Vorhalle. Wir blicken auf Probleme in den Quartieren: Hagen zählt als „lauteste Stadt im Ruhrgebiet“. Was das bedeutet, erzählen Betroffene aus Vorhalle.
Gudrun Wolf-Henoch sagt, sie sei mit der A1 groß geworden. Und sie erinnert sich, dass in ihrer Kindheit vereinzelt Fahrzeuge über die Autobahn rauschten, sie die Situation aber nie als Lärmbelästigung empfunden habe. Im Gegenteil: Statt im Bett Schafe zu zählen, „habe ich mich an das Brummen eines Lastwagens drangehängt, und wenn er vorüber war, war ich eingeschlafen.“
Doch mit dem dreispurigen Ausbau der A1 Anfang der 80er-Jahre veränderte sich das Leben der Menschen in Vorhalle, ohne dass ihnen das sofort bewusst wurde, fundamental. Der Verkehr nahm ständig zu und überbrüllte, zuerst schleichend, dann mit mitleidloser Wucht, das einst beschauliche Dasein.
Und der Lärm nimmt weiter zu: Bretterten 2015 noch 74.000 Autos und Lastwagen an den Häusern der Anwohner vorbei, sind der Autobahn GmbH zufolge heute täglich 115.000 bis 120.000 Fahrzeuge zwischen den Anschlussstellen Hagen-Nord und Haspe unterwegs – darunter zahlreiche Lastwagen, die besonders viel Lärm verursachen.
Erst muss die Brücke weg
Und daran wird sich vorerst nichts ändern. Auf der letzten Informationsveranstaltung der Bürgerinitiative (BI) zur Verbesserung des Lärmschutzes an den Hagener Autobahnen gaben Vertreter der Autobahn GmbH bekannt, dass im Jahr 2024 zunächst die Brücke, die über die Nöhstraße führt, abgerissen und erneuert werden muss, bevor die seit langem von den Bürgern geforderte Lärmsanierung der A1 in Angriff genommen werden kann.
Ab 2025 könnte dann die Lärmsanierung beginnen, die A1 mit Flüsterasphalt und neuen, wirksameren Lärmschutzwänden ausgestattet werden. Die Fachleute der Autobahn GmbH beziehen sich dabei auf eine anerkannte Software zur Lärmsimulation namens „Soundplan“, die Lärmkartierungen und Lärmprognosen nach bestimmten Parametern ermöglicht. Doch die Mitglieder der BI kritisieren, dass die Berechnungen die Verhältnisse vor Ort zu wenig berücksichtigen: „Die Autobahn GmbH hat ihre Modelle, aber wir haben die Realität“, sagt BI-Sprecher Dr. Bernd Widera.
Anwohner fordern Kreativität
Wenn er ein Fenster seines Hauses in der Ulmenstraße, das sich ungefähr 80 Meter Luftlinie von der A1 entfernt befindet, öffne, habe er „das Gefühl, als säße ich auf der Autobahn“, so Widera. Dabei seien es keineswegs immer die der Wohnbebauung am nächsten befindlichen Abschnitte der Autobahn, die das Leben so unerträglich machten. Bisweilen fließe der Schall aus den Tunnels und Unterführungen in Höhe des Industriegebietes am Vorhaller Kreisel in den Ort hinein, doch dieser Umstand bleibe bei den behördlichen Kalkulationen ebenfalls außen vor.
Schon aufgrund der topographischen Lage des Ortsteils sei Kreativität angebracht, formuliert Klaus Julitz, der ebenfalls in der Ulmenstraße wohnt, seine Ansprüche an die Autobahningenieure: „Und nicht, dass Standardprodukte aus dem Regal genommen werden. Aber wir haben leider nicht den Eindruck, dass da mal kreativ abseits der vorgegebenen Berechnungswege gedacht wird.“
Austausch mit Petitionsausschuss
Die BI hat längst Kontakt zur Politik aufgenommen und steht im Austausch mit dem Petitionsausschuss des Bundestages. Auch die heimischen Bundestagsabgeordneten Katrin Helling-Plahr (FDP), Janosch Dahmen (Grüne) und Timo Schisanowski (SPD) wollen die BI-Vertreter demnächst zu einem Ortstermin nach Vorhalle einladen.
Von der Stadt Hagen würden sich die lärmgeplagten Bürger mehr Unterstützung erwarten. Auch wenn er nicht direkt zuständig sei, könne es doch nicht im Sinne von Oberbürgermeister Erik O. Schulz sein, dass seine Stadt vom Regionalverband Ruhr das zweifelhafte Prädikat als „lauteste Stadt im Ruhrgebiet“ verliehen bekommen habe: „Lärm ist nicht zuletzt ein strukturpolitisches Thema, dessen sich die Stadtspitze annehmen müsste“, sagt Widera.
Hiobsbotschaft für Anwohner
Wenn denn 2025 tatsächlich mit der Lärmsanierung begonnen werden sollte, dann übrigens lediglich auf dem A1-Abschnitt zwischen der Anschlussstelle Hagen-Nord und der Brücke Nöhstraße. Für die Einwohner von Bathey, Kabel und Teilen von Boele ebenso eine Hiobsbotschaft wie für Menschen in Vorhalle, die zwischen Nöhstraßenbrücke und Anschlussstelle Haspe wohnen. Hier sollen keine Lärmschutzmaßnahmen erfolgen.
Tag und Nacht rauscht und braust es auf der A1, sagt Gudrun Wolf-Henoch: „Der Lärm hört niemals auf.“ Wenn es denn doch einmal ruhiger werde, etwa weil die Autobahn infolge eines schweren Unfalls gesperrt wurde, registriere man das sofort als ungewohntes Phänomen.
Und dann gibt es diesen einen Tag im Jahr, an dem sich eine beschauliche Stille über Vorhalle senkt, fast so wie vor 50 Jahren, als das Leben der A1-Anwohner noch in Ordnung war. „Das ist der 1. Weihnachtstag“, sagt Klaus Julitz. Dann herrscht in Vorhalle himmlische Ruhe.