Hagen-Mitte. Es ist fast 60 Jahre alt, völlig undigital und kein modernes Spielzeug. Und doch ist der Andrang auf dem alten Karussell in Hagen riesig. Warum?

Ich bin ein Kind der 1980er-Jahre. Ich habe Kassetten gehört. Zwischendurch musste man umdrehen. Und wenn es mal Bandsalat gab, nahm man einen Stift und drehte alles wieder ordentlich zurück. Für meine drei Kinder sind Kassetten, was für mich Schwarz-Weiß-Fernsehen ist. Milchstraßen entfernt.

Meine Kinder stehen symbolisch für eine Generation, die statt einer Geschichte auf einer Kassette theoretisch Millionen Hörbucher in Sekundenschnelle auf dem Tablet abrufen können. Sie sind digital, ihre Welt ist digital, ihr ganzes Leben wird es sein. Wieso um alles in der Welt wirkt also das fast 60 Jahre alte und nostalgische Karussell, das jedes Jahr vor der Spinne steht, auf sie und viele andere ihrer Generation geradezu magnetisch?

Das Kinderkarussell an der Hohenzollernstraße von Andreas Alexius. 
Das Kinderkarussell an der Hohenzollernstraße von Andreas Alexius.  © Unbekannt | Michael Kleinrensing

Holzfahrzeuge handgebaut

Schausteller Andreas Alexius sagt voller Selbstbewusstsein Folgendes: „Ein Karussell kann man nicht downloaden, man kann es nicht digitalisieren. Es ist ein Karussell mit seinem eigenen Zauber.“ Ja, Zauber – ein richtiges Wort, das er da benutzt. Auf die eingangs beschriebenen Kinder hat die ganze Einfachheit dieses Fahrgeschäfts magische Wirkung. Holzfahrzeuge rollen im Kreis. Immer wieder, zweieinhalb Minuten lang. Manche bimmeln auf dem Feuerwehrauto so lange am Glöckchen, dass sie ringsherum alles vergessen. Es sind die Raser auf den Motorrädern und die, die manchmal mit ganz leerem Blick in der Straßenbahn sitzen und sich den Wahnsinn anschauen.

Original von 1966

Hier mal Fakten. Seit 2004, sagt Andreas Alexius, hätten sich die Einnahmen des Karussells verdoppelt. Eine Fahrt kostet 2,50 Euro, vier Fahrten 7 Euro und 8 Fahrten 12 Euro. Eine Einnahmenverdopplung also ohne Veränderung, ohne Transformation. Alles ist, wie es immer ist. Seit 1966. Ja, seit 1966. Das originalste aller Originalteile ist die Straßenbahn. Es folgen die Feuerwehr und die Polizei. „Alles handgebaut, alles selbst gemacht“, sagt Alexius, Schausteller in sechster Generation. „Ich liebe Weihnachten, ich liebe das Dekorieren und Verzieren.“ Man sieht es seinem Karussell an. Wer sich die Zeit nimmt, kann sich zwischen Himmel und Rollbahn in Hunderten Details verlieren. Bis hin zur elektrischen Eisenbahn, die in der Mitte des Fahrgeschäfts rollt.

Die Straßenbahn ist ein Originalteil aus dem Jahr 1966.
Die Straßenbahn ist ein Originalteil aus dem Jahr 1966. © WP | Michael Kleinrensing

Millimetergenauer Aufbau

Das Karussell steht so wie es ist millimetergenau jedes Jahr vor der Spinne. Ein Holzkonstrukt von oben bis unten. Wie man es so um den alten Baum herum aufbaut, der in der Hohenzollernstraße steht, und um den alten Gaskandelaber, die urige Laterne vor der Spinne, weiß auch nur Andreas Alexius. Wartende Eltern stehen mit den Kinderwagen oft auf den Gummimatten, die unter dem Karussell hervorgucken. Auch so ein Weihnachtsmarktdetail in Hagen.

Marlon Alexius auf dem alten Karussell.
Marlon Alexius auf dem alten Karussell. © Unbekannt | Michael Kleinrensing

Tatsächlich wird das Karussell, das keinen Namen trägt, nur noch für den Hagener Weihnachtsmarkt aufgebaut. „Es lohnt sich in der Saison nicht mehr, es aufzubauen“, sagt Andreas Alexius. Außer eben in der Weihnachtszeit in Hagen. „Hier in Hagen lieben die Menschen das Karussell“, sagt er. Lieben scheint an manchen Abenden noch untertrieben zu sein. Vor dem Karussell muss oft gewartet werden.

Über eine Preiserhöhung habe Andreas Alexius angesichts der Preisentwicklungen allgemein zwar nachgedacht, sie aber nicht vollzogen. „Hagen hat eine eher geringe Kaufkraft. Deswegen haben wir die Preise eher niedrig gehalten.“

Der Himmel des Karussells ist liebevoll verziert. Alles hier ist handgemacht.
Der Himmel des Karussells ist liebevoll verziert. Alles hier ist handgemacht. © WP | Michael Kleinrensing