Hagen. Das Sicherheitsempfinden vieler Bürger auf Hagens Straßen ist gestört. Doch die Behörden versichern, dass die Kriminalität nicht zugenommen habe.

Kinder und Jugendliche schubsen in Hagen Einkaufswagen vor Linienbusse, chauffieren Grabsteine in Schubkarren durch die Straßen, werfen mit Gegenständen gegen Fensterscheiben oder fallen durch rotzfreche, respektlose Pöbeleien auf. Erwachsene müssen wegen Lärmbelästigungen bis spät in die Nacht diszipliniert werden, stellen Sperrmüll an den Straßenrändern ab, parken jenseits jeglichen Regelwerks und drohen bei kritischer Ansprache und drohenden Konflikten auch gerne mal mit Gewalt.

Die Sicherheitslage rund um den Hauptbahnhof, aber auch in Teilen von Wehringhausen, Haspe, Altenhagen und Eckesey ist in Hagen ein Dauerthema. Dennoch gilt weiterhin: Die gefühlte Einschätzung der Lage in der Bürgerschaft deckt sich nicht unbedingt mit den Kriminalitätsdaten der Polizei. Vor diesem Hintergrund forderte die Politik von den verantwortlichen Behörden und Ämtern eine Gesamtübersicht zur Situation in Hagen ein.

Konzept der kleinen runden Tische

50 Vorkommnisse dokumentierte die Hagener Straßenbahn allein im letzten Dreivierteljahr im Bereich des Bodelschwinghplatzes: Dort bewarfen Kinder Busse der Hagener Straßenbahn, sprangen plötzlich auf die Straße oder schoben Einkaufswagen auf die Straße.

Laut Verwaltung konnten beim Eingreifen der Polizei die Verursacher nicht mehr ausfindig gemacht werden. Allerdings wurden dem Jugendamt Namen von vier Kindern mitgeteilt, die sich auf dem Bodelschwinghplatz aufhielten, so Jugendamtsleiter Reinhard Goldbach – bei einem Besuch der Stadt aber glaubhaft versicherten, nicht in die Attacken involviert gewesen zu sein. „Eine Familie war uns bekannt, drei der Familien nicht.“

Mit Begleitung der Sprachmittler wurden (und werden in Zukunft) Familien aufgesucht, um Lösungen zu finden. „Das hat sich oft bewährt. In der Regel nehmen alle Familien die Hilfe an“, so Goldbach. Das größte Problem bleibe, dass oft nur eingegriffen werden könne, wenn Probleme bereits auftreten: „Wir kommen oft erst dann, wenn die Konflikte schon da sind und nicht rechtzeitig, um sie zu verhindern“, beschreibt Goldbach das Problem.

Bereits jetzt gebe es vielfältige Angebote für Kinder im Quartier, die gut angenommen würden. „Wir haben nun kleine runde Tische in Altenhagen und Wehringhausen geplant, um mit Akteuren zu schauen, wie man die Situation weiter verbessern kann“, so Goldbach. In Zukunft wolle die Verwaltung, so Natalia Keller (Fachbereich Integration), ein Konfliktmanagement-System aufbauen, um in den Stadtteilen noch präsenter zu sein, Konflikte zu lösen oder sogar zu verhindern.

„Unsere Zahlen bilden die Ängste der Bürger nicht gänzlich ab“, präsentierte Guido Liedke, Direktionsleiter Kriminalität und zurzeit stellvertretender Behördenleiter im Polizeipräsidium, den Mitgliedern des Hagener Haupt- und Finanzausschusses zuletzt Statistikwerte, die eine stete Verbesserung der Sicherheitslage in Hagen dokumentieren. So ist die Zahl der Straftaten in der Stadt zwischen 2011 und 2020 von etwa 17.000 auf 14.000 Fälle gesunken.

Ähnlich sieht es bei der Straßenkriminalität (Drogendelikte zählen nicht dazu) aus, wo die Fallzahlen sich im gleichen Zeitraum von 3613 auf 3141 reduzierten. „Das gibt uns keinerlei Anlass zur Sorge“, räumte Liedke zugleich ein, dass es gerade Ereignisse wie Pöbeleien, Diebstähle, Beleidigungen, Bedrohungen oder auch Körperverletzungen seien, „die für Verängstigung bei den Menschen sorgen“.

Aufklärungsquote bleibt hoch

Zugleich verwies er darauf, dass Hagen insgesamt mit einer hohen Aufklärungsquote glänzen könne – selbst bei der Straßenkriminalität bewege man sich im Landesschnitt. „Objektive Falldaten und subjektive Wahrnehmung weichen also voneinander ab“, verwies der Profi darauf, dass eine sublokale statistische Betrachtung nach Wohnquartieren angesichts der unterschiedlichen Wohndichten und relativ niedrigen Fallzahlen wenig zusätzlichen Erkenntnisgewinn bringe.

Guido Liedke, Direktionsleiter Kriminalität und zurzeit amtierender Chef des Polizeipräsidiums Hagen, versichert, dass die Sicherheitslage auf Hagens Straßen besser sei als von der Bevölkerung wahrgenommen.
Guido Liedke, Direktionsleiter Kriminalität und zurzeit amtierender Chef des Polizeipräsidiums Hagen, versichert, dass die Sicherheitslage auf Hagens Straßen besser sei als von der Bevölkerung wahrgenommen. © WP | Michael Kleinrensing

Liedke versicherte der Politik, dass seine Beamten ihre Einsatztaktik mit erhöhter Präsenz, niederschwelligem Einschreiten, dem konsequenten Fertigen von Strafanzeigen, Platzverweisen oder auch Gewahrsamnahmen fortsetzen würden. Hinzu kämen immer wieder Sondereinsätze mit der Bereitschaftspolizei. Zudem bestätigte er: „Das Klima auf der Straße ist rauer geworden.“

Da es zunehmend am respektvollen Umgang fehle, hinterfrage die Polizei durchaus ihren Kurs einer an manchen Stellen vielleicht auch falsch verstandenen Toleranz. „Wir werden künftig wieder jede Beleidigung von Beamten konsequent anzeigen“, kündigte Liedke an.

Enge Verzahnung der Behörden

Eine Einschätzung, die Ordnungsamtsleiter Thomas Lichtenberg ausdrücklich teilte und auf die enge Verzahnung mit der Polizei bei den Einsätzen hinwies. „Aufgrund der Beschwerdelage aus der Bevölkerung sind auch wir mit den gleichen Schwerpunktthemen vorzugsweise am Bahnhof, in Altenhagen sowie in Wehringhausen und Haspe unterwegs“, erinnerte der Chef der städtischen Behörde daran, dass die Mitarbeiter der Ordnungsamtes – mal abgesehen von der Waffengewalt – über ähnliche Durchgriffsrechte wie die Polizei verfügen.

Was offenbar zumindest rund um den Bodelschwinghplatz mit Blick auf die Bus-Übergriffe vorzugsweise südosteuropäischer Kinder durchaus Wirkung zeigt. Hier berichtete Werner Flockenhaus, Betriebsleiter der Hagener Straßenbahn AG, allein über 50 Vorkommnisse im letzten Dreivierteljahr – kein einziger Fall davon ist übrigens in eine Sachbeschädigungsanzeige gemündet und somit in der polizeilichen Statistik hinterlegt. In jüngster Vergangenheit habe sich die Lage angesichts gezielter Interventionen der Behörden weitgehend beruhigt, so Flockenhaus weiter.

Damit hob er auf die konstruktive Unterstützung des Quartiermanagements unter der Regie des städtischen Fachbereichs Jugend und Soziales ab (siehe Beitext). Dieser verfügt über acht Sprachmittler, die vorzugsweise die Moderation mit den Zuwanderern übernehmen und diese mit den hiesigen Gepflogenheiten des Miteinanders vertraut machen. Fachbereichsleiter Reinhard Goldbach machte gegenüber der Politik trotz der zahlreichen zielgerichteten Ansätze durch die Kommune angesichts leerer Kassen auch deutlich: „Wir schaffen es einfach nicht, vor die Konflikte zu kommen, sondern laufen den Beschwerden fast immer hinterher.“ Ordnungsdezernent Sebastian Arlt sicherte zudem zu, Schrottimmobilien-Kontrollen nach der Corona-Pause wieder zu verschärfen.