Haspe. Hat der Einzelhandel im Hasper Zentrum noch eine Zukunft? Auf diese häufig gestellte Frage der Bürger geben jetzt Politik und Experten Antworten.
Bei der kontinuierlichen Abwärtstendenz im Einzelhandel rund um den erweiterten Hasper Kreisel handelt es sich um kein plötzliches Phänomen, sondern einen schleichenden Prozess, der seit Jahren weitgehend geräuschlos voranschreitet. Dieses stille Ausbluten des Angebots war vor Corona schon zu beobachten, wurde durch die Etablierung des Einzelhandelszentrums auf der Brandt-Brache noch verschärft und nimmt in der Wahrnehmung der Lokalpolitik allmählich bedrohliche Formen an. Vor diesem Hintergrund schien das Pandemie-Instrumentarium des „Sofortprogramms zur Stärkung der Innenstädte und Zentren in NRW“ - garniert mit jeweils knapp 100.000 Euro für Zentrenmanagement sowie einen Verfügungsfonds Anmietung (siehe Infobox) – geradezu maßgeschneidert, um zumindest kurzfristig das Steuer herumzureißen. Doch eine Zwischenbilanz der bis Ende 2023 laufenden Bemühungen zeigt ein deprimierendes Resultat: Trotz üppiger Förderung (siehe Info-Box) ist es nicht gelungen, auch nur einen einzigen Neumieter im klassischen Hasper Zentrum zu etablieren. Eine Bilanz, die Anne Kraft vom begleitenden Projektbüro „Stadt+Handel“ zu dem vorläufigen Fazit bringt: „Die Situation in Haspe stellt sich in großen Teilen als desolat dar.“
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Zugleich wirbt die Expertin gemeinsam mit ihrem Kollegen Gisbert Schneider (Büro Schneider +Partner) für einen langen Atem: „Diese Prozesse brauchen Zeit, Geduld und Vertrauen. Der Begriff Sofortprogramm ist da eher irreführend – wir reden hier über zehn Jahre und mehr.“ Die wesentliche Botschaft der externen Profis ist der Grundgedanke, ein Zentrenmanagement zu etablieren, dass kontinuierlich an den Problemlagen arbeitet. Denn die Verwerfungen rund um Torhaus und Hüttenplatz bestehen schon seit Jahren. Die Kaufkraft liegt deutlich unter dem Bundesdurchschnitt – in Hagen City ist sie sogar noch schlechter. Ein Negativ-Dreiklang aus 1. sich leerenden Zentren aufgrund des Onlinehandels, 2. einem erheblichen baulichen Sanierungsstau bei den Einzelimmobilien, aber auch 3. fehlender städtebaulicher Modernität und Attraktivität machen es nicht gerade leichter, bundesweit agierende Einzelhandelsketten oder auch Existenzgründer für das Hasper Zentrum zu faszinieren.
Leerstände an der Fußgängerzone
Gisbert Schneider (operatives Leerstandsmanagement) und Anne Kraft haben in den vergangenen Projektmonaten zunächst einmal versucht, eine aktuelle Bestandsaufnahme für ein Quartier zu schaffen, in dem sich immerhin eine Verkaufsfläche von 10.600 Quadratmetern findet und der Einzelhandel einen Jahresumsatz von etwa 47,2 Millionen Euro erzielt. Zudem wurde ermittelt, dass sich rund um den Hasper Kreisel 167 Ladenobjekte finden, von denen aktuell 19 leer stehen – dies entspricht einer Leerstandsquote von 11,4 Prozent. Sieben Immobilien befinden sich jedoch zurzeit im Umbau, eine steht vor der Neueröffnung, die lange leerstehende Kaufpark-Dependance wird die Kik-Bekleidungskette beziehen. Somit könnte man die Leerstandsquote auch auf 7,2 Prozent schönrechnen, was zwar ebenfalls nicht gerade glorreich klingt, aber auch nicht ganz so erschreckend ausfällt.
Impulsgeber nach der Corona-Krise
Die Stärkung von Innenstädten ist schon lange ein aktuelles Thema. Insbesondere in der Corona-Pandemie hat die Diskussion um die Zukunftsfähigkeit von Innenstädten stark zugenommen. Immer mehr Leerstände sind in vielen Stadtzentren vorzufinden und sorgen für eine rückläufige Besucheranzahl. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, gibt es seit Ende des Jahres 2020 vom Land Nordrhein-Westfalen ein Förderprogramm zur Stärkung und Weiterentwicklung der Innenstädte. Dessen Ziel ist eine Belebung der Innenstadtbereiche insbesondere durch neue unternehmerische Ansiedlungen und Angebote. Mit der Bezeichnung „Sofortprogramm Innenstadt“ werden mit Unterstützung eines Zentrenmanagements kreative Konzepte in unterschiedlichen Branchen in den Stadtteilen Haspe, Hohenlimburg sowie in der Hagener Innenstadt finanziell unterstützt.
Mit dieser Hilfe wird es zum Beispiel Start-ups, Popup-Stores, Dienstleistern oder Gastronomen ermöglicht, sich im Innenstadtbereich anzusiedeln. Den Konzepten der Unternehmen sind dabei keine Grenzen gesetzt: es sind sowohl etablierte als auch neue, außergewöhnliche, kreative und interessante (Handels-)Konzepte gefragt, um die Attraktivität der Innenstadt positiv zu beeinflussen und die Anzahl an leerstehenden Ladenlokalen zu reduzieren. Hierfür stellt das Land eine finanzielle Unterstützung für die Dauer von bis zu 24 Monaten bereit.
Die finanzielle Unterstützung gestaltet sich für alle im Grundsatz einheitlich. Der Eigentümer eines leerstehenden Ladenlokals muss zunächst bereit sein, die Miete um 30 Prozent der Altmiete zu senken. Im weiteren Verlauf vermietet die „Hagen-Marketing“ zu einer bis zu 80 Prozent vergünstigten Miete das Ladenlokal an das interessierte Unternehmen weiter. Somit müssen nur noch 20 Prozent der Miete von dem Interessenten übernommen werden. Die finanzielle Unterstützung wird gewährt für eine maximale Dauer von bis zu 24 Monaten und ist zudem bis zum Jahresende 2023 begrenzt. Fördermöglichkeiten stehen für die Hagener Stadtmitte sowie die Stadtteile Haspe und Hohenlimburg zur Verfügung.
Dabei fällt auf, dass das Gros der Leerstände sich entlang der Fußgängerzone rund um die Voerder Straße und den Hüttenplatz auftut. Während in Rest-Haspe die Quote lediglich bei 2,1 Prozent liegt, sind hier 36,7 Prozent der Ladenlokale frei. „Damit müsste man die Fußgängerzone durchaus in Frage stellen“, will Gisbert Schneider sich aber noch kein abschließendes Urteil bilden. Allerdings unterstreicht auch seine Kollegin Anne Kraft: „Wir müssen Nutzungen in die Zentren bringen, die dem Handel die Menschen vor die Tür spülen.“ Denn das Angebot an Geschäften habe längst nicht mehr die Leitfunktion der vergangenen Jahrzehnte. Hinzu müssten ergänzend gastronomische, kulturelle und auch städtebauliche Perspektiven geschaffen werden, um als Nebenzentrum im immer heftiger werdenden Duell der Großstadtzentren nicht für alle Zeiten zerrieben zu werden.
Politik hat konkrete Erwartungen
Für den Hasper Bezirksbürgermeister Horst Wisotzki steht daher der Fokus des Sofortprogramms ohnehin auf dem Zukunfts- und Zentrenmanagement: „Wir brauchen einen klaren Orientierungsleitfaden, was wir an welcher Stelle fördern und unterstützen, aber auch, was wir aufgeben sollten.“ Ein Anspruch, den die Vertreter der Fraktionen ähnlich formulieren: „Ich brauche kein weiteres Papier nach drei Jahren Projektzeitraum, aus dem sich irgendwelche Handlungsempfehlungen ergeben“, erwartet auch Grünen-Vertreterin Nicole Schneidmüller-Gaiser Konkreteres: „Da habe ich andere Erwartungen“, so auch Hagen-Aktiv-Sprecher Michael Gronwald, „nicht bloß, dass bei Olivotti bald die siebte Döner-Bude hinkommt.“ „Strategiedebatten und Denkwerkstätten haben wir in Haspe jetzt genug gehabt“, fordert Dietmar Thieser (SPD), endlich mal in die Umsetzung zu kommen.
Wiederbelebung des Hasper Bahnhofs schreitet voran
In der Serie „Bei uns ums Eck“ blickt die Stadtredaktion erneut auf zehn Probleme und Projekte, die die Menschen in den Quartieren beschäftigen. Zuletzt richtete die Stadtredaktion Hagen im Rahmen dieser Reihe im Stadtbezirk Haspe den Fokus unter anderem auf den alten Hasper Bahnhof, der aus seinem jahrzehntelangen Dornröschenschlaf wachgeküsst werden soll. Auf dem fast vergessenen, etwa 40.000 Quadratmeter großen Geländeschlauch zwischen der Bezirkssportanlage und der Kipper sollen durch die Entstehung moderner Produktionsstätten für etwa 200 Menschen wieder attraktive Arbeitsplätze entstehen. Investor ist die „Area 52 GmbH“ aus Ennepetal, deren Geschäftsführer Sebastian Schäfer mit einem mittleren zweistelligen Millionen-Betrag die Geisteratmosphäre auf der Brache durch innovativen Unternehmer-Esprit ablösen möchte.
Bezirksbürgermeister Horst Wisotzki unterstrich seinerzeit, dass er das Projekt als Chefsache betrachte und politisch alles dafür tun wolle, dass diese Ansiedlung auch gelinge: „Aktuell läuft noch das Bebauungsplanverfahren, aber ich bin gemeinsam mit der Planungsverwaltung durchaus optimistisch, dass dieses Projekt auch gelingt.“
Das ehemalige Bahnhofsgebäude, das bereits eine Wärmedämmung erhalten hat, soll nicht bloß für Büroflächen, sondern auch für einen Show-Room sowie einen Produktionsbereich genutzt werden. Der innovative Betrieb, der seinen Hauptsitz von Ennepetal nach Haspe verlegen möchte, wächst seit seiner Gründung im Jahr 2016 rasant. Seine bisherige Produktionsmission: Die Herstellung von ökologischen Fahrzeugpflegeprodukten und nachhaltigen Haushaltsreinigern, Naturkosmetik, aber auch die Entwicklung von Maschinenbauteilen vorzugsweise für die Fahrzeugindustrie mit Hilfe von 3-D-Drucker-Technologie. „Wir machen alles selber, arbeiten sehr autark, entwickeln unsere eigenen Maschinen mit eigenen Planern und bewegen uns obendrein in einem eigenen Ökosystem mit eigenem Marketing und eigener IT“, versteht Schäfer den Betrieb als eine kreative Symbiose aus Handwerk und digitaler Welt. Er verfolge das Ziel, 2023 mit dem Hochbau beginnen zu können.
Ein Anspruch, den auch die zunehmend frustrierten Hasper Bürger formulieren, die vom Projektteam nach ihrem Blick auf die Entwicklungen befragt wurden. Eingesammelt wurden Statements wie „Das Hasper Zentrum ist marode, dreckig, kleinkriminell, aber engagiert“, „Die Leerstände werden mehr, die Geschäfte mit gewissem Charakter werden weniger“, „Die Stadt Hagen stößt hier immer wieder neue Projekte an, aber nichts davon ist wirklich nachhaltig“ oder auch „So etwas wie die Hasper Lichter muss unbedingt regelmäßig stattfinden. Das ist hier immens wichtig“.
Grundsätzliche Weichenstellungen
Letztlich brachte im Rahmen der jüngsten Sondersitzung der Bezirksvertretung Haspe der in Richtung EN-Kreis scheidende Umwelt- und Ordnungsdezernent Sebastian Arlt die Gemengelage ungeschminkt auf den Punkt: „Wir müssen uns tatsächlich die Frage stellen, ob der Einzelhandel in den bestehenden Strukturen überhaupt noch zu revitalisieren ist.“ Offensichtlich handele es sich nicht bloß um ein Corona-Phänomen, sondern um eine weitergehende Problematik. Daher müsse man das Zentrum in Gänze neu denken, anstatt krampfhaft zu versuchen, eine paar einzelne Läden hochsubventioniert zu etablieren: „Es stellt sich die Frage, ob wir nicht schon heute ein totes Pferd reiten“, brachte der Dezernent die Zwischenbilanz auf den Punkt.
Letztlich entschied die Politik, die gänzlich ungenutzten Gelder aus dem Vermietungsfonds – bis auf einen kleinen Restbetrag – mangels Interesse lieber für gestalterische Sofortmaßnahmen zu nutzen, bevor die Fördermittel komplett verfallen.