Hagen. Hakan Severcan ist seit März Vorsitzender des Integrationsrates in Hagen. Ein Blick auf seine Geschichte und die Arbeit im Gremium

Hakan Severcan kam als Kind eines Gastarbeiters nach Deutschland, ist hier aufgewachsen, hier zur Schule gegangen, hat studiert, Karriere gemacht. Als neuer Vorsitzender des Integrationsrates – er hat im März den langjährigen Vorsitzenden Sükrü Budak abgelöst – will er sich für mehr Chancengleichheit und gegen Diskriminierung jeder Art einsetzen. Der Integrationsrat habe in Hagen nicht genug Mitspracherecht – er vertritt immerhin mehr als 40 Prozent der Hagener Bürger, sagt Hakan Severcan im Interview.

Sie sind selbst erst mit fünf Jahren nach Deutschland gekommen, haben Sie noch Erinnerungen an diese Zeit?

Hakan Severcan: Mein Vater ist damals Ende der 60er-Jahre zunächst alleine nach Deutschland gekommen und hat ein Jahr später meine Mutter nachgeholt, danach meinen älteren Bruder. Mein Bruder ist im Jahr 1974 bei einem tragischen Unfall in Boelerheide ums Leben gekommen, das war für die ganze Familie schrecklich. Als der Leichnam in die Türkei überführt wurde, als letzte Reise in die Heimat, bin ich mit meinen Eltern nach Deutschland gekommen, vorher habe ich bei meiner Großmutter gelebt. Mein anderer Bruder lebt noch bis heute in der Türkei, meine Schwester ist einige Jahre später erst nach Deutschland gekommen – der Liebe wegen. Wir haben in Eckesey zunächst in einer 44 Quadratmeter großen Wohnung gelebt, die Arbeits- und Lebensbedingungen für viele Gastarbeiter damals waren schlecht. Viele sind wieder zurück in die Heimat gegangen, viele aber auch geblieben… so wie wir.

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Hat Ihre Kindheit Sie mit Blick auf Ihre heutige Arbeit und Einstellung geprägt?

Auf jeden Fall. Wir haben damals in einem Multi-Kulti-Viertel gelebt. Es haben viele Italiener, Griechen aber auch Türken dort gewohnt, sodass ich von Anfang an mit vielen unterschiedlichen Kulturen und Lebenseinstellungen in Berührung gekommen bin. Allerdings gebe ich auch zu: Ich hatte Schwierigkeiten mit der Sprache, als ich in die Schule gekommen bin. Damals gab es keine Deutschkurse für Gastarbeiter-Kinder, das mussten wir uns selbst beibringen. In der Grundschule war ich zunächst in einer türkischen Klasse. Von anderen Schülern wurde ich für die Sprachschwierigkeiten oft ausgelacht.

Ich habe dann aber an einer Hagener Realschule meinen Abschluss und im Anschluss eine Ausbildung bei der Bundesbahn als Maschinenschlosser absolviert, mein Fachabi nachgemacht und Maschinenbau studiert. Seit 24 Jahren arbeite ich nun in einem Hagener Unternehmen.

Job, Familie, Freizeit – warum dann noch in die Politik gehen?

Ich möchte etwas verändern. Ich fühle mich zwar komplett als Hagener. Durch meinen anderen Familienhintergrund und meine Geschichte habe ich aber sicherlich noch einmal eine andere Perspektive auf Integrationsthemen. Und das Thema bewegt ja gerade in Hagen ganz besonders...

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Was wollen Sie mit Ihrer Arbeit im Integrationsrat erreichen?

Dass die Menschen mehr Respekt voreinander haben. Und, dass alle gleiche Teilhabemöglichkeiten haben. Wir stellen uns gegen jegliche Form von Diskriminierung und setzen uns für eine bessere Integration ein.

Das sind große Worte – aber ist das auch realistisch? Es gibt ja auch viele, die sich hier in Deutschland überhaupt nicht integrieren wollen.

Natürlich gibt es immer schwarze Schafe, aber man darf das auch nicht verallgemeinern. Es gibt viele, die hier in Deutschland ihren Weg gehen. Erfolgreich sind. Arbeiten. Familien gründen. Die sich bewusst dafür entscheiden, sich hier ein Leben aufzubauen.

Der Integrationsrat kann der Politik nur Vorschläge an die Hand geben. Wie realistisch ist es da, mit dem Gremium wirklich etwas zu bewirken?

Ich bin ehrlich: Das ärgert mich auch total. Wir vertreten immerhin gut 40 Prozent der Bürger – die einen Migrationshintergrund haben. Wir sind sogar mit Mitgliedern in Ausschüssen vertreten – haben aber kein Stimmrecht. Das ist das Problem: Viele der Menschen mit ausländischem Hintergrund, die schon ganz lange in dieser Stadt leben, haben keine Chance, die Stadt auch mitzugestalten. Sie können einfach nicht mitreden – außer eben im Integrationsrat. Und der wiederum hat kaum Mitspracherecht.

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Was sind denn aktuell Ihre wichtigsten Themen?

Es gibt vieles, was wir angehen wollen. Zunächst steht der Neujahrsempfang an – den wir pandemiebedingt aber in den Mai/Juni verschieben möchten. Da wollen wir in Zukunft möglichst viele Gemeinden/Kulturen zusammenbringen und den Austausch untereinander fördern. Wir wollen auch das Thema Mehrsprachigkeit an den Schulen weiter vorantreiben, weil wir glauben dass das für Hagen ein wirklicher Gewinn sein kann.

Zum anderen ist es uns ein Herzensanliegen, eine Erinnerungskultur für die erste Generation aller Gastarbeiter zu schaffen. Wir hatten angefragt, ob dazu eine Ausstellung möglich wäre, die Termine sind aber alle vergeben. Parallel arbeiten wir am Aufbau einer Internetseite, um unsere Themen und Projekte besser präsentieren zu können. Da stehen wir – im Vergleich mit anderen Großstädten – echt noch miserabel da.