Hagen. Der Mangel an Gewerbeflächen droht in Hagen zum Hemmschuh zu werden. Die SIHK zeigt sich im Namen der Wirtschaft unzufrieden mit der Entwicklung.
Die Stadt Hagen tritt bei der Ausweisung namhafter neuer Industrie- und Gewerbeflächen, aber auch bei der Reaktivierung von Brachen seit Jahren weitgehend auf der Stelle. Dies ist in Teilen dem stagnierenden Fortgang des Regionalplanverfahrens geschuldet. Die Südwestfälische Industrie- und Handelskammer (SIHK) sieht aber auch hausgemachte Gründe für den weitgehenden Stillstand, der selbst von Oberbürgermeister Erik O. Schulz kaum bestritten wird. Der Verwaltungschef machte zuletzt im Interview mit der Stadtredaktion deutlich, dass für eine Brachen-Reaktivierung die relevanten Flächen fehlten, die Bieterwettbewerbe um neue Industrieflächen im Lennetal die finanziellen Möglichkeiten der Kommune sprengen würden und für eine Entwicklung auf dem Böhfeld die Verkaufsbereitschaft der Flächeneigner fehle. Zudem mangele es an den personellen Kapazitäten, dieses Themenfeld mit dem geboten Nachdruck zu verfolgen.
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Dennoch, so die Erwartungshaltung von SIHK-Hauptgeschäftsführer Ralf Geruschkat, müsse Hagen hier dringend seine Hausaufgaben erledigen: „Unsere stetig wiederkehrenden Appelle, Flächenvorsorge zu betreiben, erinnern mich an Gespräche mit jungen Leuten, denen ich empfehle, rechtzeitig fürs Alter vorzubeugen – da trifft man selten auf ungeteilte Aufmerksamkeit. Wenn wir als Schlüsselthema nicht die Flächendiskussion und Vorratspolitik vorantreiben, um in drei, fünf, zehn oder fünfzehn Jahren handlungsfähig zu sein, wenn tatsächlich mal jemand vor der Tür steht, dürfen wir uns auch nicht wundern, wenn große Ansiedlungen in Brandenburg stattfinden und nicht hier. Das Thema ist Chefsache. Auf dieser Ebene müssen die Voraussetzungen für die Zukunft geschaffen werden.“
Kein Konsens für Ansiedlungen
„Gewerbeflächen sind ein wesentliches Grundlagenthema für Perspektiven, für Entwicklungen und Stimmungen am Standort“, so Geruschkat weiter. „Mein Gefühl beim Blick auf die Debatten rund um das Sanitätshaus am Loxbaum, die Abus-Investition an der A1 in Haspe oder auch die Lidl-Diskussion am Innenstadtring ist jedoch, dass – egal wo man eine Fläche anfasst – es immer etwas gibt, was Projekte über das Jahre andauernde bürokratische Verfahren hinaus verzögert. Irgendwann gilt: ohne Fläche keine Perspektive.“
Hier müsse ein gesellschaftliches Umdenken angestoßen werden. „Warum muss es stets als völlig utopisch betrachtet werden“, fragt der SIHK-Hauptgeschäftsführer eher rhetorisch weiter, „einen Autohersteller wie Tesla oder eine Chip-Fabrik wie Intel in die Region zu holen?“ Größere zusammenhängende Flächen, wo man im Dreischichtbetrieb arbeitet, dürften nicht ausgeschlossen bleiben. „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht irgendwann in ein Stillstandsszenario geraten: Vorausschauende Flächenpolitik ist ja angesichts der ohnehin schon bürokratisch überfrachteten Verfahren das Entscheidende.“
Viele Flächen mit Restriktionen
Zudem sei es eine Mär, ergänzt SIHK-Geschäftsbereichsleiter Christoph Brünger, dass Hagen schon heute mit überreichlich Gewerbeflächen zugepflastert sei: „Industrie- und Gewerbeflächen machen gerade einmal 5,8 Prozent des Stadtgebiets aus. Sie sind immer ein intelligenter Mix aus der Nutzung vorhandener Flächen und Nachverdichtung, aber auch die Inanspruchnahme von neuen Flächen. Denn Boden ist eine endliche Ressource, mit der auch wir sorgfältig und nachhaltig umgehen möchten.“
Das gewerbliche Flächenmanagement der Businessmetropole Ruhr weist für Hagen – Stand 2021 – 47,30 Hektar (2019: 43,68 Hektar) an verfügbaren Gewerbeflächen aus. Davon sind jedoch 37,55 Hektar mit Nutzungsrestriktionen (beispielsweise fehlende Verkaufsbereitschaft der Anwohner, mangelhafte verkehrliche Anbindung, nicht vorhandene Erschließung, Altlasten, ökologische Auflagen) behaftet, also fast vier Fünftel. „Flächen über drei Hektar sind gar nicht mehr verfügbar, so die aktuelle Situation“, unterstreicht SIHK-Flächenexperte Frank Bendig.
„Wir treten als Kammer gerade auch für den Verlagerungs- und Erwartungsbedarf unserer Unternehmen ein und nicht etwa nur für große Neuansiedlungen. Aber da findet gerade ein Umdenken in den Köpfen statt“, beschreibt Brünger einen Wandel im Haus der SIHK. „Warum sagen wir eigentlich, dass Tesla nur nach Brandenburg kann? Das ist kein Naturgesetz. In puncto Strukturwandel, Anforderungen an Mobilität oder auch Umwelttechniken finden Unternehmen in unserer Region ja eine hochkompetente Mitarbeiterschaft, die als Ziel solcher Investitionen total begehrt ist. Dennoch gibt man sich zu häufig mit diesem Ist-Zustand zufrieden. Damit droht aber das Scheitern im Strukturwandel. Wir haben die Ressource Fachkraft, eine perfekte verkehrliche Anbindung und kompetente Forschungsabteilungen. Aber wir können keine Flächen anbieten.“ Das musste zuletzt selbst SIHK-Präsident Ralf Stoffels in seiner Rolle als global agierender Unternehmer erfahren, der für seinen Ennepetaler Betrieb eine Erweiterungsfläche suchte und an Hagen vorbei bis in den Märkischen Kreis ausweichen musste, weil der Ennepe-Ruhr-Kreis keine adäquaten Angebote liefern konnten.
Regionalplan blockiert Fortschritt
Zurzeit stecken in Hagen größere Flächen wie Abus (6,3 Hektar), Böhfeld (30 Hektar), Dolomit (33 Hektar) oder auch Hammacher (8,8 Hektar) zumindest in Bebauungsplanverfahren, diese sind aber alle nicht abgeschlossen. Viele Flächenprojekte für gewerblich-industriellen Bereiche stecken zudem im Regionalplanverfahren fest, an dem seit fast 15 Jahren gearbeitet wird. Dieser sollte ursprünglich im Jahr 2015 rechtskräftig sein. „Planerisch sind wir hier mit größeren neuen Flächen an der Grundschötteler Straße, Böhfeld, Gut Kuhweide und Kläranlage Fley zumindest auf einem guten Weg“, fasst Brünger die Situation zusammen. Hier müsse im Geiste einer offensiven Flächenvorratspolitik auf beiden Ebenen – RVR und lokal – parallel gearbeitet werden, um dann bei Bedarf schnell reagieren zu können. Die SIHK regt darüber hinaus an, noch weitere Flächen in Haßley bzw. rund um den A45-Anschluss Hagen-Süd für die weitere Regionalplanentwicklung vorzusehen.
Darüber hinaus appelliert die SIHK, das Projekt „B7>17“ wiederzubeleben. Dieses hatte das Ziel, zwischen Schwelm und Hagen entlang der Bundesstraße 7 den wilden Mix aus Wohnen, Gewerbeflächen und Industriebrachen zu entwirren und so neuzuordnen, dass Restriktionen beseitigt und mit Hilfe von Fördermitteln neue Flächen entwickelt werden. „Es muss endlich ein Ideen-Prozess beginnen, der die planerischen und rechtlichen Voraussetzungen schafft, um bei Bedarf handeln zu können, auch wenn da in den nächsten zehn Jahren absehbar erst einmal wenig passiert“, mahnt Brünger an. „Wir müssen beispielsweise beim Zeichnen von Radwegen die Gewerbeflächen oder verkehrliche Strukturen gleich mitdenken. Wer hat die Strategie für solche Zukunftspläne?“
Breiter Schulterschluss gefordert
„Dazu bedarf es auch einer Planer-Offensive, damit wir handlungsfähig bleiben“, ergänzt SIHK-Hauptgeschäftsführer Geruschkat. Zugleich vermisst er eine gesellschaftliche Debatte und den Schulterschluss zwischen Politik, Wirtschaft, Bürgerschaft und Gewerkschaften, eine Flächenoffensive an die Stadtverwaltung, aber auch das Land heranzutragen. „Wir brauchen ein gemeinsames Verständnis, dass das eine Priorität sein muss. Wenn wir das heute liegen lassen, fällt uns das Thema in zehn Jahren auf die Füße. Erfolge stellen sich zwar vielleicht erst dann ein, wenn die nächsten Wahlen schon gelaufen sind. Aber das vielzitierte Deutschland-Tempo gilt eben auch für die Flächenentwicklung.“