Haspe. Torhaus und Kirmesbauerdenkmal bilden das Herz von Haspe. Doch immer weniger Alteingesessene halten sich dort gerne auf. Ein Besuch am Kreisel.
Abends am Hasper Torhaus? Da kann man doch nicht mehr hingehen, lautet das Urteil vieler Alteingesessener im Westen der Stadt. Sie verbinden mit diesem traditionsreichen Ort am Kreisel vorzugsweise unflätige Jugendliche, fremdländisch herumkrakeelende Gestalten, angetrunkene Taugenichtse und jede Menge Dreck rund um das Kirmesbauer-Denkmal. Grund genug, an einem ganz gewöhnlichen Mittwochabend kurz nach 19 Uhr mal an der Drei-Metropolen-Kreuzung Berliner-/Kölner-/Voerder Straße vorbeizuschauen.
Der Weg in den Kreisel führt am Fuße des „Heiligen Berges“ am Café Hermanos vorbei. Der Name ist nicht etwa der verzweifelte Versuch, dem urdeutschen Namen Hermann einen internationalen Anstrich zu verleihen, sondern bedeutet im spanischen Sprachraum schlichtweg „Brüder“. Ob die vier starken Jungs mit den dunklen Bärten vor der Tür tatsächlich miteinander verwandt sind, darf bezweifelt werden. Sie verbindet eher die Liebe zum Motorrad. Die beiden Chopper-Maschinen, deren Breitreifen beim Ausfall einer Dampfwalze locker auf einer Straßenbaustelle die Asphaltierungsarbeiten erledigen könnten, blockieren weite Teile des Bürgersteigs.
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Kioske als Nahversorger
Der Weg führt an einem von der Gärtnerei Rosenkranz schmuck gepflegten Straßenbeet vorbei zur Döner-Welt, wo wiederum zwei Gastrotische auf einen knatschgrünen Rollrasen-Teppich für hartgesottene Schlemmerfreunde vor die Tür gerückt wurden. Unter den Schuhsohlen knirschen die Schalen der Sonnenblumenkerne, die offenkundig rund um den Kreisel zum Boden-Ambiente gehören. Die meisten Ladenlokale haben um diese Uhrzeit bereits ihre Türen verriegelt. Lediglich zwei gegenüberliegende Kioske sichern an diesem Abend die Grundversorgung all derer, die noch schnell was Süßes oder Trinkbares für den Fernsehabend suchen.
Umgestaltungsideen für den Hasper Ortskern hat es schon reichlich gegeben. Die Öffnung der Kreiselbebauung sowie des Hasper Baches spielen dabei eine zentrale Rolle, um die Aufenthaltsqualität zurückzuholen. Der städtebauliche Stillstand und der Kaufkraftabfluss in Richtung Brandt-Center haben ihre wenig schmeichelhaften Spuren rund um das Torhaus hinterlassen. Die Stadt verspricht, dass im Rahmen des ISEK-Prozesses „Hagen plant 2035“ (Integrierte Stadtentwicklung) Leitlinien erarbeitet werden sollen, um die Vitalität des Einzelhandels wieder zu erhöhen. Allerdings wird man im Rathaus mangels Geldes und Personals frühestens 2024/25 den Fokus nach Haspe richten können – wenn es gut läuft. Sicher ist das längst nicht.
Parkplatz Fußgängerzone
Derweil reihen sich vor dem Torhaus gleich drei Busse an dem zentralen Haltepunkt hintereinander auf, verfolgt vom stoischen Blick der knallroten Hasper Kirmesesel-Figur. Die Einmündung in die Fußgängerzone dient um diese Uhrzeit vorzugsweise als Rangierfläche für motorisierte Spätversorger. Hier herrscht zu dieser Stunde eine An- und Abfahrfrequenz wie kurz vor den ersten Walzertakten an der Promi-Rampe des Wiener Opernball. Allerdings trägt hier niemand einen maßgeschneiderten Frack. Jeder scheint jeden zu kennen: Die unterschiedlichen Grade der Best-Buddy-Nähe lassen sich an den unterschiedlichen Handshake- und Schulterklopfer-Ritualen ablesen. Untätowierte werden in dieser Runde der Poser-Automobilbesitzer wohl kaum geduldet.
Schnellen Schrittes huscht eine Gassi-Gängerin über den Vorplatz des Torhauses. An ihrer Leine trippelt ein wuscheliger Mini-Hund, für den sicherlich der heimische Staubsauger die größte Alltagsbedrohung darstellt. Ihr eher uncharmanter Schlabberlook lässt vermuten, dass die Runde entlang der ansehnlich gestalteten Gründerzeit-Hausfassaden für den Vierbeiner-Winzling ganz fix zurück aufs heimische Sofa führen dürfte.
Vier Jugendliche mit Fußball unter dem Arm suchen sich derweil ein Plätzchen zum Kicken. Natürlich ist das Multikulti-Quartett stilecht in Vereinstrikots gehüllt – die Farben eines Fußball-Bundesligisten sind nicht dabei. Wobei die Hasper Fußgängerzone zu dieser Stunde auch von reichlich Fahrzeugen frequentiert wird: Fahrräder, Tretroller, Skater, E-Scooter, Kinderwagen, Rollatoren – alles dabei, niemand geht dem anderen auf den Wecker. Teil der Wahrheit ist aber auch: Die meisten Urdeutschen an diesem Abend scheinen rund um das Torhaus der Fraktion der Stadttauben anzugehören, die in den Pflasterfugen nach Essbarem picken.
Plätze für ein Schwätzchen
Vor der Steinofen-Pizza-Restauration Romantica und dem Eis-Café Domenico sind sogar noch ein paar Tische besetzt. Hier wird geschlemmt, geschleckt, Kaffee geschlürft und vor allem gemütlich geplaudert. Auch der kleine Supermarkt, nach der Jahrhundert-Flut lange Monate geschlossen, lockt zu später Stunde noch ein paar Kunden für schnelle Besorgungen an.
Auf den Holzbänken gegenüber dem Kirmesbauer-Denkmal haben es sich in der Zwischenzeit vier Herren aus der zweiten Hälfte des Lebens bequem gemacht. Man(n) kennt sich, Frauen sind an diesem Abend nur spärlich unterwegs. Die Abendsonne verwöhnt die kleine Schar. Mit der Flasche Bier in der Hand entwickeln sich schnell ein paar intensive Gespräche. „Hier sind fast alle arbeitslos“, erzählt Aras in gebrochenem Deutsch, „aber 60 Prozent von uns verdienen sich schwarz was dazu“.
Das Schild einer Hausverwaltung versucht sich im Sinne der Mieter mit dem appellierenden Hinweis: „Bitte jeglichen Lärm vermeiden und nicht rauchen!“ Zumindest der zweite Teil der Botschaft läuft ins Leere, wie ein Blick auf den Boden verrät. Es wird Zeit, dass in Deutschland pro Kippenfilter ein Pfandgeld eingeführt wird – das ignorante Wegschnippen der Zigaretten hätte sich fix erledigt.