Hagen. Hagens Gesundheitsamtsleiterin Dr. Anjali Scholten im großen Interview: Über Corona-Herausforderungen und Projekte für die Zukunft.

Zwei Jahre Pandemie – und zwei Jahre im „Amt“. Für Dr. Anjali Scholten startete ihr neuer Job in Hagen mit der rapiden Ausbreitung des Coronavirus direkt mit einer Krisensituation, die so schnell nicht abebben sollte. Wir haben mit ihr über die größten Herausforderungen, aber auch ihre Ziele und Projekte für die Zukunft gesprochen.

Ein Blick gut zwei Jahre zurück: Mitten in der Coronazeit haben Sie in Hagen die Leitung des Gesundheitsamtes übernommen. Wie lief rückblickend für Sie der Start? Eine richtige „Eingewöhnungszeit“ hatten Sie ja kaum...

Dr. Anjali Scholten: Der Start war sehr dynamisch. Die Eingewöhnung musste parallel zur Arbeit erfolgen, was jedoch ganz gut funktioniert hat, zumal ich von vielen Seiten Hilfestellungen erhielt.

Gab es in den ersten zwei Jahren für Sie überhaupt ein Thema abseits von Corona?

Ich habe mich mit zahlreichen unterschiedlichen Themen beschäftigt – zum Beispiel: Masernschutzgesetz, Tuberkulose, Hepatitis B, Windpocken, Krätze, Noro, Facharztvorbereitungsmodule für den FA für öffentliches Gesundheitswesen, Hochwasser, Tagesklinik, vertrauliche Spurensicherung, gemeindepsychiatrischer Verbund, Gesundheitsvorsorgeuntersuchungen der aus der Ukraine Geflüchteten, Gifttiere, Ischelandteich...

Noch einmal mit Blick auf die Pandemie: Was war aus Ihrer Sicht die größte Herausforderung? Und wie hat Hagen diese Zeit gemeistert?

Die größte Herausforderung war, nicht von den Geschehnissen überrollt zu werden. Was noch am Freitag galt, konnte am darauffolgenden Montag schon ,Schnee von gestern’ sein. Sich immer wieder auf Neues einzustellen, war zwar ungemein anstrengend, hält den Kopf aber frisch. Ich halte viel von Netzwerken bzw. lösungsorientierter Zusammenarbeit und kann auf ein grandioses Team, nicht nur in meinem Fachbereich, blicken. Was in dieser Zeit an Zusammenarbeit fachübergreifend und berufsspartenübergreifend in Hagen Hand in Hand geschah, hat mich trotz aller Widrigkeiten die Arbeit mit ,Sonne im Herzen’ machen lassen. Ich finde, dass Hagen – und die Hagenerinnen und Hagener – die Zeit gut gemeistert haben und hoffe sehr, dass viele der geknüpften Netzwerke weiter bestehen bleiben.

Hatten Sie in der Zeit überhaupt die Chance, auch mal Urlaub zu machen?

Tatsächlich haben mein Mann, unsere Kinder und ich uns in diesem Sommer erstmalig seit Beginn der Pandemie „getraut“, fast drei Wochen am Stück Urlaub zu nehmen. Das tat sehr gut, allerdings habe ich jeden Tag mein Postfach durchgeschaut, damit ich zum Einen im Thema blieb, zum Anderen der „Berg“ nach der Rückkehr nicht so hoch ist.

Hat sich das Arbeitsaufkommen normalisiert? Und wie bewerten Sie die aktuelle Coronalage?

Nein, von normal sind wir immer noch entfernt, aber es ist besser geworden und das ist schon ein Fortschritt. Ich bin tatsächlich erschüttert, wie wenig präsent Corona in der Allgemeinheit noch zu sein scheint beziehungsweise dass eine gewisse Sorglosigkeit herrscht. Im Gegensatz zu den Sommern 2020 und 2021, wo die Inzidenz zwischenzeitlich einstellig war, sind wir in diesem Sommer erstmalig nicht mal ansatzweise in ein ruhigeres Infektgeschehen gekommen. Die Zahl der Covidpatienten in den Krankenhäusern ist so hoch wie in der ganzen bisherigen Pandemie nicht. Wer sich inzwischen ansteckt, hat deutliche Krankheitssymptome. In den Heimen gibt es Ausbrüche. Mitarbeiter im Gesundheitswesen fallen krankheitsbedingt aus, was zwangsläufig zu einer Reduktion von betreibbaren Betten führt. Die Hausärzte, welche auf Corona testen, berichten von einer sehr hohen Trefferquote, die Testzentren haben immer noch einen Positivanteil von ca. zehn Prozent. Allerdings spielt Corona für das Leben außerhalb des Gesundheits- beziehungsweise Heimsektors kaum eine Rolle.

Laut RKI gibt es in Hagen bislang rund 67.000 dokumentierte Corona-Fälle. Wie blicken Sie angesichts dieser Zahl auf den Herbst und eine mögliche nächste Welle? Viele Hagener scheinen sich bislang ja noch nicht infiziert zu haben. Oder ist die Dunkelziffer einfach so ungemein hoch?

Sobald es in Richtung Herbst/Winter geht, sollten dringend hygienische Vorsichtsmaßnahmen beibehalten werden. Ich erwähnte die hohe Trefferquote bei Testungen durch die Hausärzte beziehungsweise den Positivanteil der Testzentren ja bereits. Durch die Änderung der Testverordnung ist die Inzidenz definitiv nicht mehr adäquat, stattdessen ist die Dunkelziffer umso höher. Bei vielen Menschen fand die dritte Coronaschutzimpfung im Winter 2021 statt, daher wäre ein viertes Impfangebot für alle im kommenden Herbst/Winter wünschenswert. Der neue angekündigte veränderte Impfstoff ist aktuell noch nicht erhältlich. Daher stellt sich die Frage, ob man auf bewährte Impfstoffe zurückgreift und sich so zumindest einen passageren Schleimhautschutz erarbeitet, bis der neue Impfstoff verfügbar ist.

Was sind Ihre ersten drei „Projekte“ für die „Nach-Corona-Zeit“`?

Viele originäre Aufgaben im Infektionsschutz – wie zum Beispiel Begehungen verschiedener Einrichtungen (wie Krankenhäuser, Kosmetikstudios, Kindertagesstätten) – konnten nicht adäquat zur Vor-Pandemiezeit ausgeführt werden. Diese müssen daher dringend aufgearbeitet werden. Einen großen Schwerpunkt möchte ich auf die Zahngesundheit der heranwachsenden Hagener Bevölkerung legen. Wir haben ein Team aus zwei Zahnärztinnen und zwei zahnmedizinischen Fachangestellten zusammengestellt, welche gerade dabei sind, für die Hagener Kindergärten und Schulen einen Plan auszuarbeiten. Außerdem möchte ich das Thema Digitalisierung im Fachbereich Gesundheit und Verbraucherschutz vorantreiben. Eine Vision für die Gesundheitsförderung wäre, dass jeder Mensch in Hagen die Chance auf eine bestmögliche Gesundheit haben soll. Dies zu erreichen, bedingt eine große Vorarbeit. Es bestehen natürlich schon viele, viele Arbeitsgemeinschaften oder Projekte, aber diese wären individuell vielleicht noch weiter förderbar, wenn es gelänge, sie fruchtbar miteinander zu verknüpfen.