Hagen. Das Ehepaar Modersohn und Heinrich Vogeler knüpfen von Worpswede aus Netzwerke nach Hagen. Warum Vogeler in Willingen verhaftet wird.
Das Vermögen, mit dem der Hagener Kunstsammler Karl Ernst Osthaus seine Gauguins und van Goghs erwirbt, ist mit harter Arbeit erwirtschaftet worden. Osthaus‘ Großvater Bernhard Wilhelm Funcke, der „Schruwen Willi“, gilt als wichtiger Impulsgeber der Frühindustrialisierung und dürfte in seiner Schraubenfabrik noch selbst mit Hand angelegt haben. Die Enkel der Industriepioniere fühlen sich hingegen von den rauchenden Schloten umzingelt. Sie sehnen sich nach Natur, Licht und Schönheit.
Osthaus und seine Frau Gertrud stehen nicht allein in ihrem Wunsch nach einem anderen Leben. Auch in Worpswede suchen Künstler in der Kunst nach Auswegen aus der als erstickend empfundenen geistigen Enge der wilhelminischen Gesellschaft und den als städtebauliche und soziale Katastrophe bewerteten Folgen der Industrialisierung.
Hagen wirkt wie ein Magnet
Hagen wirkt wie ein Magnet, nicht nur auf die Worpsweder. Denn 1902 gründet Osthaus ein in vieler Hinsicht Aufsehen erregendes Museum, das erste Museum überhaupt, in dem zeitgenössische Kunst und Weltkunst gezeigt werden. Spektakulär ist nicht in erster Linie die mit den Schraubenmillionen aufgebaute Privatsammlung; auch andere reiche Kunstfreunde sammeln. In die Geschichte eingehen wird vielmehr die Aufgeschlossenheit der Eheleute Osthaus gegenüber der Avantgarde, die es Künstlern wie Matisse oder Kirchner überhaupt erst ermöglicht, sich ihrer Kunst zu widmen. Dazu kommt ihre Bereitschaft zur Volksbildung. Sie machen ihre Privatsammlung als Museum Folkwang der Öffentlichkeit zugänglich.
Ein glänzendes Zeugnis
1905 reisen die Modersohns aus Worpswede nach Hagen und mit ihnen Heinrich Vogeler. Paula Modersohn-Becker stellt dem Werk des Ehepaares Osthaus ein überwältigendes Zeugnis aus: „Das Schönste war für mich in Hagen das Museum eines Herrn Osthaus. Der hat die neuste Kunst um sich versammelt (…)“, schreibt die Malerin in einem Brief an ihre Schwester. Interessant ist, wie sie die Osthausens sieht: „Das Ehepaar Osthaus selbst mit ihren vier blonden Kindern wirkte auf mich wunderschön. Er, eine auffallende Erscheinung zwischen 30 und 40 mit merkwürdig suchenden Augen. Sie ist eine blonde Lichtgestalt, anmutig und hell. Sie kam uns mit ihrem nackenden zweijährigen Kinde entgegen und war wie ein Bild. Das sind Menschen wie ich sie wohl öfters sehen möchte.“
Zwischen Worpswede und Hagen spinnt sich ein dichtes Netzwerk von Beziehungen. Heinrich Vogeler zum Beispiel ist nicht nur Künstler, sondern interessiert sich für alle Bereiche der Gestaltung, er wird 1907 zum Mitbegründer des Werkbundes, in den Osthaus 1908 eintritt. Vogeler will mit dem Barkenhoff in Worpswede ebenso ein Gesamtkunstwerk schaffen wie Osthaus mit dem Hohenhof in Hagen. Beide Projekte scheitern unter anderem daran, dass die Ehen der Protagonisten zerbrechen.
Im Atelier versteckt
Ebenso wie der Soester Otto Modersohn, Mitbegründer der Künstlerkolonie Worpswede, hat Heinrich Vogeler Beziehungen nach Westfalen und ins Sauerland. Er ist mit dem HNO-Arzt und Kunstsammler Dr. Emil Löhnberg aus Hamm befreundet, zu dem auch Christian Rohlfs als Patient geht. Für Löhnberg entwirft er 1912 das Haus im Stryck in Willingen. Vogeler hält sich oft in Willingen auf. Löhnberg ist jüdischen Glaubens, kurz vor seinem Tod am 6. November 1926 wird er von zwei Männern mit Hakenkreuzbinden am Arm schwer misshandelt.
Gedächtnis für Paula Modersohn-Becker
Heinrich Vogeler liegt die soziale Frage brennend am Herzen, er engagiert sich politisch. Nach der Zerschlagung der Bremer Räterepublik muss er fliehen und versteckt sich im Atelier des Bildhauers Will Lammert in Hagen, so die Kunsthistoriker Rainer Stamm und Gloria Köpnick in ihrer neuen Osthaus-Monographie. Von Hagen flüchtet Vogeler weiter nach Willingen, wo er verhaftet wird.
Nazis beschlagnahmen Selbstbildnis
Bereits 1913 zeigt das Museum Folkwang in Hagen eine Gedächtnis-Ausstellung für die 1907 mit nur 31 Jahren verstorbene Paula Modersohn-Becker, die Heinrich Vogeler organisiert. Damals ist Modersohn-Becker noch längst nicht als die große Künstlerin anerkannt, als die sie heute bewertet wird. Osthaus erwirbt von Otto Modersohn das ungewöhnliche Hochformat „Selbstbildnis mit Kamelienzweig“ und zahlt dafür die Summe von 250 Mark, so Dr. Birgit Schulte, die Kustodin des Hagener Osthaus-Museums. Zum Vergleich: Bis zum Ersten Weltkrieg verdient ein Maurer rund 40 Mark pro Woche. Aber: Renoirs „Lise“, das Gründungsbild des Folkwang-Museums, ist um ein Vielfaches teurer. Osthaus kauft es 1901 bei dem Kunsthändler Cassirer in Berlin für 18.000 Mark.
Paula Modersohn-Beckers „Selbstbildnis“ geht 1922 mit der Folkwang-Sammlung nach Essen, wird 1937 von den Nationalsozialisten beschlagnahmt und kann als eines der wenigen geplünderten Werke 1957 für Essen zurückerworben werden.
Rainer Stamm, Gloria Köpnick: Karl Ernst und Gertrud Osthaus. Die Gründer des Folkwang-Museums und ihre Welt. C. H. Beck, 29,95 €.