Hagen. Die Fachwerk-Siedlung Lange Riege in Hagen steckt im Dornröschenschlaf. Höchste Zeit, dass jemand diesen besonderen Ort wachküsst.

Die beiden braunen Schilder weisen im Süden von Hagen den Weg. „Route der Industriekultur“ und „Freilichtmuseum“ steht darauf und die beiden Pfeile deuten in unterschiedlichste Richtungen. Dabei ist man doch hier mitten drauf und mittendrin. Ein Platz, alte Häuser, alte Laternen. Industriekultur, Freilichtmuseum hinter einem Kaiser-Brunnen, an dem zwei Löwen unablässig Wasser spucken.

Die „Lange Riege“ in Eilpe hinter dem Bleichplatz ist mit ihrer Fachwerkkulisse ein einzigartiger Ort an einer verborgenen Stelle. Ein Ort, den jene, die auf der Hauptverkehrsader in Autos oder Bussen durch den Stadtteil fahren nicht vermuten würden.

Lange Riege hat so viel Potenzial

Ein Ort, der so viel Potenzial hätte. Konjunktiv. Denn diese Möglichkeiten werden bei genauerer Betrachtung so achtlos liegen gelassen, wie die Zigarettenkippen, die Eisbecher und die Getränketütchen, die Menschen nur wenige Meter von den Papierkörben entfernt auf den Boden gepfeffert haben – warum auch immer...

An der Langen Riege in Eilpe haben die Anwohner Hagen-Flaggen gehisst. Die Häuser sind älter als 300 Jahre.
An der Langen Riege in Eilpe haben die Anwohner Hagen-Flaggen gehisst. Die Häuser sind älter als 300 Jahre. © WP | Michael Kleinrensing

Bäume säumen diesen Ort, über den sich seit Jahren eine Art Dornröschenschlaf gelegt hat. Sie spenden Schatten an den hitzigen Sommertagen. Um die Beete herum (und das gilt in gleichem Maße für den benachbarten Bleichplatz, der erst vor wenigen Jahren durch Steuergelder aufwendig aufgehübscht wurde) hat sich in diesem Jahr offenbar noch niemand gekümmert. Es sprießt, es wuchert nach Belieben. Unkraut, Wildwuchs. Wen wundert es da, dass sich hier niemand niederlässt.

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Zahn der Zeit nagt an den Fachwerkhäusern

Grüne Fensterläden, von denen die Farbe abblättert, werden plötzlich von innen aufgedrückt. Ein glatzköpfiger Mann scheint aus seinem ganz persönlichen Schlaf an diesem Nachmittag erwacht. Seinen Bierbauch versteckt er nicht einmal unter dem Unterhemd. Kein schöner Anblick.

Der Selbecker Bach ist nur kurz sichtbar. Er fließt in einem Tunnel unter dem Platz an der Langen Riege und unter dem Bleichplatz hindurch.
Der Selbecker Bach ist nur kurz sichtbar. Er fließt in einem Tunnel unter dem Platz an der Langen Riege und unter dem Bleichplatz hindurch. © WP | Michael Kleinrensing

Was bei genauem Betrachten auch für Fassaden und Fenster der Fachwerkhäuser gilt, die es am Bleichplatz, In der langen Riege (bedeutet übrigens lange Reihe) und den kleinen Sträßchen gibt. Zwischen 1978 und 1994 sind die Gebäude der Reihe zuletzt saniert worden – so steht es auf einem Schild, das der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL), der wenige Kilometer entfernt das Freilichtmuseum betreibt, hier aufgestellt hat. Seitdem scheint der Zahn der Zeit an den historischen Gebäuden zu nagen. Permanent. Darüber können auch die Flaggen mit Hagen-Wappen, die Anwohner hier gehisst haben, nicht hinwegtäuschen.

Wohn- und Arbeitsstätte der Klingenschmiede

Klingenschmiede hatten sich hier, wo heute ein blaues Dixiklo auf dem Platz steht, vor 300 Jahren angesiedelt. Wohn- und Werkstätten waren diese Gebäude einst. Hinten hatten sie einen kleinen Stall. 1855 gab es noch 55 Handwerker dieser Art in der Stadt. 49 Jahre später war kein einziger mehr im Handelsregister eingetragen. Die Zunft war niedergegangen.

Dieses Fachwerkhaus an der Adrianstraße in Hagen neben dem Bleichplatz ist in seiner Bauart besonders.
Dieses Fachwerkhaus an der Adrianstraße in Hagen neben dem Bleichplatz ist in seiner Bauart besonders. © WP | Michael Kleinrensing

Die Häuser blieben. Auch über Kriege und Bombenangriffe hinweg. Es handele sich um „ein einmaliges Ensemble im Ruhrgebiet“ – steht auf dem Schild zu lesen.

Ein Ort mit vielen Möglichkeiten

Also lasse ich mich mich selbst nieder und den Gedanken freien Lauf und überlege, was einen verschlafenen, einzigartigen Ort wie diesen noch einzigartiger machen könnte. Was wäre wohl, wenn man den Selbecker Bach, der hinter der Dönerbude im renovierten Pavillon aus den 50er-Jahren nur kurz zu sehen ist, aus seinem Gefängnis befreien würde. Dazu ein Park, eine Grünanlage mit einem Gewässer, ein gemütliches Café mit Außenbereich, ein Wasserspielplatz für Kinder, Pendelbänke.

Das Kaiser-Denkmal am Bleichplatz in Hagen: Rund um den Platz wuchert es in den Beeten.
Das Kaiser-Denkmal am Bleichplatz in Hagen: Rund um den Platz wuchert es in den Beeten. © WP | Michael Kleinrensing

Die Wirklichkeit ist eine andere, wenig einladend: Um die Metallblumenkästen, die dieses Kleinod flankieren, hat sich offenbar seit 1978 niemand mehr gekümmert. Keiner der Pfosten, die verhindern sollen, dass der Platz befahren wird, steht gerade. Ein paar Tauben watscheln umher und gurren vor sich hin.

Freilichtmuseum nur wenige Minuten entfernt

Was dafür sorgt, dass jenen, die ein Idyll, einen Ort zum Verbleiben suchen, dem braunen Schild folgen. Das Freilichtmuseum, in dem man so vieles findet, was man sich für Bleichplatz und die Lange Riege wünscht, ist eben nur ein paar Minuten entfernt.