Hagen. Anforderungen an Führung sind heute ganz andere. Und die Balance aus Leben und Arbeiten wird wichtiger: Ein Gespräch über Führung mit Ada Pellert

Vielleicht haben die, die immer glaubten, nichts gemein zu haben, so viel gemeinsam wie niemals zuvor. Der Tischlerbetrieb. Die städtische Verwaltung. Das Polizeipräsidium. Der Schreibwarenhändler. Die Apotheke. Das Autohaus. Oder: die Zeitung. Die große Klammer, die sie umfasst, heißt digitale Transformation. Ohne Ada Pellert (60) dabei überhöhen zu wollen: Aber vielleicht gehört sie zu einem erlesenen Dutzend Menschen in Deutschland, die erklären können, wie das gelingen kann. Die Organisationsforschung und das Change-Management, also der angepasste Wandel an die Erforderlichkeiten der Gesellschaft, sind, was Pellert seit Jahrzehnten antreibt. Die Rektorin der Fernuniversität in Hagen, Mitglied des Digitalrats der Bundesregierung und Gründungspräsidentin der Deutschen Universität für Weiterbildung über Führung im Zeichen des digitalen Wandels.

Frau Pellert, Sie selbst führt doch eigentlich niemand mehr, oder?

Ada Pellert: (lacht) Nun ja, es gibt beispielsweise einen Hochschulrat.

Ein Kontrollgremium. Aber Führung?

Das stimmt schon, was Sie sagen. Da schaut man mir auf die Finger, aber zu einem großen Teil geht es in meiner Position um Selbstführung. Ich bin eine große Anhängerin der Idee, Führungsaufgaben teamförmig wahrzunehmen. Und dabei ist das Zusammenspiel sehr wichtig. Das erfordert auch von mir Disziplin. Aber wenn Teams reif miteinander umgehen und in der Lage sind, sich selbst zu reflektieren, dann bleibt es spannend.

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Sie selbst haben ein Weiterbildungsformat aufgelegt. „Leadership in Organisationen im Rahmen der Digitalen Transformation“. Hauen die Chefs etwa nicht mehr auf den Tisch und sagen „So, und jetzt alle digital“?

Eben nicht. Die Anforderungen an Führung sind heute ganz andere. Ich habe mir das Format ausgedacht, weil ich bei meinem Wechsel ins Hochschulmanagement die gleichen Probleme gesehen habe wie viele andere Führungskräfte im öffentlichen Sektor auch. Im Digitalrat der Bundesregierung ist mir die Frage noch mal deutlicher geworden: Wie bringen wir Menschen von A nach B – im Sinne der Weiterentwicklung? Vor allem: Wie nehmen wir Menschen auf allen Ebenen mit? Die Digitale Transformation darf nicht nur Angst machen. Und ich glaube, wir brauchen in allen Bereichen sowas wie „blended work“.

Was soll das sein?

Beim „blended learning“ werden computergestütztes Lernen und klassischer Unterricht kombiniert. Das praktizieren wir an der Fernuni. Sie können auf der Zugspitze Unterlagen studieren, aber auch in Präsenzseminaren lernen. Bei der „blended work“ müssen wir die richtige Mischform für das Arbeiten am Produkt oder an der Dienstleistung herausfinden: Was kann man dabei digitalisieren, wofür braucht es den menschlichen Faktor. Und dafür sind die Führungskräfte wichtig. Sie haben eine Übersetzerrolle.

Was machen Sie in den Seminaren mit den Führungskräften?

Es geht erst einmal gar nicht um spezifische Inhalte. Es ist wichtig, den Führungskräften den Rücken zu stärken, sie zu vernetzen und ihnen einen Raum zu geben, sich auszutauschen. Und dann geht es an die inhaltliche Arbeit. Je mehr Möglichkeiten man zur Verfügung stellt, um darüber zu sprechen, warum etwas notwendig ist, desto besser. In jeder Veränderung liegen Chancen. Wichtig ist, zu verstehen: Veränderung und Erfolg in diesen Bereichen sind kein Sprint, sondern ein Langstreckenlauf.

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Wie vermitteln Sie, dass Veränderung notwendig ist? Nur dadurch, dass Sie es sagen?

Es geht darum, den „Sense of urgency“ wahrzunehmen, das Gefühl für die Dringlichkeit. Ohne leichten Druck tut sich nichts. Niemand verändert sich gern. Aus wissenschaftlicher Sicht kann ich Ihnen sagen: Wenn das Gefühl, dass etwas Negatives passiert, wenn ich mich nicht verändere, ein Stück größer ist als die Angst vor Veränderung, dann verändere ich mich. Man braucht also einen Auslöser. In der Wirtschaft können das Umsatzeinbußen sein. In Stadtverwaltungen müssen Sie einen anderen Fokus haben. Menschen sind in vielen Fällen dorthin gegangen, weil sie eine stabile Umgebung erwartet haben. Du musst den „Sense of urgency“ dann übersetzen und klar machen, wo der Schuh dort besonders drückt. Dann kann diese Erkenntnis zum Beispiel Ansporn dafür sein, externe Mittel einzuwerben, damit die Kommune sich besser entwickelt als erwartet. Das schafft Legitimation.

Aber nur, indem Sie das allen sagen, verändert sich doch nichts...

Fangen Sie mit einer Gruppe an, die aufgeschlossen ist. Die finden Sie immer. Beginnen Sie die Arbeit mit dieser Gruppe und nicht mit Widerständigen. Ich bin eine Anhängerin des situativen Führens. Führen ist eine Beziehung von Führendem und Geführten. Beide Seiten gestalten das. Das bringt man dieser Gruppe bei. Und auch, dass jeder eine andere Art von Führung benötigt. Den Führungskräften kommt dabei die Rolle zu, dass sie nach innen übersetzen müssen, was außen geschieht.

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Und was ist mit den Widerständigen?

Das Wort klingt negativ. Aber so schlimm ist das nicht gemeint. Darunter sind Beobachtende, die gucken, ob es wirklich ernst ist mit der Veränderung. Oder solche, die austesten, ob die alten Muster nicht doch reichen, damit es schon irgendwie so weitergeht. Man muss ihnen die Notwendigkeit vermitteln. Das ist ein Prozess. Dabei sollte man auf keinen Fall zu schnell ins Technische springen und eine Sache immer bedenken: Vermeintlich alte Tugenden wie Kooperation zum Beispiel sind in der digitalen Transformation noch dringender notwendig. Die technologische Seite darf nicht im Vordergrund stehen. Nur weil einer digital alles bedienen kann, ist er nicht gleich digitaler als andere. Als Führungskraft muss man es schaffen, dass das Team in einer unbekannten Situation handlungsfähig bleibt und die Neugier, sich auszuprobieren, nicht verloren geht. Wenn ich nämlich Angst habe, freue ich mich auf nichts Neues, sondern schotte mich ab.

Nichts für Ungeduldige…

(lacht) Und somit auch eigentlich nichts für mich. Sie brauchen schon ein ordentliches Maß an Frustrationstoleranz und eine Professionalität im Überwinden von Widerständen. Das kann man erlernen.

Und am Ende braucht man eben doch Führungsmacht.

Wenn Sie die einfach nur haben, weil Sie die haben wollen, dann wird ihr Gegenüber das schnell erkennen. Ich bin jemand, der einen „Impact“, einen Einfluss haben will auf Veränderungen. Und da war und ist es immer sehr praktisch, in Führungsverantwortung zu sein. Es ist aber kein Muss: Es gibt Führung ohne Führungsmacht. Wenn Führung, wie ich eben erklärt habe, eine Beziehung ist, wird der Prozess von mehreren Seiten gesteuert. Dann ist der Raum da, Dinge auch dann inhaltlich anzustoßen, wenn man offiziell keine Verantwortung trägt. Es geht heute nicht mehr so hierarchisch zu. Das funktioniert nicht mehr. Übrigens auch nicht, weil es einen, sagen wir mal, Clash der Kulturen gibt.

Was heißt das?

Jetzt merken viele Institutionen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stark am Drücker sind. Junge Leuten haben veränderte Wertvorstellungen. Es geht ihnen nicht mehr primär ums Gehalt, sondern um eine vernünftige Balance aus Leben und Arbeiten. Gleichzeitig ist es nicht so, dass das, was Ältere mitbringen, nicht mehr gebraucht wird. Meine romantische Vorstellung ist, dass diese Diversität der Generationen in den Betrieben auch thematisiert wird. Dann entsteht Austausch, der wertvoll ist. Im Digitalrat der Bundesregierung haben wir intensiv darüber gesprochen, dass andere Leute in die Ministerien müssen. Sonst verändern sich Ministerien in ihrer Starrheit nie. Wenn du aber zum Beispiel „digital natives“ in die Ministerien holst und die wollen nach einem halben Jahr wieder weg, dann musst du genau das machen, worüber wir gerade in diesem Interview gesprochen haben: Personalentwicklung.