Wehringhausen. Am Silvesterabend sollen zwei Jugendliche einen 80-Jährigen in seiner Wohnung in Wehringhausen schwer verletzt haben. Ein Besuch am Tatort.

Die traurige Meldung kam gemeinsam von Staatsanwaltschaft und Polizei: Am Silvesterabend wurde ein 80-jähriger Rentner in seiner Wohnung in Wehringhausen von zwei unbekannten jungen Männern brutal angegriffen und schwer verletzt. Er kämpft in einer Duisburger Spezialklinik noch immer um sein Leben. Eine Mordkommission der Polizei Hagen ermittelt. Ein Besuch am Tatort soll einige Hintergründe zu dem grausamen Verbrechen aufzeigen.

Das heruntergekommene Mehrfamilienhaus am Bodelschwinghplatz, in dem der betagte Grieche seit 14 Jahren in einer dunklen Erdgeschosswohnung lebt, ist eine typische Problem-Immobilie: Aufgehebelte Türen, ausgerissene Rollos. Sperrmüll, Glasscherben und Ungeziefer im verdreckten Hinterhof. Im Hausflur abgekratzte Namensschilder und aufgebrochene Briefkästen, aus denen verschlossene Kuverts von Inkassounternehmen und ungeöffnete gelbe Umschläge mit Gerichtspost quillen.

Die Adressaten sind alle längst verzogen: Sei es aus Flucht vor den Gläubigern, oder weil ein großer Rohrbruch ihre Wohnungen unter Wasser gesetzt hatte. Nur zwei Parteien sind in dem trostlosen Haus bislang noch verblieben: Ein Ehepaar aus Serbien im ersten Stock und im Erdgeschoss der 80-Jährige, der jetzt mit eingeschlagener Schädeldecke auf der Intensivstation liegt.

In diesem Haus wurde ein Rentner (80) in seiner Wohnung schwer verletzt. Die Wohnungstür war schwer beschädigt, Ermittler haben die Wohnungstür versiegelt.
In diesem Haus wurde ein Rentner (80) in seiner Wohnung schwer verletzt. Die Wohnungstür war schwer beschädigt, Ermittler haben die Wohnungstür versiegelt. © Alex Talash

„Wir sind die letzten, die hier wohl wohnen bleiben müssen“, zeigt sich Jagoda Würfel (57) noch immer sichtlich erschüttert von der grausamen Bluttat, die dem Nachbarn eine Treppe tiefer am frühen Silvesterabend widerfahren ist: „Er ist doch ein herzensguter Mensch, mit einem langen weißen Bart, wie der Weihnachtsmann. Wir kennen ihn viele Jahre, seit seinem Einzug hier. Der tut doch niemandem was. Er hat auch kein Geld und da war gar nichts zu holen. Warum hat man ihm das nur angetan?“, fragt uns die auskunftsbereite Serbin und macht ihre Wohnungstür, Vorsicht ist besser, trotzdem nicht ganz zu weit auf. „Wir leben in ständiger Angst und wollen hier schnellstmöglich weg.“

Täter treten die Wohnungstür ein

Im November standen gleich zweimal, mitten in der Nacht, junge Einbrecher am Bett des älteren Herrn. Die beiden unbekannten Täter erschienen jeweils gegen ein Uhr und traten vom Hausflur aus die Wohnungstür ein. Der 80-Jährige, der nicht mehr gut hören kann, wurde abrupt aus dem Schlaf gerissen: Beim ersten Mal nahmen sie ihm sein Smartphone weg, beim zweiten Mal sein Tablet und das mittlerweile neu angeschaffte Handy. Die Wohnungstür war so stark demoliert, dass sie sich nicht mehr verschließen ließ. Nach beiden Straftaten wurde die Polizei hinzugerufen, die Beamten nahmen den Sachverhalt auf, konnten aber bislang keine Täter ermitteln.

Ermittler haben die Wohnungstür in Wehringhausen versiegelt 
Ermittler haben die Wohnungstür in Wehringhausen versiegelt  © Alex Talash

Mit Unterstützung von Anwohnerin Daniela Prost (50) wurde deshalb ein schwerer Schrank von innen vor die Wohnungstür geschoben, um den hilflosen Senior vor weiteren Eindringlingen zu schützen. Die engagierte Frau aus dem Haus von schräg gegenüber betreut den betagten Mann, der nur ein schwer verständliches Deutsch spricht, freiwillig – und das schon seit vielen Monaten. Sie unterstützt ihn mit Lebensmittel-Einkäufen und lässt vom Arzt Medikamente für ihn aufschreiben. Wahrscheinlich ist die Wehringhauserin für den betagten Rentner, dessen Lebensgefährtin verstarb und der seitdem alleinstehend ist, noch die einzige Verbindung zur Außenwelt in dem durch südosteuropäische Zuwanderer geprägten Stadtteil.

Steine gegen Fensterscheibe geworfen

Immer wieder, so berichtet Anwohnerin Prost, hätten sich Gruppen von frechen Kindern und provokanten Jugendlichen vor der Parterrewohnung versammelt und sich einen Spaß daraus gemacht, den 80-Jährigen lauthals zur ärgern. Nicht selten seien unter Gejohle auch Gegenstände und Steine gegen seine Fensterscheiben geworfen worden. Dadurch, dass zuletzt schon über Wochen der schwere Schrank die Wohnungstür verbarrikadierte, war der ältere Herr in seinen eigenen vier Wänden regelrecht gefangen. Das störte ihn jedoch weniger, denn seine Wohnung hätte er ohnehin nur ganz selten verlassen – allenfalls, um im nahe gelegenen Kiosk eine Cola zu kaufen.

Am Silvesterabend ereignete sich die brutale Tat. Polizei und Staatsanwaltschaft haben eine Mordkommission eingerichtet.
Am Silvesterabend ereignete sich die brutale Tat. Polizei und Staatsanwaltschaft haben eine Mordkommission eingerichtet. © Alex Talash

Für die freiwillige Betreuerin Prost war es allerdings mühsam geworden, den Senior weiterhin zu besuchen: Sie musste jedes Mal durchs Wohnzimmerfenster zu ihm in die Wohnung steigen. Ein unhaltbarer Zustand, den sie, nach eigenen Angaben, auch den zuständigen Stellen der Stadt meldete: „Er war ja schon in Pflegestufe 3 und ich habe kräftig Druck gemacht, dass die Ämter ihn da dringend rausholen und in einer Senioreneinrichtung unterbringen sollten“, schildert die engagierte Anwohnerin. Tatsächlich wurde auch ein Platz in einem städtischen Altenheim ausfindig gemacht und der Senior freute sich bereits innig auf den bevorstehenden Umzug. Es sollte jedoch noch etwas dauern, denn es war gerade kein Zimmer für ihn frei.

Einbrecher kommen über die Hofseite

So verstrichen auch die Weihnachtsfeiertage und der verhängnisvolle Silvesterabend nahte, an dem, vermutlich dieselben jungen Täter, ein drittes Mal in der Wohnung des alten Herrn auftauchten. Diesmal waren die Einbrecher schon kurz nach 19 Uhr gekommen, aber von der Hofseite. Dort öffneten sie das auf Kipp stehende Fenster mit dem herausgerissenen Rollo und kletterten nach drinnen. Was dort passierte, ist an Härte, unsäglicher Brutalität und Aggression wohl kaum noch zu überbieten: Mit einem schweren Gegenstand wurde auf die Schädeldecke des 80-Jährigen mehrmals wuchtig eingeschlagen.

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Das schwer verletzte Opfer konnte noch mit letzter Kraft seine Betreuerin zur Hilfe herbeirufen: „Dani, komm’ schnell!“ Die Anwohnerin war sofort zur Stelle und fand den alten Herrn blutüberströmt: „Diesen grauenvollen Anblick werde ich nie mehr vergessen“, sagt sie, die sofort die Rettungskräfte verständigte. Der Senior schluchzte: „Es waren zwei junge Männer, vielleicht 14 oder 15 Jahre alt.“ Daniela Prost machte noch eine wichtige Entdeckung: „Hinter dem Fernsehgerät stand ein blutverschmierter Baseballschläger. Den müssen die Täter wohl mitgebracht haben.“ Bislang bestätigen die Ermittler aber lediglich „ein mögliches Tatwerkzeug, das in der Wohnung des Geschädigten sichergestellt wurde.“

Aus dem Koma erwacht

Einen Tag nach Neujahr, am Montag, ist der alte Herr auf der Intensivstation aus dem Koma aufgewacht. Es geht ihm den Umständen entsprechend schlecht. Er hat schwere Einblutungen im Hirn, doch er lebt. Daniela Prost will ihn Ende dieser Woche in der Duisburger Klinik besuchen. Noch weiß sie nicht, ob er überhaupt schon wieder sprechen kann.

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