Priorei. Sein Handeln war unbürokratisch und einfach menschlich. Dennoch zeigt der Fall, vor welchen Herausforderungen die Hausärzte aktuell stehen.

Unbürokratisch, geistesgegenwärtig und menschlich. Und es ist eine Geschichte, wie es sie in dieser zähen Impf-Debatte eben tausendfach gibt. Als eine Tochter voller Wut und Verzweiflung am vergangenen Freitag eine Mail an das Büro des Oberbürgermeisters schickt, weil ihrer bettlägerigen, 90-jährigen Mutter niemand die Booster-Impfung verabreichen kann, sorgt das dafür, dass Dr. Gerhard Koch sich die Jacke anzieht, im Impfzentrum vorbeifährt, eine Spritze aufzieht und nach Priorei fährt. Und zwar sofort. Diese eine Impfung, von der nun die Öffentlichkeit erfährt, zeigt aber gleichzeitig mehrere Dinge auf, die vor allem die Hausarztpraxen gerade bewegen.

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Als am 14. Juli dieses Jahres der Starkregen vom Himmel rast, saufen Teile von Priorei ab. Der Ort ist direkt an der Volme und an diversen Zuläufen gelegen und brutal getroffen. Es traf auch die Hausarztpraxis von Dr. Meinolf Heimann, der diese daraufhin schloss, wodurch die Ortsteile Priorei und Rummenohl nun ohne Allgemeinmediziner dastehen.

Die Sehnsucht, dass die Mutter Besuch empfangen darf

Christel Kolk, um deren 90-jährige Mutter es in diesem Beispiel geht, rief zunächst die nächstgelegene Hausarztpraxis in Dahl an. Dort nahm man ihre Mutter in den Patientenstamm auf, erklärte aber auch, dass man für Hausbesuche Geduld aufbringen müsse. Christel Kolk stand also weiter vor dem Problem, dass die Booster-Impfung nicht zu ihrer Mutter kommen konnte. Die ersten beiden Impfungen hatte ihr der noch bis zum Hochwasser praktizierende Hausarzt Heimann in Priorei gegeben. „Ich war wirklich verzweifelt. Meine Mutter wird am 2. Januar 90 Jahre alt und ich wünsche mir, dass sie dann auch Gäste empfangen darf. Deshalb, und weil sie Hoch-Risikogruppe ist, ist die Booster-Impfung so wichtig. Sie liegt im Bett, weil sie alt und schwach ist, aber ihr Geist ist wach.“

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Der entscheidende Anruf

Sie rief das Gesundheitsamt an, dort verwies man an die Corona-Hotline. „Da kam ich nicht weiter“, sagt Christel Kolk. „Ich habe dann den OB angeschrieben und ihn gefragt, was alle Impf-Appelle bringen, wenn meiner Mutter niemand helfen kann“, erinnert sich Kolk. Noch am gleichen Tag klingelt ihr Telefon. Dr. Gerhard Koch, Kinderarzt im Ruhestand, zuletzt stellvertretender Ärztlicher Leiter des Impfzentrums und jetzt ärztlicher Regionalleiter, war dran. Er komme jetzt, erklärte er. Wenige Zeit später impfte er Christel Kolks Mutter. Und weil eine befreundete Familie in Priorei mit einem ebenso hochbetagten Familienmitglied das gleiche Problem hatte, impfte Koch auch dort.

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Hochbetagte sollen Fest der Liebe in Gesellschaft erleben

„Es war ein besonderer Fall, eigentlich soll ich als ärztlicher Regionalleiter nicht zum Impfen rausfahren. Das ist Sache der niedergelassenen Ärzte. Aber durch die Situation in Priorei bin ich einfach schnell losgefahren. Weihnachten steht vor der Tür. Und solche alten Menschen verdienen es, das Fest mit Kontakten erleben zu dürfen“, sagt Gerhard Koch.

Das Team der Hausarztpraxis von Dr. Franziska Möller-Schmidt in Dahl gehört zu jenen, die versuchen, der Pandemie mit großem Einsatz Einhalt zu gebieten. „Meine Mitarbeiter haben bislang Großes geleistet. Wir haben uns von Anfang an voll in den Kampf gegen Covid eingebracht. Und natürlich machen wir auch Hausbesuche. Doch durch die Lage und durch das Hochwasser und Hunderte Neuaufnahmen durch die Schließung der Praxis Heimann mussten wir Patienten auch um Geduld bitten“, sagt Dr. Franziska Möller-Schmidt.

Viele Patienten, die seit Pandemiebeginn nicht da waren

Ihr Anspruch sei es, das Volmetal weiterhin bestmöglich zu versorgen. „Wir boostern mit Moderna und Biontech. Biontech ist begrenzt bestellbar, Moderna unbegrenzt. Hinzu kommt aber, dass auch das ganz normale Alltagsgeschäft weitergeht. Infekte, Krankheiten, Kontrolluntersuchungen. Wir machen uns Sorgen um Patienten, die wir seit Pandemiebeginn nicht mehr gesehen haben, weil sie den Gang in eine Praxis scheuen“, so Dr. Möller-Schmidt.