Hagen. RS-Virus, Influenza, Erkältungskrankheiten: Auch in Hagen spitzt sich die Lage in den Kinderarztpraxen zu.

Die Kinderärzte in Hagen schlagen Alarm: Eine Infektionswelle ungeahnten Ausmaßes sorgt für übervolle Praxen und macht nicht nur den betroffenen Kindern zu schaffen, sondern auch dem medizinischen Personal. „Eine solche Arbeitsbelastung habe ich in meiner bisherigen ärztlichen Laufbahn noch nicht erlebt“, berichtet Dr. Tillmann Rümenapf, Obmann des Bundesverbandes für Kinder- und Jugendmedizin in Hagen und im Ennepe-Ruhr-Kreis.

Die Stadtverwaltung in Hagen bestätigt die wachsende Zahl an Influenza-Infektionen. Gab es in den beiden Vorwochen zusammen noch 16 gemeldete Fälle, so waren es in dieser Woche bereits 26. Zudem steige die Zahl deutlich früher als sonst üblich an, so Stadtsprecher Michael Kaub. Normalerweise tauchten die ersten Influenzapatienten erst im Januar/Februar auf, diesmal müsse mit einem fortlaufenden Anstieg von Patienten gerechnet werden.

Extrem angespannte Lage

Von den insgesamt 42 Betroffenen sind mehr als 50 Prozent noch nicht volljährig, die überwiegende Zahl sogar noch unter sechs Jahren. Nur eine der erkrankten Personen war gegen Grippe geimpft. Das Gesundheitsamt empfiehlt eine Grippeschutzimpfung beim Hausarzt.

Die Lage ist extrem angespannt, in den Kinderarztpraxen herrscht Daueralarm. Neben Influenza sind auch harmlosere Erkältungserreger im Umlauf.

Die Praxen stehen unter Druck. Dr. Rümenapf moniert, dass die Schulen die ohnehin kritische Lage noch verschärften, weil sie von den Eltern verlangten, für erkrankte Kinder ein Attest vorzulegen: „Manche Mütter kommen mit ihren Kindern nur wegen dieses Attests in die Praxis.“

Die Schulen sollten den Eltern ruhig mal glauben, wenn sie ihr Kind telefonisch entschuldigten, da brauche man sie nicht wegen eines Attests zum Kinderarzt zu schicken: „Das können wir einfach in der gegenwärtigen Situation nicht mehr händeln. Eltern können in der Regel selbst abschätzen, ob ein Arztbesuch notwendig ist.“

Er selbst habe zuletzt im Rahmen des kinderärztlichen Notdienstes seine kleinen Patienten im 4-Minuten-Takt abhandeln müssen: „Das ist keine echte Medizin mehr und für uns Ärzte sehr unbefriedigend.“

RS für Babys und Kleinkinder eine Bedrohung

Sorge bereitet den Mediziner außerdem das RS-Virus (Respiratorische Synzytial-Virus), das vor allem für Babys und Kleinkinder eine Bedrohung darstellt.

RSV ist ein weitverbreitetes Virus, mit dem sich auch Erwachsene infizieren. Bei ihnen verläuft die Infektion meist wie eine leichtere Erkältung. Jüngere Kinder haben jedoch engere Atemwege, wodurch sich schneller eine Bronchitis entwickeln und die Infektion besonders heftig verlaufen kann. „Das Virus befällt die Bronchiolen, also die ganz feinen Bronchien. Und da kann man mit Medikamenten kaum noch etwas ausrichten“, so Dr. Rümenapf.

Zu wenig Betten, zu wenig Ärzte

Vor allem Frühchen müssten im Falle einer Infektion oft wochenlang auf der Intensivstation bleiben und mit Sauerstoff versorgt werden. Zwar ist das RS-Virus seit langem bekannt, doch so massiv wie in diesem Jahr sei der Atemwegsinfekt bislang nicht aufgetreten. Dass in vielen Kinderkliniken wegen der zahlreichen Krankheitsfälle kein mehr Bett verfügbar sei, bezeichnete Rümenapf als „schreckliche Situation“.

Leider gebe es – zumindest kurzfristig – auch keine Lösung für das Problem. Nun räche sich, dass in der Vergangenheit Kapazitäten in Krankenhäusern abgebaut worden seien: „Vor allem in den Kinderkliniken. Die bringen nämlich kein Geld ein.“ Hinzu komme – zumindest in Hagen und dem EN-Kreis – dass es zu wenig niedergelassene Kinderärzte gebe.

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Das Allgemeine Krankenhaus Hagen hatte erklärt, derzeit etliche Kinder, die an einer RSV-Infektion leiden, zu behandeln. Momentan würden alle Operationen, die ein paar Wochen warten könnten, verschoben: „Notfälle werden nach dem Triage-System versorgt, schwer kranke Kinder erhalten eine Versorgung innerhalb weniger Minuten“, so AKH-Sprecherin Sarah Leising. Für alle anderen Kinder könne es zu teilweise sehr langen Wartezeiten kommen.