Hagen. Der finanzielle Druck auf den Evangelischen Kirchenkreis Hagen nimmt stetig zu. Jetzt müssen die Gemeinden reagieren – wir skizzieren den Weg.
„Dass die Veränderung kommt, ist bereits klar – allerdings das Ergebnis noch nicht. Die Lage ist nicht nur kompliziert, sondern komplex.“ Henning Waskönig, Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises in Hagen, steht vor der immensen Aufgabe, die Zukunft der gut 60.000 Protestanten in zukunftsfeste Bahnen zu lenken. Größte Herausforderung dieses Spagats: Die ursprüngliche biblische Botschaft darf nicht aus dem Fokus geraten, aber zugleich muss der immer enger werdende finanzielle Rahmen zur Vielzahl der Angebote passen. „Unsere Kirche steht vor einem entscheidenden Schritt“, sollen bereits bis Ende März aus den Gemeinden die Rückmeldungen vorliegen, welches Modell von Kirche künftig handlungsleitend im Kirchenkreis Hagen sein soll. Es geht um nichts Geringeres, als die Existenz und zugleich das Wirken abzusichern. Damit ist das zentrale Thema für die bevorstehende Frühjahrssynode bereits gesetzt.
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Die jüngsten Schlagzeilen aus Haspe ließen schon aufhorchen und lieferten zugleich einen Vorgeschmack auf das, was da noch kommen mag: „Kirche trennt sich von Kitas“, hieß es pünktlich zum ersten Advent, eine Nachricht, die nicht bloß bei den Eltern Sorgen und Ängste auslöste. Angesichts des immensen Sanierungsdrucks und knapper Finanzmittel sieht die Gemeinde keine Chance mehr, ihre drei Immobilien zu halten und dort weiterhin als Träger zu agieren. Keine Kapitulation, aber ein klarer Hinweis darauf, dass der Druck erheblich ist. Schmerzliche Entscheidungen müssen getroffen werden, und es gibt zunächst einmal auch keine Tabu-Themen.
Investitionen in Klimaschutz
Die aktuelle Faktenlage ist eindeutig: Der Trend der Gemeindegliederzahlen kennt seit Jahrzehnten nur eine Richtung: abwärts. Die Kirchensteuerzuweisungen der Landesregierung belaufen sich in diesem Jahr auf 9,4 Millionen Euro. „Noch ist das Level angesichts der konjunkturellen Lage in Deutschland – mal abgesehen vom aktuellen Kaufkraftverlust – nahezu stabil, aber der Einbruch wird jetzt bald kommen“, skizziert Waskönig die Situation ungeschminkt. „Dennoch dürfen wir uns aus den gesellschaftlichen Aufgaben nicht zurückziehen, müssen jedoch kompakter werden.“
Hinzu kommt, dass die Landessynode sich die Klimaneutralität der Evangelischen Kirche bis zum 2035 auf die Fahnen geschrieben hat. Dazu müssen ab sofort vier Prozent der Steuermittel für dieses Nachhaltigkeitsthema investiert werden, was im Fall des Hagener Kirchenkreises etwa 376.000 Euro entspricht, die somit für andere Zwecke nicht mehr zur Verfügung stehen. Über all dem schwebt zudem noch die langfristige Projektion, dass die Mitgliederzahlen und somit die Finanzkraft bei den Protestanten sich bis zum Jahr 2060 noch einmal halbieren könnten.
16 Gemeinden – ein Kirchenkreis
Der Evangelische Kirchenkreis umfasst neben der Stadt Hagen auch die Gemeinden Breckerfeld, Wetter und Herdecke. Konkret sind das folgende 16 Gemeinden mit eigenen Gottes- und Gemeindehäuser:
Ev. Auferstehungskirchengemeinde Hagen: Ev. Kirche Dahl, Ev. Kirche Rummenohl;
Ev. Jakobus-Kirchengemeinde Breckerfeld: Evangelische Dorfkirche Zurstraße, Ev. Jakobus-Kirche Breckerfeld;
Ev. Kirchengemeinde Ende: Dorfkirche Ende, Kapelle +;
Ev. Kirchengemeinde Herdecke: Stiftskirche St. Marien;
Ev. Kirchengemeinde Volmarstein: Christuskirche Grundschöttel, Dorfkirche Martinskirche;
Ev. Lydia-Kirchengemeinde: Friedenskirche (Halden), Jakobuskirche (Helfe), Lukaskirche (Eckesey), Petruskirche (Kabel), Philipp-Nicolai-Kirche (Boele), Paul-Gerhardt-Kirche (Boelerheide), Kreuzkirche (Vorhalle);
Ev.-Luth. Christus-Kirchengemeinde Hagen: Christuskirche;
Ev.-Luth. Dreifaltigkeits-Kirchengemeinde Hagen: Dreifaltigkeitskirche;
Ev.-Luth. Emmaus-Kirchengemeinde Hagen: Erlöserkirche, Gnadenkirche;
Ev.-Luth. Kirchengemeinde Haspe: Ev. Kirche Haspe, Frankstraße, Kapelle Zum guten Hirten, Gemeindehaus, Enneper Straße;
Ev.-Luth. Kirchengemeinde Wetter (Ruhr): Lutherkirche Wetter;
Ev.-Luth. Matthäus-Kirchengemeinde Hagen: Matthäuskirche;
Ev.-Luth. Paulus-Kirchengemeinde Hagen: Pauluskirche Gemeindezentrum, Stephanuskirche;
Ev.-Luth. Stadtkirchengemeinde Hagen: Johanniskirche am Markt, Markuskirche;
Ev.-Ref. Kirchengemeinde Hagen: Reformierte Kirche;
Ev.-Ref. Kirchengemeinde Wetter-Freiheit: Ev. Kirche Wetter-Freiheit.
„Die Frage, wo wir herkommen und wohin wir gehen, beschäftigt sehr viele Menschen in unserem Kirchkreis“, bilanzierte Superintendent Henning Waskönig, nachdem er im Jahr 2022 bei einer Tour durch den Kirchenkreis alle 16 Kirchengemeinden und Presbyterien besucht hatte.
„Wie können wir es schaffen, nicht bloß um uns selbst zu kreisen, sondern unseren Auftrag im Blick zu behalten? Es gibt jede Menge erfrischender Erfahrungen, die Menschen mit Kirche machen. Vor lauter Herausforderungen und Veränderungen geraten diese allerdings zuweilen aus dem Blick. Es wird entscheidend sein, uns gegenseitig zu stärken und aufmerksam wahrzunehmen“, so das Credo des Superintendenten.
Auf welchen Terrains sich der Evangelische Kirchenkreis Hagen angesichts dieser Perspektiven mit welcher Intensität engagieren möchte, wo die geringer werdenden Mittel sinnhaft eingesetzt werden und welche Strukturen und Betätigungsfelder tatsächlich noch eine realistische Perspektive haben, steht aktuell auf dem Prüfstand und bestimmt die teilweise existenziellen Debatten in den Gemeinden. Zumal sich zurzeit auch das Phänomen verfestigt, dass sich kaum noch Pfarrerinnen und Pfarrer finden, weiß der Superintendent: „Auf frei werdende Pfarrstellen haben wir manchmal in der ersten Ausschreibungsrunde keinen einzigen Bewerber. Daher müssen wir auch mit unserem Wirken attraktiv bleiben, damit wir stabil Geistliche in den Kirchenkreis locken können.“ Zumal, diese Erfahrungen machen zurzeit viele Arbeitgeber, der Standort Hagen es hinsichtlich der Arbeits- und Lebensqualität im Wettbewerb um gute Kräfte ohnehin nicht leicht hat. Zudem hat der Kirchenkreis den Anspruch, unbefristete Stellen ausschreiben zu können. Doch diese stabile Jobperspektive wird angesichts des absehbaren Schrumpfungsprozesses nur möglich, wenn auch Gemeindestrukturen neu gedacht werden.
Mehrere Modelle im Gespräch
In aller Munde sind hier zurzeit unter anderem die Kirchenmodelle der Theologin Uta Pohl-Patalong. Diese skizziert in ihrem aktuellen Buch „Kirche gestalten – wie die Zukunft gelingen kann“ fünf Ausgestaltungsmodelle, die sich zwischen den Strukturen der ursprünglichen Ortsgemeinde und der „Fresh X“-Variante bewegen, bei der Kirche nur noch als Teil eines anderen Trägers irgendwo mit unterschlüpft. „Für uns ist der Zeitpunkt gekommen, innezuhalten, um festzulegen, in welche Richtung wir uns hinbewegen möchten.“
Gerade beim Blick auf den Immobilienbestand wird schnell deutlich, dass der Ist-Zustand keine Zukunft hat. „Natürlich haben wir gar nicht die finanziellen Möglichkeiten, hier flächendeckend Klimaneutralität zu erzielen“, spricht Waskönig davon, eine gesunde Balance herstellen zu wollen. Die Evangelische Kirche von Westfalen formulierte zuletzt die These, dass die Gemeinden sich absehbar von etwa 40 Prozent des Immobilienbestandes trennen müssen. Noch eine bittere Wahrheit.
Beispielhaft für das Entscheidungsdilemma sei an dieser Stelle die das Haspe-Bild prägende Kapelle „Zum Guten Hirten“ auf dem Tücking genannt: Dieses Gotteshaus hat energetisch sicherlich überreichlich Optimierungspotenzial. Aber es ist selbstverständlich kaum vorstellbar, diese beliebte Hochzeits- und Taufstätte grundsätzlich in Frage zu stellen. „Die Kapelle steht derzeit überhaupt nicht zur Disposition. Trotzdem zeigt dieses Beispiel, dass die notwendigen Diskussionen um kirchliche Gebäude mit vielen Emotionen behaftet sind und wir da sehr sensibel vorgehen müssen. Dennoch müssen wir den Mut haben, uns jetzt auf den Weg zu machen. Dabei bleibt natürlich das Risiko, mal zu scheitern und für ein Stück der Wegstrecke wieder umkehren zu müssen. Aber die Haltung ,Es ist noch immer gut gegangen‘ ist keine Option mehr.“
Diskussion auf allen Ebenen
Es handele sich um einen Häutungsprozess in unterschiedlichen Tempi: Es gebe viele, die voran gehen, und andere, die zunächst verhalten reagierten. „Selbst die Pfarrer müssen ihre Profession verändern – Aufgabenkritik ist ein ganz wichtiger Teil des Prozesses“, erinnert Waskönig daran, dass die anstehenden Veränderungen für altgediente Geistliche auch einen Trauerprozess beinhalte: „Immerhin wird all das, was sie über Jahrzehnte aufgebaut haben, plötzlich zur Disposition gestellt. Dabei wird mit dem Prozess ja gar nicht deren eigene Arbeit in Frage gestellt – dieses Wirken hatte seine gute Zeit“, ist der Superintendent zugleich froh, dass bei den einzufädelnden Reformen die Geistlichkeit nicht unter sich bleibt, sondern sämtliche Leitungsgremien mitgenommen werden: „Viele brennen für die kirchliche Botschaft und sind bereit, sich neu zu erfinden und sich anzustrengen.“
Dazu gehört in den Augen von Waskönig auch, dass Kirche sich zunehmend dorthin bewegt, wo die Menschen unterwegs sind und nicht weiter statisch darauf wartet, dass die Menschen zurück in die Gotteshäuser strömen: „Da haben wir noch eine Lernkurve nach oben.“ Bis zum Mai, so der zeitliche Anspruch des Superintendenten, sollte der Evangelische Kirchenkreis Hagen nach der weichenstellenden Frühjahrssynode in der Lage sein, die künftige Richtung abzustecken.