Todesfälle auf der Station

    In ganz strittigen Fällen kommt dann das klinikinterne Ethik-Komitee zusammen und berät über den Sachverhalt. „Die haben mit der Behandlung nichts zu tun gehabt und sind unabhängig. Sie kriegen aber die Patientenakte und den Krankheitsverlauf vorgestellt und geben dann eine Empfehlung ab“, erklärt der Chefarzt.

    Dass die Entwöhnung mit dem Tod endet, komme aber verhältnismäßig selten vor. Lediglich während der Corona-Pandemie, so berichtet der Chefarzt, habe es spürbar mehr Todesfälle auf der Station gegeben. Allgemein sei die Zeit in der Pandemie wie in vielen anderen Bereichen im Gesundheitswesen schwierig gewesen.

    Nach Corona ist wieder Normalität eingekehrt

    Inzwischen hat sich die Lage aber wieder beruhigt. Nur im direkten Patientenkontakt, so erläutert Galetke, muss das Stationspersonal noch eine Schutzmaske tragen. Ansonsten sei alles wieder wie vorher. Und das Weaning-Team in der Vamed Klinik in Ambrock gibt sein Bestes, um Patienten beim Trainieren der Atmung zu unterstützen - etwas, das bei den meisten Menschen eine Art Reflex ist, für Weaning-Patienten aber alles andere als selbstverständlich.