Hagen. Keiner will seine Kunst sehen oder kaufen. In Hagen aber wird er gerettet: Emil Nolde, Maler, Nazi-Anhänger, dessen Bilder Hitler nicht mochte.
Wenn Emil Nolde über Hagen spricht, wird seine Wortwahl geradezu religiös. „Das Folkwangmuseum in Hagen war den jungen Künstlern und Kunstgelehrten wie ein Himmelszeichen im westlichen Deutschland entstanden. Sie sahen dort ein Ideal, das ihnen ein führendes Beispiel schien“, erinnert der norddeutsche Maler sich 1934 mit Ende 60. Und dieses Himmelszeichen hat Nolde auch bitter nötig, als er völlig erfolglos 1906 über einen Kontakt an das Ehepaar Osthaus empfohlen wird. Die Hagener Sammler erst machen Nolde zu einem anerkannten und museumsreifen Künstler, bilanzieren die Kunsthistoriker Dr. Rainer Stamm und Dr. Gloria Köpnick in ihrer neuen Monographie „Karl Ernst und Gertrud Osthaus. Die Gründer des Folkwang-Museums und ihre Welt“.
1906 hat der bereits 38-jährige Nolde traumatische Erfahrungen hinter sich. Zum ersten und einzigen Mal werden seine Bilder in einer Dresdener Galerie ausgestellt „und mussten unter Schmähungen des Publikums und der Presse wieder entfernt werden (als wüste neoimpressionistischen Klecksereien)“, berichtet der Schriftsteller Wilhelm Schäfer an Osthaus. Obwohl Nolde später damit ko- kettiert, ein verkannter und ver- armter Künstler gewesen zu sein, dürfte der Schmach und der Spott von Dresden lange nachgehallt haben.
Gertrud Osthaus als Kuratorin
Aus Briefen kann Rainer Stamm die Beziehung zwischen den Ehepaaren Nolde und Osthaus rekonstruieren, welche die künstlerische Entwicklung Noldes ebenso erhellen wie die Rolle, die Gertrud Osthaus als Sammlerin und Kuratorin im Museum Folkwang spielt.
Denn es sind die Frauen die den Kontakt herstellen. Ada Nolde wird vorgeschickt und „wie der erhaltene Briefwechsel belegt, war es offenbar vor allem Gertrud Osthaus, die sich spontan für ihn und seine Werke begeisterte und ausschlaggebend für die ersten Ankäufe war“, so Stamm.
Als Folge des ersten Besuches sendet das Ehepaar Nolde fünf Gemälde nach Hagen, die im März 1906 ausgestellt werden und damit die erste Museumsausstellung des Malers überhaupt darstellen. 1912 zeigt das Folkwangmuseum bereits die dritte Einzelausstellung Noldes, den Osthaus neben den Ankäufen auch mit einem Arbeitsstipendium in Soest fördert - übrigens gemeinsam mit Christian Rohlfs, aber die beiden Charaktere schätzen sich wohl gegenseitig nicht besonders.
Leuchtende Farben
Es sind die leuchtenden Farben Noldes, die Gertrud Osthaus ansprechen. In einem Brief an Ada schreibt sie: „Seine Farbenpracht macht die ganze Umgebung grau erscheinen, sogar Hodler erscheint wie unter einem grauen Gazeschleier.“ Nolde urteilt über Gertrud, „seine Gattin war, wie auch wir, der Ansicht, dass im Künstlerischen vorbildliche Taten mehr bedeuten als rednerisches Wollen.“
Rainer Stamm hat recherchiert, dass Nolde in der ersten Auflage seiner Autobiographie einen Absatz eingefügt hat, den er später auf Bitten von Gertrud wieder streicht: „Als wir die beiden kennenlernten, waren sie ein wundervolles Menschenpaar. Später zeigten sich starke innermenschliche Verschiedenheiten der Art, die sich nicht ergänzen, sondern abstoßen. Deshalb auch folgte Trennung und Auflösung, und aller Traum und alles Glück verflog.“
Vom Sie zum Du
Siezen sich die Briefpartner anfangs noch, so wird Ada Nolde im Laufe der Jahre zu einer persönlichen Freundin von Gertrud Osthaus, der sie manchen Kummer anvertraut. Beide Frauen wenden sich, da ist Osthaus schon zehn Jahre tot, dem Nationalsozialismus zu. Auch Emil Nolde entpuppt sich nach der Auswertung bis vor einigen Jahren gesperrter Dokumente als glühender Nazianhänger, als Antisemit und Rassist. Das vorherrschende Bild des kauzigen Künstlers, der in der inneren Emigration einsam und abgeschieden auf bessere Zeiten wartet, erweist sich als unhaltbare Nachkriegs-Inszenierung.
Zur Tragik Emil Noldes gehört allerdings, dass, obwohl er sich andient und andere denunziert, Hitler seine Bilder trotzdem nicht leiden kann. Das betrifft auch die Werke Noldes in der Sammlung Folkwang, die sich inzwischen in Essen befinden und dort nach der Machtergreifung im Magazin verschwinden. Gertrud Osthaus, nun Gertrud Stickforth, steht treu zu ihrem Freund. Also engagiert sie sich Mitte 1933 für die Anerkennung von dessen Schaffen durch die neuen Machthaber. Gegenüber der Redaktion des „Völkischen Beobachters“ beteuert Gertrud, dass die Werke Noldes nicht von den „Prominenten des jüdischen Kunsthandels“ lanciert wurden, im Gegenteil: „Nolde ist der einzige gewesen, der schon viele Jahre vor dem Krieg (1. Weltkrieg. Anm. d. Red.) den Kampf gegen Liebermanns Herrschaft in Berlin aufgenommen hat. Er hat seinen damals noch auf schwachen Füssen stehenden Namen und Ruhm aufs Spiel gesetzt, hat die jüdische Meute auf sich gehetzt durch diese mannhafte Tat. Er ist überhaupt ein Deutscher unter den Deutschen.“
Schwer erträgliche Ergüsse
Aber selbst diese heute so schwer erträglichen Ergüsse nutzen Nolde nichts. Seine Bilder werden ebenso in den Museen von den Wänden gehängt wie die von Kirchner oder Feininger. Selbst ein Treffen der Stickforths und der Noldes mit den Granden des NS-Staates in Heinrich Himmlers Haus im Herbst 1933 kann die Nazis nicht von Noldes Werk überzeugen.
Als „entartet“ beschlagnahmt
In der Folkwang-Sammlung befinden sich 1912 unter anderem vier Gemälde von Nolde, drei Zeichnungen und 33 Druckgraphiken. Diese Arbeiten erleiden teilweise ein trauriges Schicksal. Drei der vier Gemälde werden als „entartet“ beschlagnahmt. Die „Klugen und törichten Jungfrauen“, ein Hauptwerk von 1911, sind 1945 verbrannt, so Dr. Birgit Schulte, Kustodin des Osthaus-Museums. Das „Stillleben mit Holzfigur“ gelangt nach der Plünderung in Privatbesitz und ist seit 1994 wieder in Essen. Die beschlagnahmten „Masken“ befinden sich heute in Kansas City/USA. Birgit Schulte: „Insgesamt wurden 1052 Werke Noldes in deutschen Museen konfisziert, 48 davon in der Ausstellung ,Entartete Kunst‘ gezeigt.“