Hagen. In Hagen gibt es mittlerweile mehr Katholiken als Protestanten. Doch beide Kirchen haben ein Problem, sie verloren 2022 insgesamt 1162 Mitglieder.

Die beiden großen Kirchen in Hagen verlieren immer mehr und immer schneller Mitglieder. Wie das Amtsgericht Hagen mitteilte, kehrten im vergangenen Jahr 622 Katholiken ihrer Kirche den Rücken. Zum Vergleich: Im Jahr 2021 waren es lediglich 397 gewesen.

Auch die evangelische Kirche in Hagen musste einen Aderlass verkraften, 540 Mitglieder erklärten 2022 ihren Austritt (2021: 388).

Seit 2005 ist die Zahl der Mitglieder der katholischen Kirchengemeinden in Hagen um 11.186 Menschen gesunken, bei den Protestanten sank sie im gleichen Zeitraum um 17.324. Damit hat sich das Verhältnis verschoben, es gibt inzwischen mehr Katholiken (47.807) als Protestanten (43.044) in der Stadt. In Hagen leben rund 190.000 Menschen.

2005 war das noch anders, damals standen 60.378 Protestanten 58.993 Katholiken gegenüber.

Die meisten Menschen treten ohne Begründung aus

Erschreckende Zahlen für die beiden Kirchen in Hagen, denen die Verantwortlichen weitgehend macht- und auch ratlos gegenüberstehen. „Die Frage nach dem Warum ist schwer zu beantworten“, sagt Henning Waskönig, Superintendent des evangelischen Kirchenkreises Hagen: „Für uns als Kirche ist diese Entwicklung auf jeden Fall sehr schmerzhaft.“

Auch Dieter Aufenanger, Dechant der katholischen Kirche in Hagen, zeigt sich betroffen: „Es tut weh, wenn die Leute gehen.“

Bei der Suche nach den Gründen für die vielen Austritte stehen die Mitarbeiter der Kirchen oft einer Mauer des Schweigens gegenüber. Denn um aus der Kirche auszutreten, bedarf es lediglich einer Erklärung beim Amtsgericht. Und es ist nicht nötig zu begründen, warum man austritt.

Kirchenvertreter suchen nach Erklärungen

„Leider sprechen die Menschen, die austreten, nicht mit uns“, berichtet Aufenanger. Man schreibe zwar jedes verlorene Schaf an, um etwas über die Motive des Austritts zu erfahren, doch kaum jemand reagiere auf die entsprechenden Fragen. Die evangelische Kirche macht die gleichen Erfahrungen: „Es handelt es sich um eine Gewissensentscheidung, für die niemand Rechenschaft ablegt“, so Henning Waskönig.

Dabei würde er gern erfahren, was einen Menschen dazu bringt, der Kirche Adieu zu sagen, so der Superintendent. Die Hintergründe der zahlreichen Kirchenaustritte seien wohl verschieden: „Hierbei stellt sich mir die Frage, ob sich in diesen Austritten eine Krise der Institution Kirche zeigt oder eine Glaubenskrise der Menschen.“

Vermutlich spiele beides eine Rolle und hänge auch miteinander zusammen: „Trotzdem könnte es sein, dass eher die Kirche als Institution als der Glaube an Gott für die Menschen zur Frage wird.“

Ein aktives Gemeindeleben vor Ort

Auch Dechant Aufenanger führt ein Bündel von möglichen Beweggründen an, die zum Austritt aus der Kirche führen könnten: die hierarchsche Struktur der Kirche, das Auftreten nach außen, der mangelnde Glaube des Einzelnen, die Kirchensteuer, der zunehmende Materialismus, die immer neuen Missbrauchsskandale: „Aber es mangelt uns als Kirche möglicherweise auch an Inhalten, an dem, was wir als Katechese bezeichnen.“

Was ihm Sorge bereite, seien die Austritte von Menschen aus der Mitte der Gesellschaft, von denen man immer geglaubt habe, sie seien „gut katholisch“: „Und dann haben sie, sicherlich nicht von heute auf morgen, sondern nach einem langen Abwägungsprozess, doch diesen letzten Schritt vollzogen.“

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Die vielen Austritte ständen im Gegensatz zu dem lebendigen Gemeindeleben, das er täglich erlebe, sagt Aufenanger. Vor Ort werde viel Gutes getan, es gebe Ideenwerkstätten, die gerade für Familien und junge Menschen passende Angebote entwickelten. Die Gemeinden würden vielleicht weiter an Zahl abnehmen, doch diejenigen, die ihrer Kirche treu blieben, bildeten eine aktive Gemeinschaft.

Die Frage, ob man den Glauben brauche, um glücklich zu sein, könne letztlich nur jeder Mensch für sich selbst beantworten, sagt Henning Waskönig: „Bei mir persönlich ist das so. Aber wie es bei anderen ist, darüber vermag ich mir kein Urteil zu erlauben.“