Hagen. Auf fast vier Berufsjahrzehnte blickt Verkehrsplaner Jörg Winkler bei der Stadt Hagen zurück. Vor seinem Ruhestand erzählt er im WP-Gespräch.

Über Jahrzehnte hat Jörg Winkler in Hagen die Straßen- und Verkehrsplanung der Stadt mitgestaltet und geprägt. Angesichts seines bevorstehenden 63. Geburtstages zieht sich der leitende Beamte jetzt in den Ruhestand zurück. Grund genug, mit ihm noch einmal auf sein Wirken in Hagen zu blicken.

Warum ist Straßen- und Verkehrsplanung ihr Metier geworden?

Mein Ausgangspunkt war zunächst die reine Straßenplanung, bevor ich zur Bauleitung gewechselt bin. Diesen Job habe ich etwa 13 Jahre lang gemacht und Projekte wie den Ausbau des Graf-von-Galen-Rings oder auch die Hasper Nord- und Süd-Umgehung, also den Ausbau des Konrad-Adenauer- und des Kurt-Schumacher-Rings geleitet. Im Anschluss bin ich zur Planung zurückgekehrt, bis mir letztlich die Gelegenheit eröffnet wurde, mir eine eigene Abteilung „zu basteln“. Da habe ich alle Bauleiter und Straßenplaner zusammengefasst, und wir haben ein 20-köpfiges Team gebildet, das nicht bloß inhaltlich, sondern auch vom Alter her hervorragend zueinander passte. Diese Konstellation änderte sich erst, als der Wirtschaftsbetrieb Hagen gegründet wurde. Seitdem bin ich im Fachbereich 61 tätig.

Wenn Sie heute auf ihre Großprojekte blicken – würden Sie sagen, es ist alles gelungen oder ist man in der Rückschau auch kritisch?

Ein ewiger Hagener

Der gebürtige Hagener Jörg Winkler ist 62 Jahre alt und leitender Straßen- und Verkehrsplaner bei der Stadt. Seine Schulzeit startete an der katholischen Elbers-Grundschule in Oberhagen, bevor er am Fichte-Gymnasium seine Abitur-Prüfung ablegte.

Nach seiner Bundeswehrzeit nahm der verheiratete Familienvater, der heute in Eilpe lebt, ein Studium an der Fachhochschule Hagen im Fachbereich Architektur/Bauingenieurswesen in der Innenstadt auf.

Nach einem kurzen Intermezzo in Wetter wechselte der Bauingenieur 1985 zur Stadt Hagen, wurde dort verbeamtet und seitdem dort im Planungs- und Bauressort unterwegs. Eine berufliche Karriere, die Ende April endet.

Ich hatte ja seinerzeit keinen Einfluss auf die Planung. Ich habe damals schon damit gehadert, dass die Spuren auf dem Graf-von-Galen-Ring nur drei Meter breit sind. Gerade an dem kleinen Versatz am Zentralen Omnibusbahnhof sieht man ja heute, wie die Bordsteine dort touchiert werden. Hier hätte ich die normale 3,25 Meter-Spur genommen. Allerdings hat sich die Situation ein wenig entspannt, weil dort heute nicht mehr so viele Lkw unterwegs sind. Schumacher- und Adenauer-Ring sind bis heute tolle Zangen-Umgehungen für die Hasper.

Blicken Sie auf diese Zeit auch mit Wehmut zurück?

Ja, das war damals eigentlich eine ganz schöne Zeit, weil man sich nicht so viel vor den Gerichten wiedersah. Damals waren auch noch mehr heimische Firmen unterwegs, die sehr günstig anbieten konnten. Dadurch entstand ein gewisses Vertrauensverhältnis.

Was hat sich da gewandelt?

Es ist einfach alles viel kibbeliger geworden. Es geht inzwischen viel weniger ums Bauen als um die Suche nach Fehlern und möglichen Nachträgen: Wo können wir noch ein wenig mehr Geld verdienen, was können wir anderen in die Schuhe schieben? Diese Schuldzuweisungen und Rechtfertigungsgespräche waren damals noch kein Thema. Damals hat man sich in einem Baubüro zusammengesetzt und nach konstruktiven Lösungen gesucht. Meine Devise war immer: Wenn wir es hier nicht klären, wer soll uns denn helfen?

Und dieses Wir-Gefühl gibt es heute nicht mehr?

Jörg Winkler erinnert sich noch gerne an jene Tage zurück, als ein Handschlag noch deutlich mehr galt als eine schnöde E-Mail.
Jörg Winkler erinnert sich noch gerne an jene Tage zurück, als ein Handschlag noch deutlich mehr galt als eine schnöde E-Mail. © WP | Michael Kleinrensing

Nein, aber ich versuche den jungen Leuten immer ein wenig von diesem Vorgehen ans Herz zu legen. Das fängt schon an mit dieser Mailerei. Ich empfehle immer den jüngeren Kollegen: Druck Dir die erste Mail aus, geh mal persönlich hin und schau Dir die Nase deines Gegenübers an. Inzwischen ist auch ein Angstklima entstanden, in dem die Beteiligten große Sorge haben, Fehler zu machen. Warum eigentlich? Die jungen Leute müssen erst wieder lernen, die Dinge selbst zu entscheiden, direkt draußen vor Ort.

Ihr Ressort ist über viele Jahre sicherlich eine reine Männerwelt gewesen. Das ändert sich gerade zumindest in kleinen Schritten. Ist der weibliche Blick gut für Ihre Abteilung?

Wanderer mit Sinn für die Umwelt

Dieselfahrer, Benzin-Auto oder Elektromotor?

Hybrid. Ein älteres Modell, das kaum elektrisch fahren kann. Aber das war das erste Modell, das Audi sich getraut hat. Ich würde auch in Zukunft wieder auf Hybrid gehen, um eine verlässliche Reichweite von 500 bis 600 Kilometern zu haben. Wenn die rein elektrisch machbar sind, würde ich auch ein solches Auto nehmen.

Filet oder vegetarisch?

Filet, wenn auch immer weniger. Aber im Sommer ein Grillen draußen mit einem Fläschchen Bier ist schon schön. Muss aber nicht jeden Tag sein, und wir wählen auch gezielter aus.

Wandern oder Wellenreiten?

Wandern. Ich bin Besitzer eines kleinen Campingbusses, wo wir gerne unsere Fahrräder mitnehmen. Da sind Usedom, aber auch das Allgäu beliebte Ziele. Wandern kann also auch Radwandern sein.

Das auf jeden Fall. Das erdet in vielen Bereichen sehr und eröffnet auch eine andere Sicht auf die Dinge. Über die Fachlichkeit müssen wir ja ohnehin nicht diskutieren. Aber auch die Frauen im Bauwesen sind durchaus sehr technikverliebt und sehr an der Sache orientiert. Sicherlich war der Ton früher etwas rauer und burschikoser, aber rein fachlich hat sich durch die Beteiligung von mehr Frauen eher wenig geändert.

Sie müssen ihre Projekte und Ideen ja auch immer wieder mit der Politik abstimmen und sich dort auch Mehrheiten besorgen. Ist das ein Prozess, den Sie eher schätzen oder ist die Meinung der ehrenamtlichen Bürgervertreter manchmal auch hinderlich? Wie empfinden Sie diese Runden?

Die Kommunikation in diesen Gremien muss man lernen, sonst kann man dort nicht überleben. Mein Vorteil ist sicherlich, dass ich politisch neutral bin und auch keiner Partei angehöre. Dadurch bin ich von den Politikern eben auch als reiner Techniker betrachtet worden. Daher kann ich auch heute noch in jedes Gremium gehen, werde dort auch stets akzeptiert und man hört mir zu. Natürlich muss man auch ein gewisses Verständnis für die Gremien entwickeln, denn dort sitzen ja schließlich Repräsentanten, die das im Feierabend machen. Dabei kommt es natürlich auch immer wieder vor, dass ich denke: Ja, sie haben durchaus Recht, aber aus Sicht der Verwaltung ist das eben nicht umsetzbar. Das ist dann oft ein schmaler Grat.

Hat es auch mal den Fall gegeben, dass Sie am Ende das Gefühl hatten, dass Politik jetzt wirklich Unsinn entschieden?

Ja, das hat es natürlich gegeben.

Können Sie das auch benennen?

Ja, denn das ist ja auch kein Geheimnis: Der nicht gebaute Radweg in Hohenlimburg ist für mich bis heute nicht nachvollziehbar. Da wird eine Straße sowieso saniert, das kostet kaum mehr Geld, man tut niemanden weh, das ist ein Zusatzangebot für die Radfahrer, wir haben Simulationen präsentiert und uns nachts in meinen kleinen Campingbus gesetzt, um Verkehr zu zählen, und es hat alles nicht gefruchtet. Das war schon sehr schade, dass diese Chance nicht erkannt wurde – vielleicht fehlte an der Stelle auch ein wenig das Vertrauen. Und damit habe ich auch gehadert, muss ich ganz ehrlich sagen.

Das tut dann schon weh, wenn man das Gefühl hat, man scheitert nicht an den Fakten, sondern an der Sturheit einiger politischer Entscheider…

Das ist tatsächlich ein Lernprozess, und ich gehe ja auch nicht umsonst drei Jahre eher. Ich nehme mal an, dass sich das noch verstärken wird. Das ist ja auch eine allmähliche Entwicklung, zu der jede Seite ihr Scherflein beiträgt – das ist ja nicht nur Politik, sondern Verwaltung benimmt sich ja in Teilen genauso. Hier klafft die Schere immer weiter auseinander. Wobei ich auch sagen muss, dass die Atmosphäre in den Bezirksvertretungen häufig konstruktiver ist als in den Fachausschüssen.

Aber zwischen den Zeilen spürt man schon, dass die immer skeptischer und distanzierter werdende Umgangskultur Ihnen den Abschied erleichtert...

Ja, das könnte man so sagen. Da braucht man auch nichts zu beschönigen. Und ich befürchte: Es wird nicht mehr besser. Da tun sich jüngere Leute vielleicht leichter, die kennen es ja nicht anders. Ich habe eben noch die Zeiten erlebt, in denen eine klare Aussage oder ein Handschlag reichten, und nicht jede Kleinigkeit verschriftlicht werden musste. Für mich zählt eben das persönliche Wort noch viel mehr als eine eher unverbindlich daherkommende Mail.

Zuletzt haben sie sich immer häufiger dem Thema Radverkehr widmen müssen. Sicherlich ein Boom-Thema für die nächsten Jahre. Wie halten Sie es selbst mit dem Zweirad?

Ich selbst bin auch regelmäßig mit dem Fahrrad unterwegs – auch wenn das natürlich immer ein bisschen vom Wetter abhängt. Meine drei Kilometer zur Arbeit nehme ich gerne das Fahrrad. Und in der Freizeit sowieso.

Radfahren in Hagen ist ja auch immer Verteilungskampf. Wie blicken Sie persönlich auf diesen Konflikt?

Das große Problem ist natürlich, dass wir unseren Raum nicht vermehren können. Und es drängen immer mehr Verkehrsarten in den gleichen Raum hinein und verstärken den Konkurrenzkampf. Aber 60 Jahre Verkehrspolitik, die vorzugsweise auf das Auto ausgerichtet war, dreht man nicht mal eben um. Das ist ein langer Lernprozess, und man muss auch zugestehen, dass es Bereiche gibt, in denen das Auto alternativlos ist. Gerade in dieser Corona-Zeit steigen wieder viele auf das Auto um. Es gibt das Auto noch, und man muss es auch berücksichtigen. Dennoch bin ich fest davon überzeugt, dass eines Tages die Innenstädte vom Auto befreit sein werden.

Nichtsdestotrotz muss dieser Prozess doch heute schon angestoßen werden, oder?

Ja natürlich, das ist ein schleichender Prozess. Bei jeder Baumaßnahme müssen wir künftig den Radverkehr mitdenken. Und dabei wird es uns nicht immer gelingen, dass man niemandem wehtut. Beispielsweise mit dem Radweg Bahnhofstraße werden wir den Parkraum verringern müssen. Umgekehrt werden wir in den Wohnbezirken sogenannte Quartiersgaragen in die gesamtstädtische Planung integrieren müssen. Natürlich finden viele Dinge auch im Kopf statt. Wir werden uns in Zukunft immer häufiger die Frage stellen müssen, ob das Auto überhaupt das Verkehrsmittel der Wahl ist oder sich Strecken auch anders bewältigen lassen. In meinen Augen ist das Auto zwar keine heilige Kuh mehr, aber viele Menschen sind eben doch noch nicht bereit, den Zweit- oder Drittwagen abzuschaffen.

Gibt es denn noch einen Appell, den sie den Hagenern aus der Sicht eines Verkehrsplaners mit auf den Weg geben wollen?

Ja, denn ich stelle fest – und das ist ein grundsätzlich gesellschaftliches Problem –, dass man sich nicht mehr an Regeln hält. Selbst rote Ampeln sind ja heute kein Tabuthema mehr. Es wird nicht mehr geblinkt im Kreisverkehr, und es herrscht eine grundaggressive Stimmung. Da ist das Verkehrsgeschehen ein Spiegelbild der Gesellschaft. Da kann man auch nicht gegen anplanen – hier steht der Faktor Mensch im Fokus. Ich hatte da immer einen Satz parat, über den müssen die Kollegen heute noch lachen: Der gemeine Verkehrsplaner kann nicht gegen den gesellschaftlichen Verfall anplanen. Das ist leider so. Ein weiteres Problem ist die Abgelenktheit im Straßenverkehr, diese Reizüberflutung. Durch aufmerksames Fahren könnten am Emilienplatz in jeder Grünphase zwei Autos mehr über die Ampel kommen. Das sind alles kleine Aspekte, die es mir leichter gemacht haben, jetzt auszusteigen, aber rückblickend schaue ich eher positiv auf die vergangenen fast 40 Jahre. Ich habe meinen Kollegen versprochen, dass ich mich nicht mehr mit irgendwelchen Verkehrsfragen, die ich am Ende selbst beantworten kann, bei Ihnen melden werde.