Hagen. Der Ex-Abgeordnete René Röspel (SPD) ist Mitglied im Verein Hagener Friedenszeichen. So denkt der einstige Soldat über den Krieg in der Ukraine.

Dieser ehemalige Soldat ist aktives (Gründungs-)Mitglied des Vereins Hagener Friedenszeichen. Für die SPD hat René Röspel lange im Deutschen Bundestag gesessen. Und wenn es um Auslandseinsätze der Bundeswehr ging, in der Fraktion durchaus einen eigenen Standpunkt vertreten. Mit der aus der Ukraine nach Hagen geflohenen Journalistin Iryna Hornieva und WP-Redakteur Jens Stubbe spricht er über die „völkerrechtswidrige Invasion Russlands in die Ukraine“, über mögliche Auswege aus dem Krieg und seine eigenen Erfahrungen als Soldat.

Konflikt, Invasion, Krieg – wie würden Sie die Auseinandersetzung zwischen Russland und der Ukraine bezeichnen?

Röspel: Es gibt gar keinen Zweifel, dass es sich um eine aggressive Invasion handelt. Der Begriff Konflikt ist viel zu verharmlosend. Es ist ein Krieg, der gegen jegliches Völkerrecht verstößt. Ein Angriffskrieg, der im Grunde bereits 2014 mit der Annexion der Krim begonnen hat und der jetzt eine völlig neue Dimension erreicht hat.

Wie wird dieser Krieg ausgehen?

Was ich jetzt sage, ist nicht das, was ich mir wünsche. Aber es ist in meinen Augen die traurige Realität. Niemand wird diesen Krieg gewinnen können, es wird auf beiden Seiten nur Verlierer geben. Obwohl ich es hoffe, glaube ich nicht, dass die Ukraine einen Krieg gegen das mächtige Russland gewinnen kann. Putins Armee ist riesig.

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Aber muss nicht Russland, muss nicht Wladimir Putin in diesem Krieg in die Schranken gewiesen werden?

Die Wahrheit ist doch: Putin ist bereit, die Zukunft der jungen Generation zu verspielen. Viele Soldaten, die ihr Leben verloren haben, stammen aus dem Osten Russlands, viele aus unteren sozialen Schichten. Man kann den Kriegsdienst in Russland verweigern. Und viele gebildete Familien sind eben nicht bereit, Putins Kriege zu unterstützen und ihre Söhne zum Militär zu schicken. Ich glaube, dass Putin immer wieder bereit zu neuen Eskalationsstufen ist. Vor diesem Hintergrund bleibt die Frage: Wie kann man diesen Kriegstoppen? Es gibt zwei Ansätze...

Und die wären...?

Es gibt die Vorstellung, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnen und Russland verlieren muss. Daher sei es sinnvoll, immer mehr und immer modernere Waffen in die Ukraine zu liefern. Ich fürchte: Darauf wird Putin wiederum reagieren. Und zwar, indem er seinerseits mehr Soldaten und mehr Material schickt, um die Angriffe zu verstärken. Das kann so weit führen, dass Putin letztlich die totale Zerstörung der Ukraine in Kauf nimmt.

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Warum sind Sie da so sicher?

Ich denke, es gibt genug Beispiele in der Geschichte dafür, dass eine solche Eskalation kein gutes Ende finden kann. Man muss nur an den Vietnam-Krieg denken, an den Krieg in Afghanistan oder den andauernden Krieg in Syrien..

Jens Stubbe im Gespräch der Woche mit René Röspel (SPD) und Reporterin Iryna Hornieva über den Krieg in der Ukraine.
Jens Stubbe im Gespräch der Woche mit René Röspel (SPD) und Reporterin Iryna Hornieva über den Krieg in der Ukraine. © WP | Michael Kleinrensing


Wo sehen Sie denn eine Alternative?

Meiner Ansicht nach muss dieser Krieg sofort gestoppt werden. Das muss das Ziel sein, das über allem steht. Nur so kann man eine weitere Eskalation verhindern. Letzte Woche habe ich einen Ex-General der Bundeswehr getroffen. Er hat mir erklärt, warum die Diplomatie an dieser Stelle versagt hat. Aber er konnte nicht erklären, warum ein militärischer Konflikt, eine Eskalation an dieser Stelle erfolgreicher sein sollte.

Was ist mit einem Mittelweg – Russland in eine schwache Position bringen, dann verhandeln?

Für mich bleiben am Ende nur diese zwei Ansätze: immer mehr Waffen und eine weitere Eskalation, oder dem gegenüber der sofortige Stopp der Kämpfe. Diese beiden Ansätze werden in vielen Diskussionen immer wieder durcheinandergeworfen. Aber ich bin der Überzeugung, dass sie sich derzeit nicht miteinander kombinieren lassen. Man muss sich letztlich entscheiden.

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Was sind die Konsequenzen, wenn weitere Waffen geliefert werden?

Ich fürchte, wir reden dann über einen lang andauernden Krieg mit immer mehr Zerstörung und immer mehr Toten. Mit zahlreichen vor allem jungen Menschen, die ihr Leben lassen werden. Wenn wir beginnen zu akzeptieren, dass junge Soldaten ihre Leben auf dem Schlachtfeld verlieren – das ist in meinen Augen eine absolute Katastrophe. Ich werde jetzt emotional: Aber wir müssen doch verhindern, dass ukrainische und russische Mütter weiterhin den Tod ihrer Söhne betrauern müssen. Das sage ich als Vater, und das sage ich auch, weil ich selbst einmal ein junger Soldat war.

Sie waren einmal bei der Bundeswehr?

Ja. Ich hatte anfangs gedacht, ich könne den Wehrdienst einfach „durchziehen“, danach studieren. Das war ein Irrtum. Ich war Panzerfahrer, habe Häuserkampf geprobt und erlebt, wie auf einem Truppenübungsplatz eine Kirche als Ziel diente. Ich bin mit kalter Waffe bei Regen im Stockfinsteren im Gewehrfeuer durch den Wald gelaufen. Mir war klar, dass das eine Übung war, aber die Vorstellung, wie es im echten Krieg sein muss, macht mir heute noch große Angst! Und Anfang der 80er Jahre war diese Gefahr ja durchaus real.

Was folgte daraus?

Während des Wehrdienstes wurde mein Entschluss immer stärker: Ich kann nie wieder eine Waffe in die Hand nehmen. Also habe ich die Konsequenzen gezogen: Unmittelbar nach meiner Entlassung habe ich den Kriegsdienst verweigert. Ich hatte das zu diesem Zeitpunkt tief verinnerlicht: Ich wollte nie wieder eine Waffe in die Hand nehmen, um als Soldat auf Menschen zu schießen. Mit meiner Verweigerung bin ich zunächst in zwei Instanzen gescheitert. Erst als ich mir einen Anwalt genommen und vor Gericht gezogen bin, habe ich den Rechtsstaat gespürt und Erfolg gehabt. Fünf Monate Zivildienst – das wusste ich vorher – musste ich nachleisten.

Iryna Hornieva ist selbst aus der Ukraine geflüchtet und lebt und arbeitet jetzt in Hagen.
Iryna Hornieva ist selbst aus der Ukraine geflüchtet und lebt und arbeitet jetzt in Hagen. © WP | Michael Kleinrensing

All das hat Ihre Entscheidungen, wenn es um Militäreinsätze oder Waffenlieferungen geht, beeinflusst?

Ja. Die Anzahl derjenigen im Parlament, die einmal eine Waffe in der Hand gehabt haben, die bei einer Übung vielleicht auch nur ansatzweise einen Eindruck bekommen haben, was Krieg bedeutet oder sogar selbst an einem Auslandseinsatz teilgenommen haben, wird immer geringer. Ich will keine jungen Menschen mit einer Waffe in einen Krieg schicken. Das ist für mich eine Horror-Vorstellung.

Also hätten Sie auch gegen die Lieferung von deutschen Panzern gestimmt?

Ich denke ja. Ich hatte in der Fraktion die Freiheit, eigene Standpunkte vertreten zu können.

Wie würden Sie sich an der Stelle von Wolodymyr Selenskyj verhalten?

Das mag paradox klingen: Vermutlich genau so wie er. Aber gleichwohl wäre es nicht die richtige Vorgehensweise, um eine Eskalation, um immer mehr Tote und einen immer längeren Krieg zu verhindern. Trotzdem kann ich alle Ukrainer verstehen, die ihr Land verteidigen wollen und die dafür auch von Deutschland Waffen fordern. Letztlich aber fürchte ich, dass all das am Ende dazu führt, dass ein ganzes Land zerstört wird und noch mehr Menschen sterben. Und dabei kommt man einer friedlichen Lösung keinen Schritt näher. Es wächst sogar die Gefahr, dass Putin taktische Nuklearwaffen einsetzt, die punktuell eine immense Zahl an Opfern und Zerstörung zur Folge haben könnten.

Sollten die Kämpfe tatsächlich eingestellt werden – was wäre denn ein Szenario?

Es ist weder realistisch, dass die Russen die gesamte Ukraine kontrollieren können, noch dass die Ukraine die jetzt bereits besetzten Gebiete zurückerhält. Ich bin kein Diplomat und kein Außenpolitiker: Aber wir müssen die Situation zunächst einmal so „einfrieren“. Wie irgendwann einmal Grenzen verlaufen, muss zunächst offen bleiben. Die jetzt durch Russland besetzten Gebiete müssen zunächst einen neutralen Status haben und demilitarisiert werden.

Aber die Ukraine hat bisher nicht die Erfahrung gemacht, dass man Russland vertrauen kann...

Deshalb denke ich auch nicht, dass jetzt der Zeitpunkt ist, über territoriale Ansprüche zu verhandeln. Es geht darum, irgendwie diesen verdammten Krieg zu stoppen. Und – was ich bedauere – das kann nur funktionieren, indem man auch Putin die Möglichkeit gibt, das Gesicht zu wahren. Er wird nicht verhandeln, wenn er zu Hause als Verlierer dasteht. Er hat sich diese Invasion sicher anders vorgestellt. Ich glaube nicht, dass er mit so einem Widerstand gerechnet hatte. Er hat geglaubt, dass weite Teile der Bevölkerung ihn als Befreier feiern würden.

Aber da hat er sich geirrt...

Letztlich ist es das Eine, in ein Land einzumarschieren. Das Zweite ist, das Land zu besiegen. Und das Dritte, das Land besetzt zu halten. Putin ist schon am ersten Punkt gescheitert.