Nahmer. Über 2 Millionen Euro wurde bereits investiert und weitere 20.000 Euro stehen noch aus. Doch die versprochenen Hilfsgelder lassen auf sich warten.

Eine Flut aus Schlamm und Wasser reißt ein Loch in die Mauer einer Fabrikhalle – dieses Bild aus der Nahmer wurde nach der Starkregen-Flut 2021 mehrfach in Zeitungen abgedruckt und war in Online-Artikeln zu sehen. Ein Sinnbild für die zerstörerische Wucht, mit der die Naturkatastrophe durch die Nahmer gepflügt ist. Heute ist die Außenmauer rund um die Firma Voss neu aufgebaut, die Firmengebäude glänzen in frischer gelber Farbe. Um Hilfsgelder kämpft der Betrieb bis heute. Für Firmenchefin Jutta Simon seit Monaten ein zähes Geschäft.

Rund 190.000 Euro Schadenssumme durch die Flut beziffere ein Gutachten für ihren Betrieb. Für dieses Gutachten soll sie nun 20.000 Euro zahlen – ohne zu wissen, ob das beantragte Hilfsgeld fließen wird. „Ich finde es eine Dreistigkeit, dass Geld von Leuten verlangt wird, die noch gar kein Hilfsgeld bekommen haben“, sagt Simon. Bis zum 20. April solle sie das Geld zahlen, sonst drohe ein Mahnverfahren. Zwar werden diese Kosten für das Gutachten zu hundert Prozent erstattet, wenn der Antrag auf die Fluthilfe bewilligt wird. Dass es soweit kommt, daran hat die Firmenchefin jedoch Zweifel.

Es dauert Wochen, bis die Außenwand der Firma wieder aufgebaut ist.
Es dauert Wochen, bis die Außenwand der Firma wieder aufgebaut ist. © WP Hagen | Marcel Krombusch

5000 Euro bereits erhalten

Bei der Firma Voss war die völlig zerstörte Außenmauer des Gebäudes zwar elementarversichert, alles im Inneren jedoch nicht. „Wir hatten kein Handwerkszeug mehr, wir hatten keine Stühle mehr und mehrere Maschinen waren durch das Flutwasser nicht mehr zu gebrauchen“, sagt Simon. Alles ging auf eigene Rechnung. Der Austausch mit der Versicherung habe zwar gut geklappt und 5.000 Euro Soforthilfe habe man von der Handelskammer bekommen.

+++ Lesen Sie auch: Ein Sondensystem soll Hohenlimburg künftig vor Hochwasser schützen +++

Zwei bei der Flut zerstörte Kompressoren hat die Firma durch Neukäufe ersetzt. Für diese Käufe war jeweils ein Nachlass von 40 Prozent auf den Neupreis in Aussicht gestellt worden, als Unterstützung nach der Flut, berichtet Simon. Mehr als ein Jahr laufen die neuen Kompressoren bereits, der angekündigte Nachlass kam nach zähen Gesprächen und Nachhaken erst vor wenigen Wochen.

Vorkasse in Millionenhöhe

Ihr Misstrauen rührt auch aus den vielen Lippenbekenntnissen, die nach der Flut im Sommer 2021 vonseiten der Politik zu hören waren. Der Bund beschloss das höchste je in der Bundesrepublik aufgelegte Hilfspaket nach einer Flut: 30 Milliarden Euro. Und natürlich gibt es die, bei denen alles geklappt hat und die Unterstützung floss. Aber es gibt auch die anderen.

Rund 2,1 Millionen Euro aus ihrem Privatvermögen und Altersvorsorge habe sie in den Betrieb gesteckt, um die massiven Schäden durch die Flut aufzufangen, sagt Simon. „Wenn es so einen schweren Schaden gibt und der Bund nach der Flut so große Töne spukt, dann möchte ich etwas zurück.“

Nach der Flut neu aufgebaut:
Nach der Flut neu aufgebaut: "Überlebt 14.7.2021" - Die neue Produktionswand der Firma Walter Voss in der Nahmer in Hohenlimburg hat ein Graffiti bekommen, das an die Flut erinnert © WP Hagen | Marcel Krombusch

„Ein gängiges Prozedere“

Auf Anfrage betont die SIHK Hagen, es sei gängiges Prozedere, dass die Betriebe für die Gutachten in Vorkasse treten müssen. Dieses Geld werde komplett zurückerstattet, wenn der Antrag auf Aufbauhilfe bewilligt ist. „Zusätzlich werden Entschädigungen in Höhe von bis zu 80 Prozent gewährt“, sagt Jens Ferber, der bei der SIHK Hagen die eingehenden Anträge für Fluthilfe von Betrieben bearbeitet. Die Handwerkskammer prüft, ob die Anträge auf Fluthilfe vollständig vorliegen und grundsätzlich plausibel sind. Manchmal komme es vor, dass Anträge nachgebessert werden müssten, so Ferber.

+++ Lesen Sie auch: Hochwasser – Was die Stadt Hagen weiß, aber den Bürgern nicht zeigen darf +++

Von der Südwestfälischen Industrie- und Handelskammer gehen die Anträge dann zurück an die Betriebe. Diese müssen die Unterlagen dann bei der NRW.Bank einreichen, die letztlich über die Auszahlung entscheidet. Dass diese Zahlung ausbleibt, obwohl der Antrag als plausibel und vollständig eingestuft wurde, diese Sorge sei weitestgehend unbegründet. „Das ist kein Vabanque-Spiel“, unterstreicht Ferber. Das Vertrauen in die Gutachten sei hoch. Der Fall der Firma Voss sei bekannt, sagt Ferber. Die SIHK Hagen befinde sich im engen Austausch mit dem von der Flut betroffenen Betrieb.

Jutta Simon ist Geschäftsführerin des Unternehmens.
Jutta Simon ist Geschäftsführerin des Unternehmens. © Firma Voss

Die Nachbarschaft spendet Kraft

Der Frust über die Fluthilfe sitzt nicht nur bei der Firma Voss in der Nahmer tief. Jüngst hatte diese Zeitung über den Tischler Dirk Tabbert berichtet, dessen Betrieb nur wenige Kilometer talaufwärts der Firma Voss liegt und ebenfalls von der Flut schwer getroffen wurde. Da er den Wiederaufbau in Eigenregie organisiert hat, fehlte es an nötigen Rechnungen, die er für den Antrag auf Fluthilfe bei Handwerkskammer und NRW.Bank einreichen konnte. Er zeigte sich im Gespräch mit dieser Zeitung dankbar über die Menschen in seiner Umgebung, die nach der Flut geholfen haben, und die Kunden, die Verständnis zeigten.

Ähnliche Töne hierzu auch von der Firma Voss. Die Nachbarschaft, die Freiwillige Feuerwehr von der Gasstraße, die Kunden – hier habe man viel Unterstützung erfahren. Dazu die Mitarbeiterschaft im eigenen Betrieb, die diese Katastrophe zusammengeschweißt habe. „Sie haben mit Bildern von der zerstörten Wand meines Betriebes Reklame gemacht. Aber wer wirklich geholfen hat, das waren die Menschen vor Ort, wie Nachbarn und die Freiwillige Feuerwehr.“

Nur punktuelle Säuberungen

Mit letzterer steht die Firma bis heute in engem Austausch – denn der Nahmer Bach vor der eigenen Produktionshalle ist nicht verschwunden. Und bei Starkregen geht der Blick nun häufiger in das Gewässer. Manchmal bleiben Mitarbeiter zur Nachtwache, wenn es eine Flutwarnung gibt. Jutta Simon pocht auf besseren Hochwasserschutz vor ihrer Haustür. Sie will ihre Betriebsmauer besser sichern und fordert, der Nahmerbach müsse von Geröll und Unrat beseitigt werden. Hier gab es bislang nur punktuelle Säuberungen der Stadt. Künftig wolle sie selbst in den Schutz investieren, wenn es nicht anders geht.

Die Versicherungssumme ihres Firmengebäudes habe man bereits auf acht Millionen Euro aufgestockt, um bei künftigen Flutereignissen finanziell besser gewappnet zu sein. Der Maschinenpark ist aber erneut nicht mit inbegriffen. „Die Versicherungsbeiträge wären unbezahlbar. Dann hätten wir so hohe Preise, dass wir keine Kunden mehr hätten.“