Hagen. Annegret hat vor einem halben Jahr eine Selbsthilfegruppe in Hagen gegründet. Long-Covid-Betroffene tauschen sich aus. Hier ein paar Tipps.
Das Heimtückische an der Krankheit? „Es gibt völlig verschiedene Ausprägungen, es gibt einen ganzen Symptome-Katalog“, schüttelt Annegret traurig den Kopf.
Doch sich dem Schicksal zu unterwerfen und aufzugeben, kommt für sie nicht in Frage. Die 86-Jährige aus Hagen war vor knapp zwei Jahren an Corona erkrankt und bietet nun dem Post-Covid-Syndrom die Stirn.
Vor einem knappen halben Jahr hat Annegret eine Selbsthilfegruppe für Long-Covid-Betroffene ins Leben gerufen. Mittlerweile kommt zu den Treffen rund ein Dutzend Männer und Frauen – und es sollen noch mehr werden.
Zum besseren Verständnis: Long Covid ist der Oberbegriff für gesundheitliche Langzeitfolgen, die nach einer Infektion mit dem Coronavirus vorhanden sein können. Der Begriff Long Covid umfasst Symptome, die mehr als vier Wochen nach Ansteckung mit dem Coronavirus fortbestehen, sich verschlechtern oder neu auftreten.
Beschwerden, die noch nach drei Monaten bestehen und mindestens zwei Monate lang anhalten oder wiederkehren, werden als Post-Covid-Syndrom bezeichnet.
Treffen im Schultenhof
Einmal pro Monat treffen sich Annegret und ihre Leidensgenossinnen und -genossen in der AWO-Begegnungsstätte Schultenhof in Eilpe. „Es gibt bei uns keine Tagesordnung und kein festes Programm. Wir tauschen uns einfach aus. Über Erfolge, Rückschläge, Erfahrungen und Wünsche für die Zukunft“, sagt Annegret, deren Ehemann Willi im April 2021 an Corona gestorben ist und die selbst seit ihrer eigenen Covid-19-Erkrankung an Muskelschmerzen und einer Gehbehinderung leidet.
Als Gruppengründerin hat die patente Rentnerin wieder eine Aufgabe, eine wichtige Aufgabe – sie animiert Gleichgesinnte, über ihre Krankheit zu sprechen, sie publik und somit vielleicht auch erträglicher zu machen.
Cola- und Mineralwasserflaschen stehen auf dem Tisch, der Raum im Schultenhof füllt sich peu à peu. Etwa zwei Drittel der Anwesenden sind Frauen, ein paar Männer sind auch gekommen.
Wie Matthias. Er erkrankte im Frühjahr 2021 an Corona, ein halbes Jahr später wusste er, dass er ein Post-Covid-Fall ist. Matthias ist Verfahrensmechaniker. „Früher ging ich nach der Arbeit zum Sport oder unternahm mit meiner Partnerin irgendetwas schönes. Ja , früher. . .“ , sinniert der heute 58-Jährige.
Schlechtes Kurzzeitgedächtnis
Kurz nach seiner Corona-Erkrankung ging Matthias wieder arbeiten, „aber danach war ich jeden Tag platt, total schwach und musste mich sofort hinlegen“, sagt der Hagener. Ein halbes Jahr ging das so, dann hatte er einen Meniskusriss im Knie, musste operiert werden, „und danach war es ganz aus. Seitdem bin ich krank geschrieben“, sagt der Mann deprimiert und fügt an: „Vor Corona hab’ ich Fußball gespielt, heute kann ich kaum mehr 20 Schritte gehen.“
Was ihm mindestens genau so zu schaffen macht, ist sein schlechtes Kurzzeitgedächtnis, das sich kurz nach der Covid-19-Erkrankung immer mehr herauskristallisierte. „Ich verlege ständig meine Brille, beim Einkaufen vergesse ich die Hälfte. In einer Reha hab’ ich Hirnleistungstraining gemacht, aber das hat mich auch nicht weiter gebracht.“ Was sich Matthias für seine Zukunft erhofft? „Dass ich hier von Gleichgesinnten Ratschläge und Anregungen bekomme, die mir helfen.“
Kur in spezieller Long-Covid-Klinik genehmigt
Auch Annette, ebenfalls Mitglied der Selbsthilfegruppe, gibt die Hoffnung nicht auf: „Mir ist eine vierwöchige Kur in einer speziellen Long-Covid-Klinik im Saarland genehmigt worden. Am 7. März geht’s los“, sagt sie mit einer erfreulichen Portion Optimismus in der Stimme.
Und auch bei Kai hatte Corona kräftig eingeschlagen. Der Schichtführer erkrankte an Long Covid. „Sport war seitdem für mich unmöglich, die Versorgung der Zellen mit Sauerstoff war einfach zu schlecht.“ Früher war Kai leidenschaftlicher Taucher und Radfahrer, „und dann war ich nur noch schlapp. Während ich früher mit links einen Kasten Wasser zig Treppen hochtrug, war ich plötzlich schon mit drei Flaschen Wasser überfordert.“
Hinzu kamen auch bei ihm Probleme mit dem Kurzzeitgedächtnis, „ich las wichtige Arbeitspapiere durch und hatte nach zwei Sekunden wieder alles vergessen“, sagt der Schichtführer.
Hoffnung auf Heilung niemals aufgeben
Dann lernte der 51-Jährige eine Professorin kennen, die bei ihm eine Sauerstofftherapie durchführte. „Die Therapie ging über sieben Monate – von Mai bis November. Im September, also nach nur fünf Monaten, war ich zum ersten Mal wieder tauchen, das war der Wahnsinn“, sagt Kai glücklich.
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Und heute? „Liegt mein Lungenvolumen wieder bei 97 Prozent“, sagt der 51-Jährige. Sein Resümee: „Es gibt ganz viel, was Haus- und Fachärzte für Patienten tun können – wenn sie denn wollen.“
Ein Problem sieht Kai auch darin, dass viele Patienten gar nicht wissen, was ihnen zusteht oder um was es sich lohnen könnte, sich zu bemühen. „Sauerstoffgeräte für zu Hause können zum Beispiel nicht nur von Lungenfachärzten verschrieben werden, sondern auch von Hausärzten“, liefert der 51-Jährige ein Beispiel. Er appelliert an alle Betroffenen, die Hoffnung auf Heilung oder zumindest Besserung niemals aufzugeben.
Weitere Infos:
Die Selbsthilfegruppe für Long-Covid-Betroffene tritt sich jeweils am ersten Mittwoch im Monat von 16 bis 17.30 Uhr in der Selbecker 16.
Weitere Informationen gibt’s beim Selbsthilfe-Büro unter der Tel. 02331-18 15 16 oder 02331-
207 37 14. Ansprechpartnerin für die Pflegeselbsthilfe des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes ist Pia Kröger-Götze, Tel. 02331-36 73 383.
Die gesundheitlichen Langzeitfolgen einer Infektion mit dem Coronavirus umfassen Beeinträchtigungen der körperlichen, geistigen sowie der psychischen Gesundheit, welche die Funktionsfähigkeit im Alltag und sogar die Lebensqualität einschränken kann.
Zu den häufigsten Beschwerden zählen Müdigkeit, Erschöpfung und eingeschränkte Belastbarkeit (Fatigue), Kurzatmigkeit, Konzentrations- und Gedächtnisprobleme, Schlafstörungen sowie Muskelschwäche und -schmerzen. Auch von psychischen Problemen wie depressive Symptome und Ängstlichkeit sowie Störungen von Geschmack und Geruch wird häufig berichtet.