Hagen. Oberbürgermeister Erik O. Schulz im großen Digital-Tag-Interview. Die Redaktion konfrontiert Schulz mit ihrem Corona-Check und fordert Antworten.

„Zwischendurch“, sagt Hagens Oberbürgermeister Erik O. Schulz, „habe ich mir schon mal die Frage gestellt, ob wir die Kontaktverfolgung auch einfach weglassen, damit unsere Inzidenzwerte in Hagen schöner werden.“ Viele Städte um Hagen herum – das haben nicht zuletzt Recherchen dieser Zeitung gezeigt – verfahren so und sind deshalb eben nicht, wie Hagen, ein Corona-Hoch-Inzidenzgebiet. Beim großen Digitaltag unserer Zeitung stellte sich Schulz mit Blick auf den Corona-Check der WESTFALENPOST den Fragen des stellvertretenden Chefredakteurs Torsten Berninghaus und Mike Fiebig aus der Stadtredaktion Hagen. Das ganze Interview im Video sehen Sie hier: https://www.wp.de/thesen-corona-krise

Herr Schulz, das Krisenmanagment der Stadt kommt nicht gerade gut weg bei den Befragten. Wie betrachten Sie Ihre Leistung in dieser Pandemie?

Erik O. Schulz: Wenn man sich diese Ergebnisse der Befragung anschaut, ist das nicht befriedigend, keine Frage. Manche Kommunikation war nicht optimal, aber wir haben uns im Krisenstab immer sehr bemüht und auch Entscheidungen getroffen, die über die geforderten Maßnahmen von Bund und Land hinausgeht.

Stimmt, Sie haben im März die Bildungsministerin aufgefordert, die Schulen bis nach den Osterferien zu schließen. Hätte es nicht viel mehr Hagen-spezifische Entscheidungen von Ihnen geben müssen?

Es ist ein Spagat zwischen „Nach draußen mal einen Punkt machen und gegen das Land halten“ und der wirklichen Notwendigkeit. Letztlich kommen wir nur durch die Pandemie, wenn wir schnell und gut zusammenarbeiten. Ihre Redaktion hat dazu selbst recherchiert, wie unterschiedlich die Teststrategien der Städte sind. Das Hagener Gesundheitsamt, wo wir personell stark aufgestockt haben, nimmt Kontaktverfolgung hochernst. Es hat aber darüber hinaus in Hagen auch mit dicht besiedelten urbanen Räumen zu tun. Man sieht das ja bei uns in den einzelnen Stadtteilen. Und es hat natürlich auch mit dem Anteil an Menschen mit Zuwanderungsgeschichte etwas zu tun. Einen kausalen Zusammenhang zur hohen Inzidenz in Hagen können wir aber nicht so einfach herstellen.

Torsten Berninghaus, stellvertretender Chefredakteur (links) und Redakteur Mike Fiebig (rechts) im Gespräch mit OB Erik O. Schulz.
Torsten Berninghaus, stellvertretender Chefredakteur (links) und Redakteur Mike Fiebig (rechts) im Gespräch mit OB Erik O. Schulz. © Michael Kleinrensing

Unsere Befragung zeigt, dass auch die Menschen in ihrer Stadt stark belastet sind durch die Corona-Krise. Nehmen Sie das wahr?

Absolut, ich stelle bei vielen Menschen eine kurze Zündschnur fest. Sie sind müde und ermattet und die Situation ein Stück leid. Man wird ja kritisiert, wenn man die Dinge gemeinhin zu positiv beschreibt. Aber ich glaube auch, dass die Menschen berechtigte Erwartungen an mich haben, dass ich Hoffnung wecke und appelliere, durchzuhalten. Und wenn ich gleichzeitig merke, dass sich so viele Menschen in Hagen an die Beschränkungen halten, zeigt das, dass die meisten sie akzeptiert haben.

Müssten Sie dennoch nicht viel aktiver auf die Teile der Gesellschaft zugehen, die sie schwer erreichen oder mit denen ihr Ordnungsamt seine Probleme hat – am Bahnhof zum Beispiel? Und hätte es von so einer Impfaktion wie auf dem Bodelschwinghplatz für Menschen in prekären Wohnverhältnissen nicht schon mehr geben müssen? Sie haben die Zuwanderer selbst angesprochen.

Natürlich ist Impfen der Schlüssel. Und Aktionen wie die auf dem Bodelschwinghplatz sollen nicht die letzten gewesen sein. Das Problem, das ich jetzt sehe, ist, dass die Impfstrategie die Impfungen zu den niedergelassenen Hausärzten überleitet. Wir haben in Hagen jetzt 40 Prozent der Bevölkerung erstgeimpft, unser Impfzentrum ist an der Spitze in Westfalen-Lippe. Bei den Hausärzten sieht das aber noch umgekehrt aus. So erreichen wir bestimmte Zielgruppen nicht. Ich würde mich freuen, wenn Ärzte sich noch mehr einbinden würden, die einen höheren Anteil an Migranten-Patienten haben. Übrigens: Unsere Sonder-Impfaktionen waren Extra-Impfstoff. Da ist niemand anderem etwas weggenommen worden.

Über 80 Prozent unserer Befragten wollen sich für den stationären Handel vor Ort einsetzen und über 60 Prozent befürchten gleichzeitig eine Verödung der Innenstadt. Was leiten Sie daraus für die Innenstadt in Hagen ab?

Die Menschen spüren jetzt, was ich auch spüre: dass die Innenstadt nicht nur ein Ort der Warenbeschaffung, sondern auch des sozialen Lebens ist. Wir haben in Hagen fraktionsübergreifend das Programm „Hagen Restart“ mit der Wirtschaftsförderung auf den Weg gebracht deswegen. Wir nehmen 200.000 Euro für die Attraktivierung der Innenstadt in die Hand. Wie kriegen Händler neue Marktzügänge? Wie kriegt man mit neuen Ideen ein altes Produkt in den Markt? Dabei werden Händler finanziell unterstützt.

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Zunehmend siedeln sich ja nur noch neue Lokale an, die zu Ketten gehören...

Wir haben ja auch Jahre der Verdrängung in Hagen erlebt. Wir müssen uns fragen: Können in unserer Innenstadt nicht wieder mehr die Manufakturbetriebe sein? Der kleine Laden, der noch selbstständig was macht und der sich auch leisten kann, in der City was zu mieten. Auch Immobilienbesitzer müssen angesprochen werden. Gemeinsam mit der Industrie- und Handelskammer gehen wir das nun an.

Über 30 Prozent der Hagener Berufstätigen sind im Homeoffice. Was tun Sie für die Netzverbindungen dieser Leute?

Hagen erhält viele Millionen Euro (Anm: 25,2 Millionen) zum Ausbau der Breitbandversorgung. Wir sind froh, in so hohem Maße von den Fördergeldern von Bund und Land profitieren zu können. Die Schulen und privaten Haushalte werden alle breitbandig angeschlossen sein.